Franz Schreker: Das Weib des Intaphernes (CD)

Ich bin (leider) Erotomane”

von Wolf­gang-Armin Ritt­meier.

Mit einem Augen­zwin­kern ist diese Selbst­ein­schät­zung des Kom­po­nis­ten Franz Schre­ker zu ver­ste­hen. Schliess­lich ent­stammt sie sei­ner sati­ri­schen Selbst­cha­rak­te­ris­tik, die im April 1921 in den Wie­ner “Musik­blät­tern des Anbruch” publi­ziert wurde. Schre­ker mon­tierte sie aus Kri­ti­ken, die bis dato zu sei­nen Wer­ken erschie­nen waren, und ihm als Kom­po­nis­ten und Men­schen sowie sei­nem Werk quasi alle denk­ba­ren und sich bis­wei­len völ­lig wider­spre­chen­den Eigen­schaf­ten zuspra­chen, so dass der kleine Text in der ver­zwei­fel­ten Frage gip­felt: “Wer aber – um Him­mels Wil­len – bin ich nicht?”

Franz Schreker - Das Weib des Intaphernes - CapriccioWer Franz Schre­ker war, das ist auch heute noch fast ein Geheim­nis, seine Musik bleibt ein Geheim­tipp. Bereits 1947, also nur 13 Jahre nach Schre­kers Tod, konnte Joa­chim Beck, der in den spä­ten zwan­zi­ger Jah­ren mehr­fach in Kurt Tuchol­skys “Welt­bühne” über den Kom­po­nis­ten geschrie­ben hatte, in der “Zeit” einen Arti­kel ver­öf­fent­li­chen, der den bezeich­nen­den Titel trägt: “Franz Schre­ker, ein Vergessener”.

Vom “Messias des neuen Musikdramas” zum verfemten “undeutschen” Juden

Franz Schreker (1878-1934)
Franz Schre­ker (1878-1934)

Wie konnte es dazu kom­men? Schliess­lich war Schre­ker zu Beginn des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts als der füh­rende deut­sche Opern­kom­po­nist, ja als Mes­sias des neuen Musik­dra­mas gefei­ert wor­den. Nun – Franz Schre­ker war Jude. Und als sol­cher gehörte er zu jenen Künst­lern, die im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land zunächst beschimpft, ver­femt und schliess­lich von der gleich­ge­schal­te­ten Musik­wis­sen­schaft als “undeutsch” aus der His­to­rie getilgt wer­den soll­ten. So liest man bei­spiels­weise in der “Geschichte der Deut­schen Musik” des stram­men Natio­nal­so­zia­lis­ten Otto Schu­mann (der nach Ende des Krie­ges ein­fach Fäden auf­hob und mun­ter wei­ter publi­zierte) zu Schre­ker: “Wie wahl- und sinn­los das Juden­tum in der Ver­him­me­lung sei­ner Gesin­nungs­ge­nos­sen vor­ge­gan­gen ist, zeigt das Bei­spiel von Franz Schre­ker. Obwohl in sei­nen orches­tra­len Farb­mi­schun­gen, sei­ner ver­stie­ge­nen Thea­tra­lik und schmei­cheln­den Gehalt­lo­sig­keit der voll­endete Gegen­satz zu Schön­berg, wurde er ‘in Fach­krei­sen’ als ein Gott der Musik geprie­sen. Dabei erklärt sich die­ser jüdi­sche Fach­ge­schmack ganz ein­fach dar­aus, dass Schre­ker in sei­nen Dir­nen- und Zuhäl­ter­opern die Ver­zü­ckun­gen käuf­li­cher Sinn­lich­keit mit allen Mit­teln des moder­nen ‘Musik­dra­mas’ fei­erte.” Fortan war Schre­ker aus dem öffent­li­chen Bewusst­sein ver­schwun­den, zumal er 1934 – wohl in Folge der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Hetze – einen Herz­in­farkt und einen Schlag­an­fall erlitt und ver­starb. Anders also als im Falle manch eines ande­ren Kom­po­nis­ten gab es keine Fort­set­zung des kom­po­si­to­ri­schen Schaf­fens im Ver­lauf des Drit­ten Rei­ches und nach Ende des Welt­krie­ges, die ihn im Bewusst­sein der Musik­in­ter­es­sier­ten hätte hal­ten können.

Schreker-Renaissance nicht in Sicht

Schre­kers Œuvre ver­sank in einem Dorn­rös­chen­schlaf, in dem es sich seit­her – man muss es trotz der zuneh­men­den Ver­su­che, seine Opern auf deut­sche Büh­nen zu brin­gen (wie in jün­ge­rer Zeit bei­spiels­weise am Bon­ner Thea­ter) und Ein­spie­lun­gen sei­ner Werke vor­zu­neh­men, sagen – immer noch befindet.

“Ver­schol­lene Übungs­sin­fo­nie des jun­gen Brahms?”: Beginn der Kammersinfonie

Bei genauem Hin­se­hen sind aber auch die Ein­spie­lun­gen sei­nes Wer­kes – mit eini­gen Aus­nah­men – nicht wirk­lich aktu­ell, sodass sich auch hier nicht die  Ten­denz zu einer ange­mes­se­nen Schre­ker-Renais­sance zeigt. Man muss dank­bar für das sein, was über­haupt vor­liegt. Auch die von Capp­ric­cio jüngst her­aus­ge­ge­bene 3 CD-Box bringt nicht wirk­lich etwas Neues, son­dern fasst Auf­nah­men des Labels zusam­men, die alle schon vor gerau­mer Zeit in Ein­zel­auf­nah­men erschie­nen sind. Inter­es­san­ter­weise steht im Zen­trum die­ser Auf­nah­men der “unbe­kannte Schre­ker”, was der Box wie­derum einen spe­zi­ell exo­ti­schen Cha­rak­ter ver­leiht. Unbe­kannte Werke eines mehr oder min­der unbe­kann­ten Kom­po­nis­ten vor­zu­le­gen scheint auf den ers­ten Blick so mutig, dass man wohl gewiss sein darf, dass es sich um ein Pan­op­ti­kum kom­po­si­to­ri­scher Gem­men han­deln muss. Das ist stre­cken­weise tat­säch­lich auch der Fall. Aus­ge­spro­chen fas­zi­nie­rend ist bei­spiels­weise die Ein­spie­lung des Melo­drams “Das Weib des Inta­pher­nes”. Sicher, die Text­vor­lage des Viel­schrei­bers Edu­ard Stu­cken (der – welch eine Iro­nie des Schick­sals! – im übri­gen ein regime­treuer Natio­nal­so­zia­list und Unter­zeich­ner des “Gelöb­nis­ses treu­es­ter Gefolg­schaft” war), ist lite­ra­risch mäs­sig. Dafür ist sie aus­ser­or­dent­lich far­big und gibt dem bes­tens auf­ge­leg­ten Spre­cher Gert West­phal reich­lich Gele­gen­heit zu glänzen.

Ein Mann der Oper

Schreker-Grab im Berliner Waldfriedhof Dahlem
Schre­ker-Grab im Ber­li­ner Wald­fried­hof Dah­lem (Wiki­pe­dia)

Die den Text psy­cho­lo­gisch aus­lo­tende Musik Schre­kers weist die­sen als das aus, was er im Grunde ist: ein Mann der Oper. Das 20 Minu­ten wäh­rende Werk, das eine Geschichte von Bos­heit, ver­derb­ter Lust, Ver­zweif­lung und Rache erzählt, erin­nert in sei­ner dunk­len musi­ka­li­schen Schwüle nicht sel­ten an Richard Strauss’ “Salomé”, und das WDR-Rund­funk­or­ches­ter unter der Lei­tung von Peter Gülke schafft es ohne ent­schei­dende Abstri­che, die iri­sie­rende Klang­welt Schre­kers sinn­lich zum Leben zu erwecken.
Glei­ches gilt für Schre­kers schon fast monu­men­tale Ver­to­nung des 116. Psalms, der durch Gülke, das WDR-Orches­ter sowie den WDR-Rund­funk­chor Köln mus­ter­gül­tig dar­ge­stellt wird. Wenig reiz­voll ist Schre­kers op. 1 – nicht so sehr auf­grund der Auf­nahme, son­dern als Werk. Hier hört man noch sehr viel Epi­go­na­les, bis­wei­len hat man das Gefühl, eine ver­schol­lene Übungs­sym­pho­nie des jun­gen Brahms zu hören.

Franz Schreker als Textdichter

Die zweite CD, die eben­falls WDR-Auf­nah­men Gül­kes umfasst, wid­met sich dem Lied­kom­po­nis­ten, Dich­ter und Arran­geur Schre­ker. Hier nun kann man bei allem Wohl­wol­len gegen­über Schre­ker nicht umhin, mehr Schwä­chen als Stär­ken erken­nen zu müs­sen. Der Text­dich­ter Schre­ker ist wenig inno­va­tiv und gänz­lich in sei­ner Zeit ver­haf­tet. Texte wie “Immer hatt’ ich noch Glück im Leben” oder “Wollte ich hadern mit Glück und Schick­sal” sind nach­ge­rade pein­lich. Da ändert auch die Rezi­ta­tion der Texte durch West­phal nichts. Die vor­ge­stell­ten Orches­ter­lie­der tei­len diese Schwä­che. Auch dass Mecht­hild Georgs schwe­rer Mezzo klang­lich nicht über­zeu­gen will und ihre Dik­tion oft mehr als mäs­sig ist, hilft nicht weiter.

Bild: Fazit der Rezension
Die vom CD-Label Capric­cio her­aus­ge­ge­bene Box mit Wer­ken Schre­kers ver­deut­licht sowohl die Stär­ken des abso­lut zu unrecht ver­ges­se­nen Kom­po­nis­ten als auch seine Schwä­chen. Ins­ge­samt eine ver­dienst­volle, auch qua­li­täts­voll ein­ge­spielte Zusam­men­fas­sung, die Lust auf das wei­tere Œuvre Schre­kers macht.

Die dritte CD bringt schliess­lich Schre­ker-Bear­bei­tun­gen für Kla­vier, die sein Schü­ler Ignaz Stas­vo­gel vor­ge­nom­men hat. Pia­nist Kolja Les­sing inter­pre­tiert die aus­ge­spro­chen gut bear­bei­te­ten Stü­cke klang­schön, durch­sich­tig und ohne jeg­li­che Sen­ti­men­ta­li­tät, die sich in der klei­nen Suite “Der Geburts­tag der Infan­tin” schnell ein­schlei­chen und den reiz­vol­len Minia­tu­ren den Cha­rak­ter von “Salon­mu­sik” ver­lei­hen könnte. Dabei ist Les­sings Spiel kei­nes­falls nüch­tern, son­dern durch­wegs enga­giert. Höhe­punkt die­ser CD ist Stas­vo­gels Bear­bei­tung von Schre­kers “Kam­mer­sym­pho­nie”, die nicht nur Les­sings stil­si­chere Her­an­ge­hens­weise unter­streicht, son­dern auch Stas­vo­gels Fähig­keit, die klang­li­che Viel­falt der Schre­ker­schen Orchestra­ti­ons­kunst kon­ge­nial auf das Kla­vier zu übertragen. ♦

Franz Schre­ker: Das Weib des Inta­pher­nes – Psalm 116 – Kam­mer­sin­fo­nie – Lie­der, Mecht­hild Georg, Gerd West­phal, WDR-Rund­funk­chor und -orches­ter, Peter Gülke, Kolja Les­sing, Capric­cio, 3 Audio CD

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema “Moder­nes deut­sches Musik-Thea­ter” auch über
Bernd Zim­mer­mann: Die Soldaten

… und zum Thema Neue Musik auch über die CD von
Lowell Lie­ber­mann: Little Heaven

aus­ser­dem in der Rubrik “Heute vor … Jah­ren” über die Oper von
Daniel Auber: Die Stumme von Portici

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