Frank Martin: Messe für Doppelchor (CD)

Chormusik von grosser Gestaltungskraft

von Wal­ter Eigenmann

Mit dem Gen­fer Frank Mar­tin, dem Pa­ri­ser Fran­cis Pou­lenc und dem Kec­s­ke­mé­ter Zol­tán Ko­dá­ly grup­pie­ren Di­ri­gent Pe­ter Di­jks­tra und sein Baye­ri­scher Elitechor auf ih­rer ers­ten ge­mein­sa­men Disk spritu­ell in­spi­rier­te Chor­wer­ke drei­er so­wohl sti­lis­tisch und klang­äs­the­tisch wie kom­po­si­ti­ons­tech­nisch sehr un­ter­schied­li­cher Zeit­ge­nos­sen des frü­hen 20. Jahr­hun­derts. Ge­mein­sam wie­der­um ist die­sem Kom­po­nis­ten-Trio ihre längst „klas­si­sche“ Mo­der­ni­tät – und eben ihre bio­gra­phisch ver­bürg­te, ur­sprüng­li­che (wenn­gleich un­ter­schied­lich aus­ge­präg­te) Religiösität.

Von jubilierender Hymnik bis entrückter Sphärik

Frank Martin: Messe für Doppelchor - Kodaly: Missa brevis - Poulenc: Litanies a la Vierge Noire - Bayerischer RundfunkDie­se ist bei Mar­tin ge­ra­de durch sei­ne be­rühm­te Dop­pel­chor-A-ca­pel­la-Mes­se (in­ner­halb ei­nes rei­chen lit­ur­gi­schen bzw. geist­li­chen Vo­kal-Oeu­vres) re­fe­ren­ti­ell do­ku­men­tiert; auch Pou­lencs Schaf­fen ver­zeich­net ge­wich­ti­ge re­li­gi­ös mo­ti­vier­te Chor­kom­po­si­tio­nen, wäh­rend Ko­dá­lys Ge­samt­werk nur we­ni­ge, aber in­ter­es­san­te (al­ler­dings sel­te­ner auf­ge­führ­te) lit­ur­gisch in­ten­dier­te Wer­ke aufweist.

Chor des Bayerischen Rundfunks - Glarean Magazin
Der Chor des Baye­ri­schen Rund­funks bei der Probenarbeit

Pou­lencs 14 Li­ta­nei­en „à la Vier­ge Noi­re“ für drei­stim­mi­gen Frau­en­chor (hier in der Ori­gi­nal­fas­sung mit Or­gel ein­ge­sun­gen), mehr noch die acht­tei­li­ge „Mis­sa bre­vis“ Ko­dá­lys gar­nie­ren die­se Chor-CD mit teils üp­pi­ger Klang­sinn­lich­keit, teils ent­rück­ter Sphä­rik, dann wie­der mit ju­bi­lie­ren­der Hym­nik oder (kon­tras­tie­rend) mit in­brüns­tig de­kla­mie­ren­dem Me­di­tie­ren. Mass­geb­lich un­ter­ma­lend hier bei bei­den Wer­ken das re­gis­ter­si­che­re, dif­fe­ren­ziert ein­ge­hör­te Spiel des Or­ga­nis­ten Max Hanft (an der „ro­man­tisch“ dis­po­nier­ten Wöhl-Or­gel der Münch­ner Herz-Jesu-Kirche).

Eine Sache zwischen Gott und mir“

Musikalische Spiritualität von höchster Authentizität: Anfang des Credo aus der Messe für Doppelchor von Frank Martin
Mu­si­ka­li­sche Spi­ri­tua­li­tät von höchs­ter Au­then­ti­zi­tät: An­fang des Cre­do aus der Mes­se für Dop­pel­chor von Frank Martin

Den Schwer­punkt die­ser Disk bil­det je­doch Frank Mar­tins halb­stün­di­ge Dop­pel­chor-Mes­se, vom BR-Chor be­reits im Früh­ling 2007 mit dem erst 29-jäh­ri­gen Di­jks­tra im 1’500 Plät­ze gros­sen Or­lan­do-Saal der Ger­me­rin­ger Stadt­hal­le für das da­mals ex­tra neu ge­grün­de­te La­bel „BR-Klas­sik“ ein­ge­sun­gen. Mar­tins A-ca­pel­la-Mes­se, vom Kom­po­nis­ten fast sie­ben Jah­re lang buch­stäb­lich er­ar­bei­tet – Mar­tin: „Die­se Mes­se ist eine Sa­che zwi­schen Gott und mir“ – und erst 40 Jah­re nach ih­rer Ent­ste­hung ur­auf­ge­führt – Mar­tin: „Ich kann­te da­mals nicht ei­nen Chor­lei­ter, der sich für die­ses Werk hät­te in­ter­es­sie­ren kön­nen“ -, stellt in ih­rer rhyth­mi­schen Dif­fe­ren­ziert­heit, ih­rer klang­li­chen Ex­pres­si­vi­tät in al­len vier Stimm­la­gen, ih­rer Wei­te der Phra­sie­rung und At­mung, ih­rer satz­tech­ni­schen Durch­hör­bar­keit, ih­res wei­ten emo­tio­na­len Spek­trums vom qua­si-gre­go­ria­ni­schen Uni­so­no über fu­ga­ti­ve Struk­tu­ren bis hin zu clus­ter­ar­ti­gen Klang­schich­tun­gen höchs­te sprach- und in­ter­pre­ta­ti­ons­tech­ni­sche An­for­de­run­gen auch an Berufsensembles.

Lupenreine Intonation und dynamisch weites Spektrum

Eine gültige, auch liturgisch
Eine gül­ti­ge, auch lit­ur­gisch „un­be­fleck­te“ Zu­hö­rer­schaft in ih­ren Bann zie­hen­de, über wei­te Stre­cken gar mass­geb­li­che Neu­ein­spie­lung von Frank Mar­tins Mes­se für Doppelchor.

Der Chor sang eine nicht nur stets lu­pen­rein in­to­nier­te und mit enor­mem dy­na­mi­schem Spek­trum auf­war­ten­de, auch Mar­tins eng am Wort ori­en­tier­te Chor­mu­sik ex­pres­siv for­men­de, da­bei sehr stimm­prä­zis agie­ren­de CD ein, son­dern trans­po­nier­te ad­äquat den ho­hen spi­ri­tu­el­len, ur­per­sön­lich emp­fun­de­nen Ge­halt in Mar­tins Werk. Letz­te­res na­tür­lich v.a. Ver­dienst des Di­ri­gen­ten, dem of­fen­bar gleich­sam ein In­stinkt für die­se ges­ten­rei­che, buch­stäb­lich wort­rei­che lit­ur­gi­sche Vo­kal­mu­sik zur Ver­fü­gung zu ste­hen scheint. Da­bei ha­ben sich Di­jks­tra und sein Chor durch­aus ge­gen hoch­ste­hen­de In­ter­pre­ta­tio­nen an­de­rer For­ma­tio­nen durch­zu­set­zen, etwa des „Sixteen“-Ensembles un­ter Chris­to­pher (2005) oder des „West­mins­ter Ca­the­dral Choir“ (O’Donnell/1998). – Eine gül­ti­ge, auch lit­ur­gisch „un­be­fleck­te“ Zu­hö­rer­schaft in ih­ren Bann zie­hen­de, über wei­te Stre­cken gar mass­geb­li­che Produktion. ♦

Mar­tin: Mes­se für Dop­pel­chor / Ko­dá­ly: Mis­sa bre­vis / Pou­lenc: Li­ta­nies à la Vier­ge Noi­re; Chor des Baye­ri­schen Rund­funks / Pe­ter Di­jks­tra; La­bel BR-Klassik

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Or­gel­mu­sik auch über S. Ku­gel­mei­er: Dan­ke für die­sen gu­ten Mor­gen (Lied)

… so­wie zum The­ma Chor­mu­sik über die neue CD von Ri­chard Har­vey: Even­song – New Cho­ral Music

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