Valeri Bronznik: 1.d4-Ratgeber (Schacheröffnungen)

Weisse Rezepte gegen die schwarze Giftküche

von Wal­ter Eigenmann

Der gebür­tige Ukrai­ner Valeri Bron­z­nik, sei­nes Zei­chens Inter­na­tio­na­ler Meis­ter und seit Jah­ren in Stutt­gart ansäs­sig, geniesst nicht nur als Spie­ler, son­dern auch als Buch­au­tor wie als Schach­päd­agoge eini­ges Anse­hen. Das Credo, dem dabei der rüh­rige IM als Schach-Coach und als Theo­re­ti­ker anhängt, erläu­tert er sel­ber einschlägig:
“Viele mei­nen, dass es völ­lig aus­rei­chend sei, eigene Par­tien mit dem Com­pu­ter zu ana­ly­sie­ren. “Fritz sagt, dass falls ich Lc1xh6 gespielt hätte, wäre es +2,7 für mich”; oder “Es war prak­tisch aus­ge­gli­chen, ich sollte nur Da1-h8 spie­len”. Wozu braucht man noch einen Trai­ner, wenn ein Schach­pro­gramm alles sofort sieht und zeigt?

Bronznik: 1.d4 - Ratgeber gegen Unorthodoxe VerteidigungenDie Ant­wort ist eigent­lich ein­fach. Kein Schach­pro­gramm erklärt Ihnen, wie Sie den rich­ti­gen Zug fin­den. Es erklärt Ihnen auch nicht, warum Sie die­sen, und nicht den ande­ren Plan ver­wirk­li­chen sol­len. In Ihren wei­te­ren Par­tien wer­den Tau­sende neuer Posi­tio­nen ent­ste­hen, aber kein Pro­gramm sagt Ihnen, mit wel­cher Vor­ge­hens­weise Sie die zukünf­ti­gen Pro­bleme lösen kön­nen. Kein Pro­gramm kann erken­nen, zu wel­chen Feh­lern Sie nei­gen, aus wel­chem Grund, und Ihnen dann eine ent­spre­chende Hilfe anbie­ten. Kein Pro­gramm zieht Psy­cho­lo­gie in Betracht, wel­che im Schach eine enorm grosse Rolle spielt.
Das alles lässt sich aber mit Hilfe eines qua­li­fi­zier­ten Trai­ners lösen. Und wenn Ihre Zusam­men­ar­beit mit ihm gut läuft, dann sehen Sie nach eini­ger Zeit, dass Sie das Schach­spiel viel bes­ser ver­ste­hen, in Ihren ver­schie­de­nen Tur­nier­si­tua­tio­nen viel bes­ser zurecht kom­men und folg­lich ein­fach bes­ser spie­len und davon mehr Spass haben.”

Ihr Gegner will Sie überraschen? Bleiben Sie cool!

Nun könnte man sol­cher­lei auf den ers­ten Blick als sim­pel-wort­hül­sige Reklame fürs eigene Gewerbe abtun, hätte Valeri Bron­z­nik den Tat­be­weis sei­ner Qua­li­tä­ten nicht längst auch in Form viel­be­ach­te­ter Buch­pu­bli­ka­tio­nen ange­tre­ten. Nach spe­zi­fi­schen Eröff­nungs-Mono­gra­phien (z.B. über “Tschi­go­rin” und “Colle”) sowie einem Posi­ti­ons­spiel-Lehr­buch (gemein­sam mit Ana­toli Terek­hin) wid­mete er sich nun ver­schie­de­nen Neben­li­nien gegen unge­wöhn­li­che schwarze Reak­tio­nen auf 1.d4; der Band nennt sich viel­sa­gend: “1.d4 – Rat­ge­ber gegen Unor­tho­doxe Ver­tei­di­gun­gen / Ihr Geg­ner will Sie über­ra­schen? Blei­ben Sie cool!”

Und in der Tat hat wohl jeder ambi­tio­nierte d4-Spie­ler gegen den schwar­zen Main­stream der Halb­of­fe­nen Spiele – der da ist: alle bekann­ten “gros­sen” Indi­schen Ver­tei­di­gun­gen inkl. Grün­feld und Benoni sowie natür­lich der ganze Damen­gam­bit-Kom­plex – seine Lieb­lings­pfeile im Eröff­nungs­kö­cher; wenn aber die Nach­zie­hen­den mit viel­ver­spre­chen­dem Exo­ti­schem daher­kom­men – z.B. betont Tak­tik-Las­ti­gem wie die Eng­lund-, Schara-Hen­nig-, Alb­ins-Gam­bite oder auch einer “gesun­den” Keres- oder Eng­lisch-Ver­tei­di­gung zuzüg­lich Buda­pes­ter Gam­bit -, dann kann das beim unvor­be­rei­te­ten Weis­sen schon mal die Schweiss­trop­fen der hoch­not­pein­li­chen Über­ra­schung auf die Stirn trei­ben (siehe auch unten­ste­hen­des Inhaltsverzeichnis).

Keine Eröffnungsbibel, sondern ein Wegweiser

Lesefreundliches Schriftbild, schönes Layout, inkl.
Lese­freund­li­ches Schrift­bild, schö­nes Lay­out, inkl. “Fazit”: Aus­zug der “Geier”-Analyse von Valeri Bronznik

Dage­gen nun fährt Valeri Bron­z­niks Ver­öf­fent­li­chung kräf­tig Geschütze auf – wobei er dezi­diert keine “Eröff­nungs­bi­bel” schrieb, son­dern eher ein “Weg­wei­ser”, der teils zwar bei kom­ple­xen Sys­te­men eine vari­an­ten­rei­che Bin­nen­glie­de­rung nötig machte, teils bei kla­re­ren “Fäl­len” auch eine ein­fa­chere Struk­tu­rie­rung des Mate­ri­als ver­wen­dete. Dem­entspre­chend bean­spru­chen “seriö­sere” Sys­teme – z.B. Keres-Ver­tei­di­gung, Ver­zö­ger­ter Stone­wall, Buda­pes­ter Gam­bit oder Eng­li­sche Ver­tei­di­gung – aus­führ­lich Raum, wäh­rend Wag­hal­sig-Unkor­rek­tes wie bei­spiels­weise Soller- bwz. Eng­lund-Gam­bit oder das Wusel mit ein paar weni­gen Sei­ten bzw. dem Hin­weis auf “natür­li­che Züge” für den Anzie­hen­den abge­fer­tigt wer­den konn­ten. Grund­sätz­lich redu­ziert Autor Bron­z­nik aber eigent­lich weit­ver­zwei­gen­des Vari­an­ten­ge­strüpp in wohl­tu­en­dem Prag­ma­tis­mus ein­fach auf ein beson­ders viel­ver­spre­chen­des Abspiel mit dem Hin­weis: “Die Vari­ante, die ich Ihnen emp­fehle, ist dar­auf ori­en­tiert, einen viel­leicht nicht sehr gros­sen, dafür aber sta­bi­len Vor­teil zu erhalten.”
Im Zuge sei­ner Unter­su­chun­gen greift dabei Bron­z­nik immer wie­der dezi­diert u.a. auf Arbei­ten des Müns­terer Schach­au­to­ren und Dort­mun­der Bun­des­li­gis­ten Ste­fan Bücker zurück, um des­sen umfang­rei­che Recher­chen in Sachen “Gro­teske Schacher­öff­nun­gen” kon­struk­tiv auf­zu­grei­fen bzw. kri­tisch zu hin­ter­fra­gen. Denn Kai­ssi­ber-Her­aus­ge­ber Bücker hat sich gerade als Experte für Unor­tho­do­xes einen Namen gemacht, so dass Valeri Bron­z­nik in ver­schie­de­nen Details die Arbeit des Müns­terer FIDE-Meis­ters zum will­kom­me­nen Aus­gangs­punkt sei­ner Aktua­li­sie­run­gen neh­men konnte.

Aktuelle theoretische Partien-Basis

Stich­wort Aktua­li­tät: dies­be­züg­lich ist diese d4-Abhand­lung Bron­z­niks über jeden Zwei­fel erha­ben – sowohl hin­sicht­lich des Par­tien- wie bezüg­lich des Vari­an­ten­ma­te­ri­als. Sogar die Grund­la­gen- bzw. Bei­spiel-Par­tien, wel­che das zu behan­delnde Sys­tem je ver­all­ge­mei­nernd umreis­sen, sind – im Gegen­satz zu ver­gleich­ba­ren Publi­ka­tio­nen – meist nicht älter als 10-15 Jahre, wei­ter­füh­rende exem­pla­ri­sche Games stam­men manch­mal gar aus dem Zeit­raum der letz­ten zwei Jahre. Auch hin­sicht­lich tak­ti­sche Akku­ra­tesse – ein in älte­ren Mono­gra­phien die­ser Art immer wie­der kri­ti­sches Ele­ment – befrie­digt Bron­z­niks Arbeit: der Autor hat offen­sicht­lich aus­führ­lich Gebrauch gemacht von moderns­ter Soft­ware, was die Gefahr von feh­ler­haf­ten tak­ti­schen Details mini­miert, und an ein­zel­nen Stel­len wer­den gar dezi­diert Ana­ly­se­er­geb­nisse von star­ken Schach-Pro­gram­men wie z.B. “Rybka” oder “Fritz” zitiert.

Konzipiert für alle Stärke-Levels

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Mit sei­nem neu­es­ten “Rat­ge­ber” für d4-Spie­ler, die geeig­nete Waf­fen gegen unor­tho­doxe schwarze Eröff­nungs­sys­teme suchen, prä­sen­tiert der Stutt­gar­ter IM Valeri Bron­z­nik eine qua­li­täts­volle Mono­gra­phie, die sehr ori­gi­nelle Rezepte vor­legt und dabei so man­che schwarze Über­falls-Idee ad absur­dum führt. Eine sehr inter­es­sante und emp­feh­lens­werte Pro­duk­tion aus dem Hause Kania.

Ein Knack­punkt bei vari­an­ten­ori­en­tier­ter Schach­li­te­ra­tur ist selbst­ver­ständ­lich immer wie­der die Aus­ge­wo­gen­heit von ver­ba­lem Beschrieb und kon­kre­ten Zug­fol­gen – und gerade hier auch über­zeugt Bron­z­niks schach­li­te­ra­ri­scher Ansatz. Das teils durch­aus enorm detail­rei­che Vari­an­ten­ma­te­rial in sei­nen oft star­ken Ver­äs­te­lun­gen wird vom Autor immer wie­der struk­tu­rie­rend unter­bro­chen mit stra­te­gi­schen Hin­wei­sen, posi­tio­nel­len Anmer­kun­gen, all­ge­mein­schach­li­chen Tipps – was in die­sem Mix auch das Spek­trum der Ziel­grup­pen wün­schens­wert dehnt: Der Band dürfte auf allen Stärke-Levels vom erfah­re­nen Ver­eins­ama­teur bis zum ambi­tio­nier­ten Open-Spie­ler mit Gewinn kon­sul­tiert wer­den; ers­tere wer­den die grund­sätz­li­che Ein­schät­zung eines Gam­bits bzw. eines Eröff­nungs­kom­ple­xes zu schät­zen wis­sen, die ande­ren die zahl­rei­chen kon­kre­ten, zwar ver­äs­tel­ten, aber nie aus­ufern­den Abspiele als Grund­lage für die eigene Eröff­nungs­ar­beit neh­men. Über den grund­sätz­li­chen Wert eines jedes vor­ge­stell­ten Sys­tems gibt dabei der Autor am Ende des jewei­li­gen Kapi­tels Aus­kunft in einem eige­nen “Fazit”, das die vor­aus­ge­gan­gene Ana­lyse mit einer Emp­feh­lung für den Weis­sen (oder ggf. einer War­nung für Schwarz…) zusammenfasst.

Qualitätsvolle Print-Ausgabe

Hilf­reich beim Buch­stu­dium ist dabei auch das dif­fe­ren­zie­rende Schrift­bild des Ban­des: Die Par­tie­fort­set­zung kommt in grös­se­ren, die Vari­ante in klei­ne­ren fet­ten, die wei­tere Unter­glie­de­rung in nor­ma­len Buch­sta­ben daher. Ver­bun­den mit einer über­sicht­li­chen Ein­zug- bzw. Absatz-Gestal­tung sowie einer wohl­do­sier­ten Dia­gramm-Ver­wen­dung unter­stützt das Über­sicht­lich­keit und Lese­fluss. Auch in Sachen Buch­druck über­zeugt die neue Pro­duk­tion aus dem Hause Kania vor­be­halt­los: Sta­bi­ler Hard­co­ver-Ein­band, schöne Faden­hef­tung, ästhe­ti­sches Lay­out mit tadel­lo­sem Dia­gramm-Druck auf qua­li­täts­vol­lem Papier – wenn­gleich dies alles nicht anders erwar­tet aus einem Schach-Ver­lag, der schon seit Jah­ren aner­kann­ter­mas­sen nicht auf Quan­ti­tät, son­dern auf Qua­li­tät setzt. Zum Preis von 20 Euro erhält der Schach­freund erneut also ein Schach­buch der mus­ter­gül­ti­gen Art, das in die­ser The­ma­tik und mit die­ser Qua­li­tät will­kom­men eine Lücke schliesst. ♦

Valeri Bron­z­nik: 1.d4 – Rat­ge­ber gegen Unor­tho­doxe Ver­tei­di­gun­gen, 236 Sei­ten, Kania Schach­ver­lag, ISBN 3-978-3-931192-37-2

Leseproben (Scans)

Valeri Bronznik: 1.d4 - Ratgeber gegen Unorthodoxe Verteidigungen (Probeseite)
Valeri Bron­z­nik: 1.d4 – Rat­ge­ber gegen Unor­tho­doxe Ver­tei­di­gun­gen (Pro­be­seite)

Inhalt

Einführung
TEIL I Verschiedene 1... Züge
Kapitel 01  Englund-Gambit und Verwandtes
Kapitel 02  Holländisches Benoni
Kapitel 03  Das Wusel
Kapitel 04  Die Polnische Verteidigung
Kapitel 05  Die Owen-Verteidigung
Kapitel 06  1...Sc6
Kapitel 07  Die Keres-Verteidigung
Kapitel 08  Die Englische Verteidigung
TEIL II Variationen im Damengambit
Kapitel 09  Die Marshall-Verteidigung
Kapitel 10  Die Österreichische Verteidigung
Kapitel 11  Die Baltische Verteidigung
Kpaitel 12  Albins Gegengambit
Kapitel 13  Das Schara-Hennig-Gambit
Kapitel 14  Der verzögerte Stonewall
TEIL III Indische Spezialitäten
Kapitel 15  Snake-Benoni
Kapitel 16  Der Geier
Kapitel 17  Das Fajarowicz-Gambit
Kapitel 18  Das Budapester Gambit
Kapitel 19  Black Knight's Tango
Literaturverzeichnis
Spielerverzeichnis
Index

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema “Schacher­öff­nun­gen” auch über
Mihail Marin: Die Eng­li­sche Eröffnung

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