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Lebenslange frauenfeindliche Diskriminierung
von Walter Eigenmann
Anfangs des letzten Jahrhunderts erschien ein Buch von mir, von dem die zeitgenössische Presse schrieb, es schaue “von hoher Warte” mit prüfendem Blick und “strenger Selbstkritik” auf den Weg zurück, der mich “zu künstlerischer Höhe”, zu “ehrenden Triumphen” geführt habe. Und in der Tat darf ich für mich in Anspruch nehmen, dass mein kompositorisches Werk sogar ungleich produktiver und vielseitiger noch als jenes meiner Zeitgenossin Clara Schumann – deren Klavierschülerin ich übrigens eine Zeitlang war – ist; im Gegensatz zu dieser habe ich mich sehr schnell von der reinen Klavierkomposition, auch von den ausschliesslich kammermusikalischen Gattungen gelöst.
Anfeindungen als Komponistin

Allerdings musste ich mich als komponierende Frau auch jahrzehntelang mit übelmeinenden, ja betrügerischen Agenten, Dirigenten, Verlegern und Intendanten herumärgern, wobei ich nicht selten auf geradezu haarsträubende Frauenfeindlichkeit stiess. Oder wie soll man sonst das folgende Lob des damals hochberühmten Chef-Kritikers Eduard Hanslick über meine Arbeiten interpretieren: “Überall symmetrische Verhältnisse, gesunde Harmonie und Modulation, korrekt und selbständig einherschreitende Bässe, wie man sie bei einer Dame kaum vermuten würde…”
Geendet als mürrische alte Jungfer

Dass ich in meiner Jugend als hochbegabte Komponistin und Pianistin begann, doch im Alter an pathologischem Geiz erkrankte und mit meinen seltsamen religiösen Ideen als mürrisch-eigenbrötlerische Jungfer endete, hat meine feindliche, diskriminierende Lebenssituation, aber auch meine elitäre und unselbstständige Erziehung wesentlich mitverschuldet. Der folgende Klavier-Auszug zeigt eine Terzett-Passage aus meinem Oratorium.
Notenbeispiel

Also: Wer bin ich? ♦
Lesen Sie in dieser Rubrik auch Wer bin ich? (Woman Power 12 – Literatur)