Esther Kinsky: Fremdsprechen – Das Übersetzen

Übersetzen – eine seltsame Könner-Kunst

von Karin Afshar

Ein Künst­ler – um vor­aus­zu­grei­fen – muss nichts wis­sen, ein Kön­ner al­les. Der Ti­tel die­ser Be­spre­chung wie auch der ers­te Satz grei­fen die An­fangs­sät­ze des letz­ten Ab­sat­zes aus Es­ther Kin­skys Buch „Fremd­spre­chen“ auf. Dar­in geht es ums Über­set­zen und ums Schrei­ben, denn Es­ther Kin­sky ist bei­des: Schrift­stel­le­rin und Übersetzerin.

Der „klei­ne Text“ (im­mer­hin auf 122 von 141 Sei­ten und in 10 Ka­pi­tel un­ter­teilt) ist ei­gent­lich ein Es­say und – das stellt die Au­torin gleich zu Be­ginn klar – kein Rat­ge­ber und kei­ne An­lei­tung für Über­set­zer. Wie es mir im­mer pas­siert, ist die­ses Buch ganz und gar nicht zu­fäl­lig in mei­ne Hän­de ge­langt: es hat mich ge­fun­den, sit­ze ich doch ge­ra­de an der Über­ar­bei­tung ei­ner Über­set­zung aus dem Per­si­schen ins Deut­sche. Also be­gin­ne ich mei­nen Dia­log mit dem Buch und mit Es­ther Kin­sky, und wir sind kei­ne ge­schlos­se­ne Ge­sell­schaft, denn Spra­chen und was mit ih­nen in Text­ge­we­ben ge­schieht, was mit uns ge­schieht in die­sen Bild- und Klang­wel­ten, geht nicht nur sie und mich an.

Sprache als Ausdruck des Verhältnisses zu den Dingen

Esther Kinsky: Fremdsprechen - Gedanken zum ÜbersetzenEi­nen Schritt zu­rück: Wie kommt sie denn auf die­sen Ti­tel? Fremd­spre­chen? Ein Ver­schrei­ber? In Ka­pi­tel 3 dazu eine Ge­schich­te, in der wir von Ver­traut­heit und Fremd­heit le­sen. Wir le­sen auch, dass Spra­che ei­ner­seits Kon­ven­ti­on ist, der wir uns zu beu­gen ha­ben, wenn wir von den Un­se­ren ver­stan­den wer­den wol­len. Und doch ist sie un­ser ei­gens­ter Be­sitz. Wir ha­ben ein per­sön­li­ches Ver­hält­nis zu den Din­gen in der Welt und zu den Wör­tern, mit de­nen wir sie be­zeich­nen. Wenn wir ei­ner uns frem­den Spra­che be­geg­nen, er­le­ben wir, dass die Din­ge nicht nur an­de­re Be­zeich­nun­gen be­kom­men, son­dern die Spre­cher die­ser Be­zeich­nun­gen dar­über­hin­aus ein an­de­res Ver­hält­nis zu den Din­gen ha­ben und völ­lig an­de­re Er­fah­run­gen mit ih­nen benennen.
Über­set­zen, schreibt Es­ther Kin­sky, ist das Um­be­nen­nen der Welt, in dem Be­kann­tes fremd­ge­spro­chen wird. Sie gibt le­sens­wer­te Bei­spie­le da­für. Je­der, der zwei oder mehr Spra­chen spricht, wird wei­te­re Ge­schich­ten bei­steu­ern können.

Vieles bleibt unübersetzbar

Esther Kinsky - Poetin Übersetzerin - Glarean Magazin
Es­ther Kinsky

Um die Fra­ge der Über­setz­bar­keit von sprach­li­chen Aus­drü­cken und Me­ta­phern, von Sprach­bil­dern und um de­ren Gren­zen geht es in den nächs­ten bei­den Ka­pi­teln. Man­ches ist nicht über­setz­bar! Spra­che ist eine Ord­nungs­stif­te­rin, und als sol­che tut sie dies un­ter­schied­lich in un­ter­schied­li­chen Spra­chen. Wir ver­sprach­li­chen z.B. das Kon­zept von Zeit un­ter­schied­lich und hand­ha­ben es auch so – wel­che Kluft kann sich da auf­tun! Ich sit­ze doch ge­ra­de dar­an: die per­si­schen Kon­zep­te von Li­nea­ri­tät in der Zeit sind ganz an­de­re als die deut­schen. Wie bzw. ob wir Vor-, Gleich- und Nach­zei­tig­keit aus­drü­cken, prägt un­se­re Wahr­neh­mung der Welt eben­so wie es die räum­li­chen Ein­tei­lun­gen in oben, un­ten, rechts und links tun. Beim Über­set­zen kön­nen die Un­ter­schie­de be­deu­ten, dass der Ver­such, die gram­ma­ti­schen Zeit­ver­hält­nis­se ei­ner frem­den Spra­che nach­emp­fin­den zu wol­len, zu ei­ner Ver­frem­dung des Tex­tes in der Über­set­zung führt. Die­ses wird dem Ori­gi­nal dann nicht mehr ge­recht. Eine Schluss­fol­ge­rung: Der Über­set­zer darf das Ori­gi­nal nicht ei­gen­mäch­tig ver­bie­gen – und in man­chen Fäl­len eine Un­über­setz­bar­keit akzeptieren.

Übersetzen ist Handwerk, Schreiben ist Kreativität

Was un­ter­schei­det nun den Schrift­stel­ler vom Über­set­zer? – Über­set­zend, schreibt Es­ther Kin­sky, pro­biert man ganz ver­schie­de­nes Hand­werk­zeug aus. Schrei­ben ist ein vor­ran­gig krea­ti­ver Pro­zess, Über­set­zen ein hand­werk­li­cher Vor­gang; der eine schafft Kunst, der an­de­re be­ar­bei­tet ein fer­ti­ges Material.
Der eine fliesst in und mit sei­nem Text, der an­de­re han­delt aus ei­nem Ru­he­zu­stand her­aus. Der Über­set­zer ist der Fremd­spre­cher des Ori­gi­nals, und wenn er es gut macht, dann ist er ein Kön­ner und doch auch ein Künstler. ♦

Es­ther Kin­sky: Fremd­spre­chen – Ge­dan­ken zum Über­set­zen, 141 Sei­ten, Matthes & Seitz Ver­lag, ISBN 978-3-88221-038-5

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