Lowell Liebermann: Little Heaven (CD)

Kleiner Himmel über Germanika

von Michael Magercord

Eine Aus­wahl von Lie­dern zu Tex­ten der deutsch-jü­di­schen Dich­te­rin Nel­ly Sachs, dem Stru­wel­pe­ter so­wie ei­nem Ge­dicht zu ei­ner deutsch-ame­ri­ka­ni­schen Lie­bes­be­zie­hung, und doch – der Hö­rer sei ge­warnt oder be­son­ders er­freut ge­stimmt: Die CD „Litt­le He­a­ven“ von Lo­well Lie­ber­mann ist es eine durch und durch ame­ri­ka­ni­sche Plat­te. Gut, die Tex­te sind alle auf Deutsch ge­sun­gen, oder we­nigs­tens in ei­ner Art von Ger­mang­lisch, und ja, die Mu­sik be­ruht auf der Lie­der­tra­di­ti­on, die vor al­lem im deutsch­spra­chi­gen Raum ihre Wur­zeln hat – trotz­dem: die­se CD kann so nur aus den USA kommen.

Häufig gespielter zeitgenössischer Komponist

Little Heaven - Songs by Lowell Liebermann - Albany RecordsKom­po­nist ist der 50-jäh­ri­ge US-Ame­ri­ka­ner Lo­well Lie­ber­mann aus New York. Sei­ne Wer­ke ge­hö­ren zu den meist­ge­spiel­ten zeit­ge­nös­si­schen Stü­cken. Die New York Times be­zeich­ne­te ihn als „eben­so Tra­di­tio­na­list wie In­no­va­tor“. Das al­lein macht die CD al­ler­dings noch nicht zu ei­ner ame­ri­ka­ni­schen, zu­mal Lo­well Lie­ber­mann ei­nen Teil sei­ner Lehr­zeit in Bay­reuth bei der ein­zi­gen Nazi-Geg­ne­rin im Wag­ner-Clan, Frie­de­lind Wag­ner, ver­bracht hat­te. Und sei­nen New Yor­ker Di­ri­gen­ten­leh­rer Lasz­lo Halasz zi­tiert Lie­ber­mann mit dem Aus­spruch: Seit Strauss, Bar­tok und Stra­win­sky kön­ne nichts mehr von Be­lang kom­po­niert wer­den. Der ge­reif­te Kom­po­nist Lo­well Lie­ber­mann be­stä­tigt die­se Aus­sa­ge, in­dem er sie wi­der­legt: Zwar schei­nen sich sei­ne Wer­ke durch­aus dem Erbe der ge­nann­ten Vor­gän­ger ver­pflich­tet zu füh­len, doch we­der fal­len sie da­hin­ter zu­rück, noch glei­ten sei­ne Wer­ke auf der neu­en Un­ter­hal­tungs­schie­ne à la Hol­ly­wood hin­ab. Auch die Ge­sangs­kunst auf die­ser CD ist vor al­lem in der Klar­heit der Spra­che her­vor­ra­gend. Oft wir­ken fremd­spra­chi­ge Sän­ger­par­tie­en et­was ge­stelzt, doch die an der Oper Frank­furt sin­gen­de Ame­ri­ka­ne­rin Bren­da Rae hat da­mit kein Problem.

Von Nelly Sachs bis zum Struwwelpeter

Lowell Liebermann (*1961) - Glarean Magazin
Lo­well Lie­ber­mann (*1961)

Was also macht die­se CD denn nun so ame­ri­ka­nisch? Es ist ein­mal die Zu­sam­men­stel­lung der den Lie­dern zu­grun­de lie­gen­den Tex­te: Zu­nächst sechs Ge­dich­te der No­bel­preis­trä­ge­rin Nel­ly Sachs. Sie wur­de 1891 in Ber­lin ge­bo­ren, mach­te sich zu­nächst ei­nen Na­men als ro­man­ti­sie­ren­de Dich­te­rin, ver­liess Deutsch­land 1940 ge­ra­de noch recht­zei­tig, ver­lor fast ihre gan­ze Fa­mi­lie im Ho­lo­caust. Die­se Er­fah­rung un­ter­lag seit­her ih­rer Dich­tung, auch je­ner, die Lie­ber­mann ver­tont hat. Ge­folgt wird sie von drei Epi­so­den aus dem Struw­wel­pe­ter, dem Kin­der­buch der Bra­chi­al­pädgo­gik aus dem Jah­re 1845, und ab­ge­schlos­sen schliess­lich von ei­nem deutsch-eng­li­schem Ba­nal-Poem über eine Be­zie­hungs­sto­ry um ei­nen Volks­wa­gen, six-pack-Bier und eine Frau Tur­bo­super­char­ger un­ter dem Ti­tel Ap­pa­la­chi­an Liebeslieder.

Zusammenstellung unterschiedlichster Gefühlswelten

Die Song-Sammlung
Die Song-Samm­lung „Litt­le He­a­ven“ von Lo­well Lie­ber­mann be­inhal­tet eine ge­wag­te Aus­wahl von Tex­ten in „klas­sisch-mo­der­ner“ Ma­nier. Von In­no­va­tio­nen bzgl. Klang­mus­ter bleibt der Hö­rer eher ver­schont, Lieb­ha­ber der ge­ho­be­nen „deut­schen Lied­tra­di­ti­on“ fin­den hier ver­trau­te Töne zu bis­lang un­ver­ton­ten Texten.

Man mag die Zu­sam­men­stel­lung ge­wagt oder ge­schmack­los nen­nen – oder aber eben „ame­ri­ka­nisch“. Noch er­staun­li­cher ist, dass die­se so un­ter­schied­li­chen Ge­fühls­wel­ten der Tex­te in der fast im­mer glei­chen Klang­wei­se dar­ge­bo­ten wer­den, näm­lich gu­ter, klas­si­scher ge­ho­be­ner Lie­der­tra­dii­ti­on ent­spre­chend: im­mer auf der Höhe des Emp­fin­dens. „Mei­ne Lie­be zur Mu­sik en­stand durch die Ein­wir­kung der gros­sen west­li­chen klas­si­schen Tra­di­ti­on auf mich. Das ist ein kon­ti­nu­ier­li­cher Zu­sam­men­hang, von dem ich ein Teil sein woll­te. Es gab ein Kli­schee über mo­der­ne Mu­sik, dass die­se im­mer mit der Tra­di­ti­on zu bre­chen habe, was ich als eine Art mar­xis­ti­sche Per­spek­ti­ve be­trach­te“, sagt Lo­well Lie­ber­mann. Ist also die­se CD mit ih­rer ris­kan­ten Zu­sam­men­stel­lung von letzt­lich ziem­lich ri­si­ko­lo­sen Stü­cken also nun im Um­kehr­schluss eine ka­pi­ta­lis­ti­sche? Nein, eher wohl eben doch eine amerikanische… ♦

Lo­well Lie­ber­mann: Litt­le He­a­ven – Six songs on Po­ems of Nel­ly Sachs für So­pran und Kla­vier / „Struw­wel­pe­ter­lie­der“ für So­pran, Vio­la und Kla­vier / „Ap­pa­la­chi­an Lie­bes­lie­der“ für So­pran, Ba­ri­ton und Kla­vier-Du­ett, Al­ba­ny Re­cords, Au­dio-CD, 53 Minuten

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Mu­sik für So­pran und Kla­vier auch über Zory­a­na & Ole­na Kush­pler: Sla­wi­sche See­len (CD)

… und zum The­ma Neue CD-Auf­nah­men auch über Chris­to­pher Wood: Requiem


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