Reinhard Wosniak: Felonie (Roman)

Das Motiv der Freiheit

von Wolf­gang Dalk

Der Froh­bur­ger Schrift­stel­ler Rein­hard Wos­ni­ak legt mit „Fel­o­nie“ eine um­fäng­li­che Fa­mi­li­en­sa­ga vor. Doch 555 Sei­ten sind noch nicht ge­nug. Er ver­weist dar­auf, dass „Fel­o­nie“ das „ers­te Buch“ sei. Das heisst auf eine Fort­set­zung hof­fen. Das ist auch gut so. Denn die Ge­schich­te von Be­geg­nung und Tren­nung, Ent­frem­dung und Ver­lust, Treue und Ver­rat wirkt noch nicht voll­endet. Es blei­ben Fra­gen. Wenn die in ei­nem wei­te­ren Band an­ge­gan­gen wer­den, schlös­se sich ein Kreis, den Wos­ni­ak sehr be­hut­sam ge­öff­net hat, um sei­ne Le­ser mit Wor­ten und Sät­zen in die Ge­schich­te des Max Gut­ten­tag und sei­ner Fa­mi­lie hin­ein­zu­zie­hen und nicht gleich wie­der zu ent­las­sen. Da re­flek­tiert der Le­ser wohl zu Recht auf ein wei­te­res Le­se­aben­teu­er. Ja, es ist ein Aben­teu­er. Wos­ni­ak prä­sen­tiert sei­ne Saga in so un­ge­wöhn­li­chen Be­zü­gen, dass es aben­teu­er­lich wird. Aber auch sein Sprach­um­gang lässt auf­mer­ken. Es ist vor al­lem ei­ner, der auf be­rü­cken­de Wei­se Spra­che ver­dich­tet, sie zum Klin­gen bringt, sie eben zu et­was im­mer Neu­em macht.

Herausgeputzte Sätze, rätselhaftes Sprachmaterial

Reinhard Wosniak: Felonie - Roman - Edition CorneliusIn her­aus­ge­putz­ten Sät­zen und Wör­tern, rät­sel­haf­tem Sprach­ma­te­ri­al er­zählt er so, dass der Le­ser er­staunt die Au­gen­braue hisst und sei­ne Auf­merk­sam­keit in­halt­lich wie sprach­lich be­feu­ert wird. Schon mit dem Buch­ti­tel ver­sucht er, In­ter­es­se zu we­cken und eine be­stimm­te Er­war­tungs­hal­tung zu er­zeu­gen: „Fel­o­nie“. Ich gebe gern zu, dass ich nach­schla­gen muss­te, um auf die Er­klä­rung „Un­treue, Treue­bruch, Ver­rat“ zu kom­men, auf ei­nen Be­griff also, der mit Be­dacht auch noch „den Bruch des Lehns­ei­des; die Ver­wei­ge­rung der mit­tel­al­ter­li­chen Lehns­diens­te“ ein­schliesst. Die Er­gän­zung ist in­so­fern wich­tig, als im Ver­lau­fe des Ro­mans vie­le Fa­cet­ten ge­ra­de die­ses be­griff­li­chen Nach­klangs in das klug durch­dach­te Er­zähl­ge­rüst ein­ge­bracht wer­den, um die Tie­fen und Hö­hen des Ge­sche­hens in ei­nem ei­gen­tüm­li­chen Ver­bund mit­tel­al­ter­li­cher und neu­zeit­li­cher Ehr­be­grif­fe zu fixieren.
„Fel­o­nie“ ist ein Zeit­ge­schichts­ro­man, der den Zug schle­si­scher Fa­mi­li­en durch die jüngs­te Zeit auf­nimmt und in den Mit­tel­punkt Max Gut­ten­tag und des­sen un­ru­hi­ge Su­che nach­dem stellt, was er nicht „Frei­heit“ nen­nen, aber auch nicht das „Frei sein“ heis­sen mag. Es ist et­was, das ihn treibt, ohne gleich Aus­kunft zu ge­ben wo­hin, wozu, wes­halb. Und so stürzt al­les in ihm und um ihn her­um auf ein Ende zu, dem Fel­o­nie in­ne­wohnt. Er weiss es. Er muss den Lehns­eid bre­chen, den Lehns­dienst auf­kün­di­gen, um „die höchs­te Form von Frei­heit“ er­rei­chen zu kön­nen, die mit dem Selbst­be­wusst­sein der Of­fen­si­ve wünscht, „al­les selbst in der Hand zu haben“.

Drei deutsche Welten

„Kom­ple­xe poe­ti­sche Stu­di­en über Ein­sam­keit und ver­hee­ren­de See­len­zu­stän­de“: Schrift­stel­ler Rein­hard Wos­ni­ak (*1953)

Mit den Über­le­gun­gen, Frei­heit wozu, Frei­heits­sehn­sucht mit wel­chem Ziel, Frei­heit-f-Moll wo­hin und war­um, ist Max Gut­ten­tag kei­nes­wegs am Ende, als er sei­nen Ver­rat be­geht an Ehe­frau, Sohn, Stadt, Land, an Freun­den und an sich. So schweigt er in ei­ner stil­len „Über­ein­kunft un­ter Schwei­gen­den.“ Doch eben nicht im­mer. Im Dies­seits durch Krieg, Flucht und Nach­krieg ent­wur­zelt, wirft er Fra­gen auf, die uns die Zeit­läuf­te stel­len, nach dem etwa, was die deut­sche Ver­gan­gen­heit an Ab­la­ge­run­gen in der See­le hin­ter­las­sen hat, Fra­gen auch, die das Le­ben an je­den im­mer und über­all stellt, wie es denn zu le­ben sei, in die­sem Deutsch­land, das sein Selbst­ver­trau­en ver­lo­ren hat­te und noch un­ter Mü­hen da­bei ist, es wiederzufinden.
Drei deut­sche Wel­ten zwi­schen de­nen sich die Hand­lung spannt. Ein­mal die schle­si­sche Welt, eher als Ab­ge­sang ver­gan­ge­ner Zeit, die ost­deut­sche und DDR-Welt als Hoff­nungs­ent­wurf für die ei­nen, als blos­ser Ab­klatsch be­kann­ter Dik­ta­tur  für die an­de­ren und die west­deut­sche Welt, so als ma­te­ri­ell be­stimm­ter Ge­gen­ent­wurf zu den brot­ar­men Idea­len des Os­tens. Da­für schafft Wos­ni­ak Stand­bil­der, an de­nen sich der Le­ser fest­hal­ten kann. Das schle­si­sche Hei­mat­s­eh­nen, das brö­ckeln­de Ost-Schloss mit sei­nen mög­li­chen Aus- und Ein­sich­ten und West-Kli­schees, die gut be­ob­ach­tet und be­schrie­ben sind. Dazu ge­hö­ren auch ein­dring­li­che Men­schen­bil­der, Land­schafts­be­schrei­bun­gen, Na­tur­schil­de­run­gen und Be­hau­sun­gen. Häu­ser wer­den in Gär­ten ge­bet­tet. Und im­mer mal wie­der rü­cken Gar­ten­ar­beit, Gar­ten­stü­cke, Gärt­ne­rei­en ins Er­zähl­zen­trum in Sin­ne von „cul­tus“ (An­bau und Pfle­ge von Pflan­zen), auch von „kul­ti­vie­ren“ (be­bau­en, ur­bar ma­chen). Ein gu­ter Griff in die Sinnbilder.
Zim­mer wer­den aus­ge­stal­tet, meist karg, aber funk­ti­ons­ge­bun­den. Räu­me er­schlies­sen sich in den Be­we­gun­gen der Men­schen, die sie mit ih­ren Schrit­ten und Er­le­ben ver­mes­sen. Kon­kre­te Orte also. Und doch sind sie auch Nicht-Orte, die wir­ken, als wä­ren sie zu den Rän­dern hin un­dicht. Es sind nicht be­hei­ma­ten­de Orte, es ist, als öff­ne sich un­ter ih­nen ein Ab­grund, es ist, als wäre die Wirk­lich­keit nur ein Ras­ter – dar­un­ter dro­hen­des Dun­kel, auf dem auch über­fall­ar­tig so et­was auf­kom­men kann wie der ent­setz­li­che „Rotbart“-Mord ge­gen Ende des 1. Bandes.

Romanheld ist kein Sympathieträger

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Rein­hard Wos­ni­aks poe­ti­sche Ver­fah­ren in sei­nem neu­en Ro­man „Fel­o­nie“ sind kom­plex. Ein Buch aber auch, das zum Ver­wei­len bei For­mu­lie­run­gen, Wort­be­zü­gen, Bil­dern ein­lädt, vor al­lem zum Sin­nie­ren über das zen­tra­le Mo­tiv der Frei­heit, des Frei-Seins, des Sich-Ver­wei­gerns, des an­ge­pass­ten Mit-Tuns und schliess­lich des Dazwischen-Seins.

Rein­hard Wos­ni­ak er­reg­te die Auf­merk­sam­keit ei­ner his­to­risch in­ter­es­sier­ten Le­ser­schaft be­reits mit dem Ro­man „Sti­licho“ (1989), mit der deutsch-deut­schen Ein­heits­ge­schich­te „Sie sass in der Kü­che und rauch­te“ (1995) so­wie dem Es­say-Band „Mor­bis“ – eine Krank­heit in Eu­ro­pa (1998). In „Fel­o­nie“ ist es Max Gut­ten­tag, der in den Bann zieht. Zieht er auch Sym­pa­thie auf sich? Heu­te hies­se die Ant­wort wohl so man­cher Le­ser „nicht wirk­lich“ und meint, dass die Zen­tral­fi­gur des Ro­mans kein Held in der Rol­le des Sym­pa­thie­trä­gers sei. Zu be­kannt will dem Le­ser die Frei­heits­sehn­sucht schei­nen und zeit­gleich so fremd. Erst recht die Kon­se­quenz. Der Ver­rat. Zu schweig­sam, zu ver­klemmt ist die Haupt­fi­gur, um ein sym­pa­thi­scher Held zu sein.  Max Gut­ten­tag wirkt wie eine Fi­gur, die nie in der Ge­gen­wart an­kom­men kann. Zu viel hat sie zu jung er­lebt und nicht ver­ar­bei­ten kön­nen. So ist er bei al­ler Straff­heit und al­lem Ge­ra­de­aus-Den­ken ein irr­lich­tern­der Mann mit sei­nen Un­si­cher­hei­ten, die er auch wis­sent­lich an­de­ren auf­lädt. Na­tür­lich sei­ner Frau. Die­se toug­he, prak­tisch ori­en­tier­te und tä­tig zu­grei­fen­de Han­na, die nicht nach­zu­voll­zie­hen ver­mag, was die­sen Mann an ih­rer Sei­te so bo­den­los schwe­bend hält. Von den Not­wen­dig­kei­ten des All­tags fern. Auch als Va­ter eher ein Neh­men­der als ein Ge­ben­der. Ab­ge­ho­ben eben.  Es scheint dem Le­ser schon et­was ver­we­gen, mit die­sem Ty­pen eine Hand­lung zu we­ben, ja mit ihm eine fes­seln­de Fa­mi­li­en­sa­ga zu be­gin­nen – doch das Er­staun­li­che ge­lingt Wos­ni­ak. Denn der Au­tor lässt in ei­ner Art Such­be­we­gung durch die Bio­gra­phie der Fa­mi­li­en die­sen Mann auf Su­che sein. Dar­aus wer­den Stu­di­en über Ein­sam­keit und über ver­hee­ren­de See­len­zu­stän­de, wo Ge­müts­schä­den scharf aus­ge­leuch­tet wer­den. Max ge­rät da­bei lang­sam, aber fol­ge­rich­tig zu ei­nem Men­schen, der vor sich sel­ber auf der Couch liegt und dem nie­mand zu­hört, ab­ge­se­hen von ihm selbst. Et­was in ihm be­ginnt, in­ne­re Ta­pe­ten ab­zu­grei­fen, als sei er sel­ber ein lee­rer Raum mit alt­mo­di­schen Mus­tern der Ver­gan­gen­heit be­klebt. Die gilt es ab­zu­reis­sen, als könn­te das ei­nen Neu­an­fang basieren.

Komplexe poetische Verfahren

Wos­ni­aks poe­ti­sche Ver­fah­ren sind kom­plex. Er lockt mit der Fa­mi­lie Wil­denschwert und de­ren Sound des schle­si­schen Ge­müts in die All­täg­lich­keit, steigt mit Hie­ro­ny­mus Stamer in hoch­geis­ti­ge Sphä­ren und mit Prof. Huld­reich We­ber­sin­ke gar in wis­sen­schaft­li­che Di­men­sio­nen. Da­zwi­schen fin­den sich herr­li­che For­mu­lie­run­gen wie „die un­schle­si­sche Schmal­lip­pig­keit ih­res Mun­des“ oder „sich mit dem über­schau­ba­ren Er­folg sei­ner Be­mü­hun­gen ab­fin­den“ oder „Wol­ken­fet­zen von wi­der­li­cher Unentschlossenheit“.
Ein Buch, das zum Ver­wei­len bei For­mu­lie­run­gen, Wort­be­zü­gen, Bil­dern ein­lädt, vor al­lem na­tür­lich zum Sin­nie­ren über das zen­tra­le Mo­tiv der Frei­heit, des Frei-Seins, des Sich-Ver­wei­gerns, des an­ge­pass­ten Mit-Tuns und schliess­lich das Da­zwi­schen-Seins. Und (zum Schluss noch­mals be­tont): ein Buch, das auf eine Fort­set­zung hof­fen lässt.

Rein­hard Wos­ni­ak: Fel­o­nie – Ro­man, Edi­ti­on Cor­ne­li­us, 555 Sei­ten, ISBN 978-3954863679


Wolfgang Dalk - Glarean MagazinDr. Wolf­gang Dalk

Geb. 1943, nach dem Ab­itur Ar­mee­zeit und Stu­di­um Germanistik/Geschichte in Ros­tock, Pro­mo­ti­on zur Syn­ony­mie des Verbs, zahl­rei­che Ver­öf­fent­li­chun­gen zu Wer­ken der dar­stel­len­den und bil­den­den Kunst so­wie von Buch­re­zen­sio­nen, lebt in Rostock/D

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch die Re­zen­si­on über den Ro­man von Kon­stan­tin Sa­cher: Und er­lö­se mich
… so­wie zum The­ma Fa­mi­li­en­ge­schich­te über Jau­me Ca­bré: Das Schwei­gen des Sammlers

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