Vergessene Bücher (2): Die Offizierin (N. Durowa)

Aller „naturhaften“ Determinierung entzogen

von Marianne Figl

In Ös­ter­reich dis­ku­tiert man zur Zeit die Ab­schaf­fung der Wehr­pflicht. Mei­ne bei­den Söh­ne ha­ben ihre Pflicht im Zi­vil­dienst ab­ge­leis­tet und da­mals noch viel Spott über sich er­ge­hen las­sen müs­sen – also: Was fas­zi­niert mich an Na­desch­da Du­ro­wa, die­ser Frau, die vor ca. 200 Jah­ren ihr be­que­mes bür­ger­li­ches Le­ben ge­gen ein an­stren­gen­des, ge­fahr­vol­les und sehr schlecht ent­lohn­tes Da­sein als Kavallerist(in) ein­ge­tauscht hat­te, da­bei of­fi­zi­ell als Mann auf­trat und schliess­lich für ihre gross­ar­ti­gen Leis­tun­gen ei­nen der höchs­ten Or­den vom Zar er­hielt? Was ist es, das die­se Aben­teu­re­rin so an­mu­tig er­schei­nen lässt, dass sie in ih­rer Hei­mat fast wie eine Hei­li­ge ver­ehrt wird? Wer war über­haupt die Au­torin von „Die Of­fi­zie­rin“ – ei­ner Au­to­bio­gra­phie, von der heu­te kaum je­mand mehr redet?

Nächtens Mann und Kind verlassen

Nadeshda Durowa - Die Offizierin - Insel Taschenbuch Verlag
Na­desh­da Du­ro­wa – Die Of­fi­zie­rin – In­sel Ta­schen­buch Verlag

2012 jährt sich die Schlacht bei Bo­ro­di­no zum zwei­hun­derts­ten Mal; Russ­land zwang da­mals Na­po­le­on end­gül­tig zum Rück­zug. Die Du­ro­wa hat sich auch in die­ser Schlacht Lor­bee­ren ge­holt – die Au­torin von „Die Of­fi­zie­rin“ also eine blut­rüns­ti­ge Schläch­te­rin, ein Mann­weib, ver­bit­tert und ge­dan­ken­leer? Nein, eben nicht, eben ganz anders.
Na­tür­lich, sie ver­lässt näch­tens ih­ren Mann und ihr Kind, rei­tet fast ohne Ge­päck und Geld los in eine un­ge­wis­se Zu­kunft, um sich bei den durch­zie­hen­den Sol­da­ten­wer­bern als Jung-Of­fi­zier re­kru­tie­ren zu las­sen, eben zum Kampf ge­gen Na­po­le­on. Die Fra­ge also noch­mals an­ders­rum: Was trieb die­se ex­zel­len­te Rei­te­rin, die schon früh auf Bäu­me klet­ter­te, mit Pfeil und Bo­gen schoss, mit ih­rem Va­ter lan­ge Rit­te ins wil­de Ge­län­de un­ter­nahm, was trieb die blut­jun­ge Frau dazu, ihre weib­li­che Iden­ti­tät auf­zu­ge­ben und fort­an un­ter dem Na­men Alex­an­der Du­row zu le­ben, nach­dem sie ihr ge­sam­te Fa­mi­lie ohne alle Ver­ab­schie­dung flucht­ar­tig hin­ter sich ge­las­sen hatte?

Abscheu vor dem eigenen Geschlecht

„Alle na­tur­haf­ten De­ter­mi­nie­run­gen“ hin­ter sich ge­las­sen: Na­desh­da Durowa

Na­desch­da Du­ro­wa hat­te nie Schul­bil­dung ge­nos­sen, und doch brach­te sie es im Selbst­stu­di­um so weit, dass sie hei­mi­sche, fran­zö­si­sche und pol­ni­sche Li­te­ra­tur le­sen konn­te. 1994 brach­te Rai­ner Schwarz beim Kie­pen­heu­er Ver­lag eine ers­te deut­sche Über­set­zung ih­rer Au­to­bio­gra­phie her­aus: „Die Of­fi­zie­rin – Das un­ge­wöhn­li­che Le­ben ei­ner Ka­val­le­ris­tin“ (zwi­schen­zeit­lich auch im In­sel-Ta­schen­buch-Ver­lag ver­öf­fent­licht). Dar­in ist zu le­sen, dass Na­desch­da be­reits als Vier­zehn­jäh­ri­ge be­schliesst, ein Mann zu wer­den und zu den Sol­da­ten zu ge­hen. Und wört­lich wei­ter: „Zwei Ge­füh­le, die ein­an­der so wi­der­spre­chen – die Lie­be zu mei­nem Va­ter und die Ab­scheu vor mei­nem Ge­schlecht -, er­reg­ten mei­ne jun­ge See­le mit glei­cher Stär­ke und mit ei­ner Fes­tig­keit und ei­ner Aus­dau­er, wie sie ei­nem Mäd­chen in mei­nem Al­ter sel­ten zu ei­gen sind. Ich be­gann, ei­nen Plan zu über­le­gen, um die Sphä­re zu ver­las­sen, die dem weib­li­chen Ge­schlecht von der Na­tur und den Sit­ten be­stimmt ist.“

Nach dem persönlichen Gewissen gehandelt

... ist eine Essay-Reihe, in der das Glarean Magazin Werke vorstellt, die vom kultur-medialen Mainstream links liegengelassen oder überhaupt von der
… ist eine Es­say-Rei­he, in der das Glarean Ma­ga­zin Wer­ke vor­stellt, die vom kul­tur-me­dia­len Main­stream links lie­gen­ge­las­sen oder über­haupt von der „of­fi­zi­el­len“ Li­te­ra­tur-Ge­schich­te igno­riert wer­den, und doch von li­te­ra­ri­scher Be­deu­tung sind über alle mo­di­sche Ak­tua­li­tät hin­aus. Die Au­toren der Rei­he pfle­gen ei­nen be­tont sub­jek­ti­ven Zu­gang zu ih­rem je­wei­li­gen Ge­gen­stand und wol­len we­ni­ger be­leh­ren als viel­mehr er­in­nern und interessieren.

Na­desch­da Du­ro­wa nahm sich also die Frei­heit, über ihr Le­ben selbst zu ent­schei­den, sie mach­te sich un­ab­hän­gig – und zahl­te für die­se Frei­heit den Preis der Ein­sam­keit, der Ab­ge­schie­den­heit zwi­schen den Schlach­ten und Ein­sät­zen, die sie le­send und ihre Er­in­ne­run­gen auf­zeich­nend verbrachte.
Zehn Jah­re im Mi­li­tär­dienst, teil­wei­se auch im Win­ter, bei Re­gen und Wind, oft auf of­fe­nem Fel­de, je­den­falls im­mer in un­ge­heiz­ten Un­ter­künf­ten näch­ti­gend, doch nie wirk­lich krank wer­dend, ob­wohl ihre Er­näh­rung küm­mer­lich war… Den gan­zen Tag – oft auch mond­hel­le Näch­te nut­zend – jag­te sie zu­letzt als Or­do­nanz des Feld­herrn Ku­tusow auf ih­rem Pferd von Stel­lung zu Stel­lung, be­rühmt für ih­ren Mut, be­rüch­tigt für ihre kühl di­stan­zier­te Hal­tung ge­gen­über ih­ren männ­li­chen Kollegen…

Als ich von ih­rer Le­bens­ge­schich­te hör­te und las, hat Na­desh­da mein Herz be­rührt – ge­nau an der Stel­le, wo der Kant`sche „Her­zens­kün­di­ger“ sitzt: Die Du­ro­wa hat ge­han­delt, und ge­han­delt nach ih­rem ei­ge­nen Ge­wis­sen, um in der Frei­heit sich nicht in­stru­men­ta­li­sie­ren zu las­sen, auch nicht durch Ehe und Mut­ter­schaft, die­ser „na­tur­haf­ten De­ter­mi­nie­rung“ hat sie sich ent­zo­gen, ris­kie­rend nicht ver­stan­den zu wer­den, ein­sam zu blei­ben – aber frei. ♦


Marianne FiglMa­ri­an­ne Figl

Geb. 1946 in Wien, Stu­di­um Ma­le­rei & Gra­phik an der Hoch­schu­le für An­gew. Kunst/Wien; Ate­lier in Salz­burg & On­line-Ga­le­rie, Li­te­ra­ri­sche Tex­te in An­tho­lo­gien, lebt in Salzburg/A

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin aus der Rei­he „Ver­ges­se­ne Bü­cher“ auch von Wal­ter Ehris­mann: „So grün war mein Tal“ (R. Llewellyn)

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