Inhaltsverzeichnis
- 1 Die Reformation und ihre Protagonisten
- 1.1 Ein deutscher Rebell: Martin Luther
- 1.2 Die Entwicklung der Reformation und ihre Folgen
- 1.3 Besonders strenger Bibel-Interpret: Johannes Calvin
- 1.4 Schlüsselfigur der Reformation: Erasmus von Rotterdam
- 1.5 Älteste protestantische Bibel-Übersetzung: Huldrych Zwingli
- 1.6 Die Frauen an der Seite der Reformatoren
- 1.7 Reformatorisches Liebespaar: Anna und Ueli
Die Reformation und ihre Protagonisten
von Günter Nawe
Was am 31. Oktober 1517 geschah, hatte den Charakter einer „Revolution“; der Anschlag der 95 Thesen an der Schlosskirche in Wittenberg sollte die Welt verändern. Martin Luther (1483 bis 1546), der ehemalige Mönch, setzte mit diesen 95 Thesen die Reformation in Gang. Und setzte dabei die Einheit der Kirche aufs Spiel, provozierte politische Ereignisse und hat mit seiner Bibelübersetzung sozusagen die deutsche Sprache „erfunden“. Damit begann ein Modernisierungsprozess in Kirche, Staat und Gesellschaft – mit weltweiten Auswirkungen bis heute.

Auslöser des Ganzen waren Luthers Thesen zum Ablass, ein Verfahren der Kirche, mittels dessen die Gläubigen gegen Geld Vergebung ihrer Sünden erlangen sollten. Luther monierte dieses Verfahren und forderte stattdessen, dass die Kirche die Gläubigen lehre, das „Evangelium und die Liebe Christi“ zu lernen. Was sich daraus entwickelte, war vergleichbar einem Erdbeben mit unabsehbaren Folgen.
Dieser Mann war Vieles in Einem: Reformator, Mönch und Theologe, Mystiker, Professor, Fürstenfreund und Bauernfeind, Antisemit, Vater und Ehemann, Übersetzer und Schriftsteller und Publizist. Ihm widmete die Evangelische Kirche, die Christenheit insgesamt und Deutschland im Besonderen ein ganzes Gedenkjahr.
Vor allem waren (und sind es noch immer) Bücher und Artikel, Biographien und historische sowie theologische Abhandlungen, die versuchen, Martin Luther auf die Spur zu kommen, die Bedeutung der Reformation für Religion und Geschichte auszuloten und nicht zuletzt Luthers überragende Leistung als Sprachschöpfer zu würdigen.
Ein deutscher Rebell: Martin Luther

Als einen „deutschen Rebellen“ sehen ihn Autoren wie Willi Winkler und Heinz Schilling. In ihren ausgezeichneten Biographien, zu denen auch die grossartige Arbeit von Lynda Roper, und die Luther-Arbeit von Volker Reinhardt zu zählen ist, zeigen sie ihn uns als ein Mann der Zeit, geben Orientierung und bringen uns den Menschen Luther näher. Das gilt auch für die Biographie von Heimo Schwilk: Luther – Der Zorn Gottes, der seiner Arbeit den Untertitel „Der Zorn Gottes“ gibt und damit aufzeigt, dass Luther vom „Furor des Gottsuchers“ angetrieben sowohl Gottesbindung als auch Obrigkeitstreue als wichtige Elemente seines Lebenswerks sah. So gelingt es Schwilk, dem Leser deutlich zu machen, was Luther bewegt hat. Seine Biographie bietet wenn schon nicht einen ganz neuen, doch einen frischen Blick auf den Reformator, auf sein Leben, seien Theologie und sein Werk.
Die Entwicklung der Reformation und ihre Folgen

Die volle Wucht der Reformation können wir erahnen, wenn wir über ihr Entstehen, ihre Entwicklung und die Folgen Bescheid wissen. Einen solchen Bescheid vermittelt uns Thomas Kaufmann: Erlöste und Verdammte. Kaufmann hat ein Meisterwerk der Geschichtsschreibung abgeliefert. Kaum einer weiss mehr über das Thema – und kaum einer weiss besser darüber zu erzählen. So haben wir die Geschichte der Reformation, einer Epoche voller Dramatik, bisher noch nicht gelesen: faszinierend geschildert, kenntnisreich, packend und kritisch.

Wenn wir aber schon von Reformation reden, ist ein Blick von Wittenberg nach Zürich und nach Genf unausweichlich. Denn Luther war kein einsamer Gestalter. In der frühen Neuzeit gab es religiöse Bewegungen und Zeitgenossen wie Philipp Melanchthon und Thomas Müntzer, im weitesten Sinne auch Erasmus von Rotterdam, vor allem aber Huldrych Zwingli (1484 bis 1531) und Johannes (Jean) Calvin (1509 bis 1564), deren Denken und Tun für die Zeit ebenso prägend und folgenreich war. Beide begründeten mit Luther und doch unabhängig von ihm einen recht eigenständigen Protestantismus.
Besonders strenger Bibel-Interpret: Johannes Calvin

So ist es nur recht und billig, im zu Ende gehenden Reformationsjahr auf sie mehr als nur hinzuweisen. Volker Reinhardt, mit Luther ebenso vertraut wie mit Johannes Calvin, hat in seinem bereits 2009 erschienenen Buch Die Tyrannei der Tugend – Calvin und die Reformation in Genf aufgezeigt, wie der Prediger Johannes Calvin, Reformator der zweiten Generation, zum Begründer des Calvinismus, einer besonders strengen Auslegung der Evangelien, wurde. Mehr noch, so Reinhardt, hat Calvin, hat der Calvinismus nicht nur die Welt durch seine Sittenstrenge, Askese und Bilderfeindlichkeit verändert, sondern auch zur Entstehung des Kapitalismus wesentlich beigetragen. Reinhardt erzählt zudem anschaulich, wie es dem wortgewaltigen Prediger Calvin gelungen ist, Genf zu einem „reformierten Rom“ zu machen.
Schlüsselfigur der Reformation: Erasmus von Rotterdam

Die Zürcher Reformation und überhaupt die Reformation hat ohne Zweifel Erasmus von Rotterdam (mit-) geprägt. Nicht zuletzt durch seine Bibelübersetzung aus dem Griechische ins Lateinische (Novum Instrument – Neues Testament), die auch zur Grundlage der lutherischen Übersetzung ins Deutsche wurde. So hat er den Anfang des Johannes-Evangeliums nicht mit dem üblichen „Im Anfang war das Wort“ übersetzt, sondern mit „Im Anfang war das Gespräch“. Dies ist auch der Titel eines kleinen Büchleins von Ueli Greminger: Im Anfang war das Gespräch – Erasmus von Rotterdam und der Schatten der Reformation. Er zeichnet im Rahmen eines Gesprächs zwischen einem Theologen und einem Psychologen das Menschen- und Gottesbild des Erasmus und lässt damit den Denker als eine Schlüsselfigur der Reformation erkennen.
Älteste protestantische Bibel-Übersetzung: Huldrych Zwingli

Eine Schlüsselfigur der Reformation ist zweifellos auch Huldrych Zwingli. Ihm hat die protestantische Welt die Zürcher Bibel zu verdanken. Sie entstand bereits fünf Jahre vor Luthers Übersetzung und gilt als die älteste protestantische Übersetzung der gesamten Bibel. Damit nicht genug: In 67 Thesen (auch hier gibt es Parallelen zu Martin Luther), die in mehreren Disputationen zur Diskussion gestellt wurden, hat er seine Ansichten deutlich gemacht. In seinem Kommentar zum wahren und falschen Religion zeigte Zwingli sich in vielen Punkten mit Luther einig. Was die Liturgie betraf, war er radikaler als Luther. Und was das Abendmahl betraf unterschied er sich wesentlich vom deutschen Reformator. Nachzulesen ist dies und mehr in der Biographie des Zwingli-Forschers Peter Opitz: Ulrich Zwingli – Prophet, Ketzer, Pionier des Protestantismus.
Die Frauen an der Seite der Reformatoren
Luther, Zwingli, Calvin – alle drei Reformatoren hatten Frauen an ihrer Seite. Über Luthers Frau Katharina Bora, die ehemalige Nonne, gibt es Literatur in Hülle und Fülle. Wogegen wir von Idelette Calvin, der Frau des Genfer Reformators, relativ wenig wissen. Und Zwingli? Er war neun Jahre, von 1522 bis 1531, mit Anna Reinhard verheiratet. Sie, die als Tochter eines Gastwirts zur Frau des Reformators wurde, war die starke Frau an seiner Seite. Am Ende verlor sie Mann und Sohn auf dem Schlachtfeld von Kappeln.
Ihrem Leben und Wirken ist die Romanbiografie von Christoph Sigrist: Anna Reinhart & Ulrich Zwingli gewidmet. Sigrist, Pfarrer am Grossmünster in Zürich und damit Nach-Nachfolger des Leutpriesters Zwingli, hat, wie Klara Obermüller in ihrem Vorwort schreibt, „einer Frau, die im grossen Schatten ihres Mannes zu verschwinden drohte, ihre Stimme und ihr Gesicht zurückgegeben. Und er lässt uns den Mann, Zwingli, noch einmal ganz neu sehen durch die Augen seiner Frau.“
Reformatorisches Liebespaar: Anna und Ueli

Sigrist hat eine fiktive Biographie geschrieben, die in Form eines Tagebuchs nachträglich das Zusammenleben vorstellbar macht. Anna, der ihr Ueli fehlt, schreibt über ihre Liebe zueinander, über die Kinder, das Hauswesen, aber auch über seine Theologie und ihr Verständnis davon – und das beileibe nicht unkritisch. So gelingt Sigrist ein brillantes Psychogramm des Reformators und eines aussergewöhnlichen Paares in aussergewöhnlicher Zeit. Beide, Ulrich und Anna, treten auch in dem Mysterienspiel Die Akte Zwingli auf, für das Christoph Sigrist den Text geschrieben hat und Hans Jürgen Hufeisen die Musik. Das Libretto ist – sie schön ergänzend – der Romanbiografie angefügt.
Am Ende: Ohne das gedruckte Wort hätte es wohl keine Reformation gegeben. Bücher und Schriften, Flugblätter, Pamphlete und Karikaturen verbreiteten die Ideen und Überzeugungen der Reformatoren in Windeseile. Grossmeister des Metiers war zweifellos Martin Luther. Und 500 Jahre danach sind es wieder Medien der unterschiedlichsten Art, die uns die Reformation, dieses Weltereignis, und ihre Protagonisten einmal mehr näher bringen. Historisches, Theologisches, Biographisches – alles zu diesem Thema ist mehr oder weniger lesenswert. ♦
Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema “Mittelalter und Renaissance” auch das
Interview mit Rebecca Gablé (“Der dunkle Thron”)
… sowie zum Thema Mittelalter auch über
Martin Grubinger: Drums `N` Chant (Audio-CD)