Musik-Zitat der Woche von Ursula Petrik

Von den Kontaktschwierigkeiten der Neuen Musik

Ursula Petrik

Die laut­star­ken Pro­test­kund­ge­bun­gen im Zuge von Auf­füh­run­gen mo­der­ner Mu­sik schei­nen nun­mehr der Ver­gan­gen­heit an­zu­ge­hö­ren. Das Au­di­to­ri­um der Neu­en Mu­sik re­kru­tiert sich in ers­ter Li­nie aus „Spe­zia­lis­ten“. Und je­ner Teil des „durch­schnitt­li­chen“ Pu­bli­kums, der sich auf das Aben­teu­er Neue Mu­sik ein­zu­las­sen be­reit ist, ist in­zwi­schen recht zahm ge­wor­den. Der Hö­rer wagt schon al­lei­ne aus Furcht, als in­to­le­rant und kon­ser­va­tiv zu gel­ten, kaum noch, sich ne­ga­tiv zu ei­nem Mu­sik­stück zu äus­sern, das ihm ins­ge­heim missfällt.
Vor al­lem aber zeich­net er sich durch grös­se­re Auf­ge­schlos­sen­heit aus. Er sieht ein, dass die Mu­sik des 20. und 21. Jahr­hun­derts an­ders klin­gen muss als die frü­he­rer Zei­ten, selbst wenn er sie nicht un­be­dingt versteht.

Mitt­ler­wei­le aber be­steht sei­tens vie­ler Mu­sik­lieb­ha­ber auch der Wunsch bzw. die Neu­gier, na­ment­lich die abend­fül­len­den Ope­ra der Neu­en Mu­sik ken­nen zu ler­nen. Bei den – lei­der sel­te­nen – An­läs­sen, bei de­nen ent­spre­chen­de Wer­ke an den gros­sen Kon­zert- und Opern­büh­nen oder im Rah­men von Fes­ti­vals zur Auf­füh­rung ge­lan­gen, lässt sich eine hohe Be­su­cher­zahl be­ob­ach­ten. […] Nichts­des­to­we­ni­ger lei­det die Neue und Zeit­ge­nös­si­sche Mu­sik nach wie vor un­ter Kon­takt­schwie­rig­kei­ten, was viel­fach an dem pro­ble­ma­ti­schen Erbe liegt, das sie an­ge­tre­ten hat. Po­ten­zi­el­le Hö­rer­krei­se wur­den ver­schreckt und müs­sen erst da­von über­zeugt wer­den, dass auch mo­der­ne Mu­sik sehr reiz­voll sein und Ge­nuss be­rei­ten kann. […] 

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A prio­ri eine schwie­ri­ge Po­si­ti­on: Die zeit­ge­nös­si­sche Neue Musik

Ei­ner Viel­zahl von mo­der­nen Kom­po­si­tio­nen fehlt schon der In­ten­ti­on ih­rer Schöp­fer nach der ver­bind­li­che und af­fir­ma­ti­ve Cha­rak­ter, der die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit ih­nen auf brei­ter Ebe­ne er­mög­li­chen wür­de. In der plu­ra­lis­ti­schen Ge­sell­schaft, die kei­ne Leit­kul­tur mehr kennt und in der der Mu­sik­ge­schmack ei­ner­seits von ei­ner mäch­ti­gen In­dus­trie und an­de­rer­seits von je­dem In­di­vi­du­um selbst be­stimmt wird, ha­ben die­se Wer­ke gros­se Schwie­rig­kei­ten, an ihre „Emp­fän­ger“ zu ge­lan­gen. Der Mensch der mo­der­nen Zi­vi­li­sa­tio­nen, des­sen Le­ben weit­ge­hend vom täg­li­chen Brot­er­werb be­stimmt wird, ist fort­wäh­rend ei­ner Reiz­über­flu­tung aus­ge­setzt, die vom Ver­kehrs­lärm und den all­ge­gen­wär­ti­gen Mas­sen­me­di­en her­rührt. Ge­ra­de er sehnt sich in sei­nen spär­lich be­mes­se­nen Er­ho­lungs­pau­sen nach dem Hei­len und Schö­nen, das er in der tra­di­tio­nel­len Mu­sik, in der le­bens­be­ja­hen­den Un­ter­hal­tungs­mu­sik oder auch im Kitsch findet.
In­dem aber die Neue Mu­sik – von Aus­nah­men frei­lich ab­ge­se­hen – ge­ra­de den Ein­druck von for­ma­ler Ge­schlos­sen­heit und den her­kömm­li­chen Schön­heits­be­griff ne­giert, hat sie sich a prio­ri in eine schwie­ri­ge Po­si­ti­on be­ge­ben. Sie spricht nur die­je­ni­gen an, die dazu be­reit sind, den Zu­gang zu ihr von sich aus zu su­chen, sei es nun in Form von geis­ti­ger Aus­ein­an­der­set­zung, me­di­ta­ti­ver Ver­tie­fung oder durch die rein „ku­li­na­ri­sche“ Per­zep­ti­on ih­rer Klänge.

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An­zei­ge

Da ihre In­ter­es­sen­ten eine Min­der­heit bil­den, ist auch die wirt­schaft­li­che Si­tua­ti­on der Neu­en Mu­sik eine denk­bar schlech­te. Die Mehr­zahl der Mu­sik­schaf­fen­den kann nicht vom Kom­po­nie­ren le­ben und muss den Un­ter­halt auf an­de­re Wei­se be­strei­ten. Die not­wen­di­gen Mit­tel für Kon­zert­auf­füh­run­gen – Her­stel­lungs­kos­ten für das No­ten­ma­te­ri­al, Saal­mie­ten, Mu­si­ker­ho­no­ra­re etc. – kön­nen viel­fach nur durch För­de­run­gen aus öf­fent­li­cher Hand auf­ge­bracht wer­den. Und der Er­lös aus ver­kauf­ten Ein­tritts­kar­ten oder Spen­den steht meist in kei­ner güns­ti­gen Re­la­ti­on zum fi­nan­zi­el­len Aufwand.
Die Si­tua­ti­on der zeit­ge­nös­si­schen Mu­sik ist der­zeit also un­zu­frie­den­stel­lend, aber kei­nes­wegs hoff­nungs­los. Dies liegt nicht zu­letzt dar­an, dass sich die heu­ti­gen Kom­po­nis­ten ak­tiv um die Wie­der­her­stel­lung des Kon­takts zum Pu­bli­kum und um die Ent­schlies­sung neu­er Re­zi­pi­en­ten­krei­se be­mü­hen. Dass die har­mo­ni­sche Be­geg­nung von Kom­po­nist und Hö­rer im Werk not­wen­di­ger­wei­se auf Kos­ten des künst­le­ri­schen An­spruchs er­folgt, ist eine Irr­leh­re des 20. Jahr­hun­derts, die mitt­ler­wei­le zu­neh­mend an Glaub­wür­dig­keit verliert. ♦

Aus Ur­su­la Pe­trik: Die Lei­den der neu­en Mu­sik – Die pro­ble­ma­ti­sche Re­zep­ti­on der Mu­sik seit etwa 1900, Edi­ti­on Mono/Monochrom Wien 2008

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Neue Mu­sik auch das In­ter­view mit dem Kom­po­nis­ten Fa­bi­an Müller
… so­wie das Mu­sik-Zi­tat der Wo­che der Kom­po­nis­tin Bet­ti­na Skrzyp­c­zak: Vom Ver­än­dern durch Musik

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