Alan Hovhaness: Exile-Symphony (CD)

Ich komponiere, weil ich komponieren muss“

von Wolf­gang-Ar­min Rittmeier

Ich kann die­se bil­li­ge Ghet­to-Mu­sik nicht hö­ren“. Das ist star­ker To­bak und nichts Ge­rin­ge­res als eine wahr­lich ver­nich­ten­de Kri­tik, zu­mal sie nicht von ir­gend je­man­dem stammt, son­dern von Leo­nard Bern­stein. Ziel des Spot­tes war die ers­te Sym­pho­nie des Tan­gle­wood-Sti­pen­dia­ten Alan Hovha­ness, der 1911 als Alan Va­ness Chak­mak­ji­an ge­bo­ren wur­de. Doch Bern­stein war nicht der ein­zi­ge Kom­po­nist in Tan­gle­wood, der nichts mit der Mu­sik des jun­gen Ame­ri­ka­ners ar­me­nisch-schot­ti­scher Her­kunft an­fan­gen konn­te. Auch Aa­ron Co­p­land lehn­te sei­ne Mu­sik strikt ab. Glei­ches gilt für Vi­gil Thomson.

Ablehnung durch die arrivierte amerikanische Musikwelt

Alan Hovhaness, Exile-Symphony - Boston Modern Orchestra ProjectDie Ab­leh­nung drei­er ein­fluss­rei­cher Män­ner der ame­ri­ka­ni­schen Mu­sik­welt mag ein Grund da­für sein, dass Hovha­ness‘ Mu­sik auch in Eu­ro­pa so gut wie un­be­kannt ge­blie­ben und so gut wie nie im Kon­zert­saal zu er­le­ben ist. Ein an­de­res Mo­ment, das dazu ge­führt hat, in den Krei­sen der eu­ro­päi­schen E-Mu­sik pein­lich be­rührt und mit ei­nem An­flug an Scha­mes­rö­te stand­haft an Hovha­ness vor­bei­zu­bli­cken, ist die schlecht zu leug­nen­de Tat­sa­che, dass sei­ne mu­si­ka­li­sche Spra­che schnell so klin­gen kann wie eso­te­risch an­ge­hauch­te, an asia­ti­schen Klän­gen ori­en­tier­te Ent­span­nungs­mu­sik. Räu­cher­stäb­chen, Man­tras, „Om“ und Hovha­ness als stim­mungs­vol­ler Sound­track. Der­lei kann man sich, be­schäf­tigt man sich nicht wei­ter mit Phi­lo­so­phie und Œu­vre des Kom­po­nis­ten, schon schnell als Mei­nung und end­gül­ti­ges Ur­teil zu­recht­le­gen. Spä­tes­tens je­doch, wenn der Hö­rer dann noch über ei­nes der po­pu­lärs­ten Wer­ke des Kom­po­nis­ten stol­pert, das pünkt­lich zu Be­ginn der Heydays der New-Age-Be­we­gung in den USA im Jah­re 1970 er­schien und den ver­däch­ti­gen Ti­tel „And God Crea­ted Gre­at Wha­les“ trägt, ist das letz­te Quent­chen Of­fen­heit ge­gen­über Hovha­ness da­hin. Denn wenn ei­ner hin­geht und auf Ton­band ge­bann­te Wal­ge­sän­ge in ei­ner klass­si­chen Kom­po­si­ti­on un­ter­bringt, so kann man doch wohl kaum noch von ei­ner ernst­zu­neh­men­den Kom­po­si­ti­on ei­nes ernst­zu­neh­men­den Kom­po­nis­ten re­den, oder?

Spirituelle Erneuerung durch die Kunst

Doch, man kann. Denn wen­det man sich weg vom all­zu ein­fa­chen Eso­te­rik-Vor­wurf, so kann man in Hovha­ness Kom­po­si­tio­nen, die in ih­rer Art voll­kom­men in­di­vi­du­ell sind, ei­nen Kon­tra­punkt zu der aka­de­misch ar­ri­vier­ten Mu­sik sei­ner Zeit (Co­p­land, Bern­stein) er­ken­nen. Denn brach­te Ame­ri­ka auf der ei­nen Sei­te den In­tel­lekt fo­kus­sie­ren­de se­ri­ell ori­en­tier­te Kom­po­nis­ten her­vor, so gab es mit Hovha­ness auf der an­de­ren Sei­te ei­nen na­tur­ver­bun­den Mys­ti­zis­mus, der aus der Über­zeu­gung des Kom­po­nis­ten her­vor­ging, dass die tech­ni­sier­te Ge­gen­wart die See­le des Men­schen zer­stört habe und der Künst­ler da­bei hel­fen müs­se, die Mensch­heit spi­ri­tu­ell zu erneuern.

Komponist Alan Hovhaness (Glarean Magazin)
Kom­po­nist Alan Hovhaness

Das er­kann­ten dann schliess­lich auch eine Rei­he an­de­rer Künst­ler wie bei­spiels­wei­se John Cage, Mar­tha Gra­ham, Leo­pold Sto­kow­ski und Fritz Rei­ner, die Hovha­ness un­ter­stütz­ten. Die­ses Jahr wäre er, der schliess­lich doch zu ei­nem der gros­sen al­ten Män­ner der ame­ria­ka­ni­schen Mu­sik­sze­ne auf­stieg, ein­hun­dert Jah­re alt ge­wor­den. Eu­ro­pa hat da­von kaum No­tiz ge­nom­men und auch der CD-Markt hat nicht all­zu­viel zu die­sem Er­eig­nis produziert.
Eine löb­li­che Aus­nah­me ist eine Pro­duk­ti­on des La­bels BMOP Sound, dem Haus­la­bel des „Bos­ton Mo­dern Or­ches­tra Pro­ject“, ei­nem der füh­ren­den ame­ri­ka­ni­schen Or­ches­ter im Sek­tor der neu­en Mu­sik. Grün­der und Di­ri­gent Gil Rose hat sich zum Hovha­ness-Jahr nicht lum­pen las­sen und eine Rei­he von Wer­ken des Kom­po­nis­ten auf ei­ner CD neu ein­ge­spielt, die vor­wie­gend aus des­sen frü­her Pha­se stam­men. Das frü­hes­te ist der 1933 ent­stan­de­ne „Song of the Sea“, und man darf glück­lich dar­über sein, dass die­ses zwei­tei­li­ge Stück für Kla­vier und Streich­or­ches­ter nicht je­ner gros­sen Ver­nich­tung von Früh­wer­ken an­heim ge­fal­len ist, die Hovha­ness zwi­schen 1930 und 1940 durch­ge­führt hat. Es prä­sen­tiert ei­nen Kom­po­nis­ten mit Sinn für gros­se, un­mit­tel­bar ver­ständ­li­che me­lo­di­sche Bö­gen und sinn­li­che Klang­far­ben, ei­nen Nach­fol­ger Si­be­l­i­us‘ und Ver­wand­ten Vaug­han Wil­liams – ei­nen spä­ten Spä­testro­ma­ti­ker also.

Die „Exile“-Symphonie

Die­ser kaum sechs Mi­nu­ten wäh­ren­den Mi­nia­tur mit dem herr­lich auf­spie­len­den BMPO un­ter Rose und ei­nem höchst de­li­kat ge­stal­ten­den John Mc­Do­nald am Kla­vier folgt die 1936 ent­stan­de­ne ers­te Sym­pho­nie, die den Bei­na­men „Exi­le“ führt. Das 1939 in Eng­land vom BBC Or­ches­tra un­ter der Lei­tung von Les­lie He­ward ur­auf­ge­führ­te Werk ge­denkt des Völ­ker­mor­ders an den Ar­me­ni­ern im Um­kreis der Jahr­hun­dert­wen­de vom 19. zum 20. Jahr­hun­dert. Höchst ein­drucks­voll er­hebt sich im ers­ten Satz (An­dan­te es­pres­si­vo – Al­le­gro) über ei­ner Os­ti­na­to-Fi­gur eine ori­en­ta­lisch an­ge­hauch­te kla­gen­de Kla­ri­net­ten­mel­die, die wei­ter durch die ein­zel­nen Holz­blä­ser­grup­pen wan­dert, wo­bei sie im­mer wie­der ein­mal durch „he­roi­sche“ Fan­fa­ren un­ter­bro­chen wird. Plötz­lich bre­chen ner­vö­se Strei­cher in die fei­er­li­che Kla­ge her­ein, die Stim­mung än­dert sich: krie­ge­ri­sche Ner­vo­si­tät kommt auf. Das ist wahr­lich nicht schlecht ge­macht, we­der was Mel­do­die­füh­rung, In­stru­men­ta­ti­on noch was die Dra­ma­tur­gie des Sat­zes an­geht. Ganz be­son­ders be­geis­tert die Spiel­kul­tur des BMPO, das mi­nu­ti­ös je­nen Wunsch um­setzt, den Hoh­va­ness ein­mal in ei­nem In­ter­view ge­gen­über Bruce Dif­fie ge­äus­sert hat: Er wol­le kei­nen Klang­brei, son­dern dass man je­den Ton der Kom­po­si­ti­on höre. Bes­ser als hier ge­sche­hen ist, kann man das kaum rea­li­sie­ren.. Herr­lich auch der an mit­tel­al­ter­li­che Tanz­wei­sen er­in­nern­de Ton des zwei­ten Sat­zes (Gra­zio­so), der die ru­hi­ge Stim­mung des vor­an­ge­gan­ge­nen An­dan­te es­pres­si­vo wie­der aufgreift.
Im drit­ten Satz, der bis­wei­len als „Tri­umph“ be­zeich­net wird, keh­ren die krie­ge­ri­schen Fan­fa­ren des ers­ten Sat­zes eben­so wie­der, wie die ner­vö­se Os­ti­na­to-Fi­gur der Strei­cher, jetzt je­doch ein­ge­bet­tet in eine wie­der­um al­ter­tüm­lich an­mu­ten­de Chor­al­me­lo­die, die das Werk zu ei­nem hym­ni­schen Ab­schluss bringt. In ei­ner sei­ner Be­wer­bun­gen für ein Sti­pen­di­um der Gug­gen­heim-Stif­tung schreibt Hovha­ness 1941: „Ich schla­ge vor, ei­nen he­roi­schen und mo­nu­men­ta­len Kom­po­si­ti­ons­stil zu schaf­fen, der ein­fach ge­nug ist, um je­den Men­schen zu in­spi­rie­ren, frei von Mo­de­er­schei­nun­gen, Ma­nie­ris­mus und fal­scher Bil­dung, da­für di­rekt, ehr­lich und im­mer ur­sprüng­lich, aber nie un­na­tür­lich.“ Die „Exi­le Sym­pho­ny“ hat die­ses Pro­gramm be­reits fünf Jah­re zu­vor umgesetzt.

Drei „Armenian Rhapsodies“

Im Hovhaness-Jahr präsentiert das Boston Modern Orchestra Project unter der Leitung von Gil Rose einen interessanten Einblick in das Frühwerk des hierzulande zu wenig bekannten Komponisten Alan Hovhaness. Neben einer eindringlichen Wiedergabe der
Im Hovha­ness-Jahr prä­sen­tiert das Bos­ton Mo­dern Or­ches­tra Pro­ject un­ter der Lei­tung von Gil Rose ei­nen in­ter­es­san­ten Ein­blick in das Früh­werk des hier­zu­lan­de zu we­nig be­kann­ten Kom­po­nis­ten Alan Hovha­ness. Ne­ben ei­ner ein­dring­li­chen Wie­der­ga­be der „Exi­le Sym­pho­ny“ und der drei „Ar­me­ni­an Rhap­so­dies“ prä­sen­tiert die­se CD erst­mals das hö­rens­wer­te „Con­cer­to for So­pra­no Sa­xo­pho­ne and Strings“. Ein ge­lun­ge­nes Plä­doy­er für ei­nen nicht sel­ten miss­ver­stan­de­nen Komponisten.

An die ar­me­ni­sche The­ma­tik schlies­sen die 1944 ent­stan­de­nen drei „Ar­me­ni­an Rhap­so­dies“ an. Das mu­si­ka­li­sche Ma­te­ri­al zu die­sen kur­zen Or­ches­ter­stü­cken stammt aus Hovha­ness‘ Zeit als Or­ga­nist der St. Ja­mes Ar­me­ni­an Apos­to­lic Church in Wa­ter­town. Tat­säch­lich sind die drei Rhap­so­dien zu­sam­men ge­nom­men ein Pan­op­ti­kum ar­me­ni­scher Folk­lo­re und Sa­kral­mu­sik. Da hört man leb­haf­te Tän­ze, erns­ten Hym­nen und un­tröst­li­che Wei­sen, al­le­samt für Strei­cher ge­setzt, wo­bei an In­ten­si­tät be­son­ders die tief emp­fun­de­ne, kla­gen­de drit­te Rhap­so­die hervorsticht.
Schliess­lich wird die CD ab­ge­run­det durch das spä­te Kon­zert für So­pran­sa­xo­phon und Streich­or­ches­ter aus dem Jah­re 1988, das – ob­gleich es aus­ge­spro­chen schön mu­si­ziert wird (her­vor­ra­gend: Ken­neth Rad­now­sky am Sa­xo­phon) – in die­ser Zu­sam­men­stel­lung ein we­nig fehl am Plat­ze wirkt. Denn ob­wohl Hovha­ness ein­mal sag­te, man kön­ne sei­ne spä­ten von sei­nen frü­hen Kom­po­si­tio­nen im Grun­de nicht un­ter­schei­den, so ist das doch nicht ganz rich­tig, und das Kon­zert für So­pran­sa­xo­phon ist da­für ein gu­tes Bei­spiel: Ob­schon Hovha­ness auch hier die kom­po­si­to­ri­schen Ele­men­te sei­ner Früh­zeit nutzt, so tritt in der Me­lo­dik der ar­me­ni­sche Ton­fall zu­rück und ein sphä­ren­haf­tes Idi­om, das seit der zwei­ten Sym­pho­ny (Mys­te­rious Moun­tain, 1955) Hovha­ness‘ Mar­ken­zei­chen ge­wor­den war, do­mi­niert. Zu­dem be­geg­net man tra­di­tio­na­lis­ti­schen mu­si­ka­li­schen Kon­ven­tio­nen. Im ers­ten und letz­ten Satz be­geg­nen wir gar der Fuge (Hovha­ness war le­bens­lang ein gros­ser Be­wun­de­rer der Bach’schen „Kunst der Fuge“), im zwei­ten ei­nem ent­zü­cken­den lang­sa­men Wal­zer und schliess­lich ei­nem Ab­schnitt, der wie eine Hom­mage an die Wie­ner Klas­sik an­mu­tet. Und doch: Schön ist es in je­dem Fall, das Werk nun über­haupt in ei­ner Ein­spie­lung vor­lie­gen zu haben. ♦

Alan Hovha­ness, Exi­le-Sym­pho­ny – Bos­ton Mo­dern Or­ches­tra Pro­ject, Au­dio-CD, BMOP/sound 2011


Wolf­gang-Ar­min Ritt­mei­er (Mu­sik)

Geb. 1974 in Hildesheim/D, Stu­di­um der Ger­ma­nis­tik und An­glis­tik, bis 2007 Lehr­auf­trag an der TU Braun­schweig, lang­jäh­ri­ge Er­fah­rung als frei­er Re­zen­sent ver­schie­de­ner nie­der­säch­si­scher Ta­ges­zei­tun­gen so­wie als So­list und Cho­rist, der­zeit An­ge­stell­ter in der Er­wach­se­nen­bil­dung – Wolf­gang-Ar­min Ritt­mei­er im Glarean Magazin

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Or­ches­ter­mu­sik auch über
Léo Wei­ner & Franz Liszt: Orchesterwerke

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