Angela Mund: Hundegespräche (Satirische Fabel)

Hundegespräche

An­ge­la Mund

Ich glau­be ja, es ist ein Fluss.“ – „Nein, viel­leicht eher ein Äther!“ – „Es fliesst auf je­den Fall.“ – „Ja, fliesst die gan­ze Zeit.“ – „Ewig.“ – „Und un­se­re See­len schwim­men dar­in wie Kron­kor­ken in der Pfüt­ze.“ – „Klingt ir­gend­wie un­ly­risch, ver­such doch mal das: Schwim­men dar­in wie Fi­sche im Strom.“ – „Ja, und wenn man eine wich­ti­ge Er­kennt­nis hat­te, dann ist man so­zu­sa­gen eine Kur­ve wei­ter.“ – „Und das hört nie auf?“ – „Nein, nie­mals.“ – „Ich find ja auch das Strom-Mo­tiv ziem­lich stark, da­her auch sol­che Re­de­wen­dun­gen wie Von-Ei­fer­sucht-ge­schüt­telt, oder: Von-Freu­de-er­grif­fen“ – „Oder: Vom-Zorn-ge­packt.“ – „Ja, das ist stark, das hat Aus­sa­ge, da steckt ganz viel drin.“ – „Man wird da ein­fach mit rein­ge­ris­sen.“ – „Wich­tig ist aber auch die Ge­rech­tig­keit, der Aus­gleich, die Har­mo­nie der Din­ge.“ -„Ja, klar.“ -„Ich mei­ne, al­les, was man an­de­ren an­tut, wird ei­nem selbst an­ge­tan.“ – „Hm, aber letzt­lich wi­der­fährt man nur sich selbst.“ – „Das sa­gen doch auch die fran­zö­si­schen Exis­ten­zia­lis­ten, glaub ich.“
So sas­sen die bei­den al­tern­den Hun­de ein­an­der ge­gen­über und re­flek­tier­ten ihr Da­sein im An­ge­sicht des ewi­gen Kos­mos, wäh­rend der Last­wa­gen über eine schlecht ge­bau­te Stras­se fuhr und die Hun­de im In­nen­raum durch­ge­schüt­telt wur­den, als wol­le man sie mür­be wür­feln. Joe, ein 15-jäh­ri­ger Misch­ling, war in sei­nem Le­ben im­mer gut al­lei­ne durch­ge­kom­men, bis ihn die Ar­bei­ter ei­ner Che­mie­fa­brik in Thes­sa­lo­ni­ki fan­den, ab­ge­ma­gert, sein Fell zer­zaust wie ein Weih­nachts­baum Ende Ja­nu­ar, ein­ge­lebt zwi­schen den Kar­tons auf dem Fa­brik­ge­län­de. Aus­ge­rech­net ein deut­scher Ar­bei­ter hat­te Mit­leid mit ihm ge­habt und eine Tier­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on be­nach­rich­tigt. Die­se Gut­men­schen hat­ten dann auch nichts Bes­se­res zu tun ge­habt, als ihn sei­ner Woh­nung zu be­rau­ben, ihm die Eier ab­zu­schnei­den und in ei­nen we­nig kom­for­ta­blen Trans­por­ter nach Deutsch­land zu ste­cken. Aber ihn hat­te man ja nicht ge­fragt, knurr­te Joe.
Im Trans­por­ter herrsch­te eine licht­ver­ges­se­ne Dun­kel­heit, nur ab und zu fun­kel­te ein glän­zen­des Au­gen­paar auf, miss­trau­isch wie Früh­lings­knos­pen – die Enge war drü­ckend, dut­zen­de Hun­de la­gen dicht an dicht, je­der konn­te das ner­vö­se Zu­cken im Pelz des Nach­barn spü­ren, der Ge­stank er­goss sich in den Raum wie heis­ser Teer und liess selbst die Al­ten würgen.
Jack, ein Bo­xer mit rie­si­gen Lef­zen, nick­te be­däch­tig. Auch ihn hat­te die Tier­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on ge­kid­nappt, bloss weil er ziel­los über die Strän­de von Kor­fu lief, zu­frie­den mit den Strei­chel­ein­hei­ten der Tou­ris­ten und den paar Fisch­köp­fen, die ihm die al­ten Fi­scher abends, wenn sie vom Fang zu­rück­ka­men, zu­ge­wor­fen hat­ten. So dach­te man wohl, er hät­te kein Zu­hau­se mehr und müs­se so­fort ge­ret­tet wer­den, da­mit er als ein Ge­burts­tags­ge­schenk von den El­tern an ein kleid­tra­gen­des Men­schen­kind wei­ter­ge­reicht wer­den kann, die ihm dann eine Pup­pe auf den Rü­cken setzt, Kar­tof­fel­brei ins Fell schmiert und das für Lie­be hält.
Jack hat­te sich mit Bud­dhis­mus be­schäf­tigt und war über­haupt im All­ge­mei­nen sehr be­le­sen – das hat­te er von sei­nem ers­ten Herr­chen ge­lernt, ei­nem her­um­rei­sen­den Hip­pie, der ihn nach an­dert­halb Jah­ren Stras­sen­ur­laub aus Ver­se­hen in Grie­chen­land ver­ges­sen hat­te. Zu­min­dest kann­te er von ihm das Prin­zip der Wie­der­ge­burt und hielt vor den an­de­ren Hun­den um­fang­rei­che Vor­trä­ge dar­über, um die lan­ge Fahrt et­was an­ge­neh­mer zu ge­stal­ten. Jack und Joe hat­ten wäh­rend der Ple­nar­sit­zung am Rast­hof Ei­chel­born den Vor­schlag un­ter­brei­tet, noch eine schlech­te Tat zu be­ge­hen. Da­mit, so Jack, wür­de die Wahr­schein­lich­keit stei­gen, im nächs­ten Le­ben als Hund wie­der­ge­bo­ren zu wer­den. Die an­de­ren Hun­de nick­ten schwei­gend in tie­fem Ein­ver­ständ­nis, denn sie hät­ten sich in dem Mo­ment nichts Bes­se­res vor­stel­len kön­nen als ein Hun­de­le­ben im ewi­gen Äther.
Als der Trans­por­ter ge­ra­de wie­der los­fah­ren woll­te, gab Joe ein Zei­chen, und alle Hun­de be­gan­nen gleich­zei­tig zu jau­len und zu bel­len, was ihre mü­den Stimm­bän­der noch her­zu­ge­ben ver­moch­ten. Aus den Hun­de­keh­len dröhn­te das Ge­tö­se in al­len er­denk­li­chen Laut­stär­ken und Rhyth­men, die sich har­mo­nisch wie ein Cho­ral über den Rog­gen­fel­dern wie­der­fan­den und ge­mein­sam in den Him­mel em­por­stie­gen, um auch der höchs­ten Wol­ke die Töne ins Fleisch zu schla­gen, auf dass sie das Ge­bet in die Schwär­ze des Alls be­glei­ten möge. Man­che Hun­de zit­ter­ten schon vor Er­schöp­fung und rö­chel­ten mit letz­ter Kraft ihr Lied aus dem Leib, und je schwä­cher der eine wur­de, des­to lau­ter kläff­te sein Ne­ben­mann für ihn mit. Der Trans­por­ter hielt zö­ger­lich auf dem Stand­strei­fen an, die Tier­schüt­zer rie­fen sich auf­ge­regt ein paar Wor­te zu und öff­ne­ten die Hin­ter­tür des Wa­gens, um nach dem Wohl­erge­hen ih­rer Schütz­lin­ge zu schauen.
Da spran­gen alle Hun­de wild heu­lend aus der Dun­kel­heit des Ver­la­de­raums hin­aus in das gleis­sen­de Licht ei­ner un­ter­ge­hen­den Abend­son­ne, die ihre letz­ten Strah­len dem hundge­wor­de­nen Him­mel­fahrts­kom­man­do wid­men soll­te. Wie die Rei­ter der Apo­ka­lyp­se spran­gen sie den ver­wun­dert bli­cken­den Tier­schüt­zern ent­ge­gen, und in ih­ren Au­gen spie­gel­te sich die Igno­ranz de­rer, die aus­ser ih­rem Le­ben nichts zu ver­lie­ren ha­ben. Noch im Sprung sa­hen ihre ge­öff­ne­ten Mäu­ler aus wie die düs­te­ren Tore zur Un­ter­welt, und mit ei­ner Wucht, die das Al­ter der Hun­de ver­ges­sen liess, stürz­ten sie auf die Tier­schüt­zer, bohr­ten schar­fe Zäh­ne in leicht teil­ba­res Fleisch, um in we­ni­gen Se­kun­den die Tier­schüt­zer­kör­per zu zer­reis­sen, so dass ihre Ein­ge­wei­de in Fet­zen wie Schnee­flo­cken rot durch den Him­mel perl­ten und sach­te auf das Fell der Hun­de fie­len. Arme und Bei­ne wur­den de­mo­kra­tisch un­ter­ein­an­der ver­teilt. Selbst die Gros­sen wur­den satt davon.
Joe blin­zel­te zu­frie­den dem Rog­gen­feld ent­ge­gen: „Das soll­te rei­chen. Wir wer­den wohl kei­ne Men­schen mehr.“ Jack schmatz­te: „Jaja, fast so gut wie die Fisch­köp­fe früher.“ ♦


Angela Mund - Autorin - Glarean MagazinAn­ge­la Mund

Geb. 1986 in Illmenau/D, Stu­den­tin der Psy­cho­lo­gie, Kul­tur­wis­sen­schaf­ten und Me­di­en­päd­ago­gik, Ar­beit im Thea­ter­be­trieb als Re­gis­seu­rin und Au­torin, lebt in Leipzig

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