Bernd Giehl: Anmerkungen zum Schreiben von Gedichten

Nachdenken über Luxus 

Einige Anmerkungen zum Schreiben von Gedichten

von Bernd Giehl

Das klei­ne Ge­sicht im Wintermantel:
Trau­er­mund, War­te­au­gen, Schrittklein
in den Hof, den Stall, die Viehspuren
im Stras­sen­schmutz schon lang verwischt.
Wald­meis­ter­es­senz und Brunnenwasser
ge­gen den gros­sen Durst.
Ne­ben der Was­ser­bank eine Schöpfkelle.

Sig­frid Gauch: „Mor­gen­tod“

1.

32 Wor­te. So viel wie wir Nor­mal­sterb­li­chen sonst für drei Sät­ze be­nö­ti­gen. 32 Wor­te nur, aber ein Text, an dem das Auge hän­gen­bleibt, den man wie­der und wie­der liest, fast wie eine Of­fen­ba­rung, den man wahr­schein­lich nie mehr vergisst.
32 Wor­te. Ge­fun­den in ei­ner Spal­te na­mens „ZEIT­mo­sa­ik“ in der „ZEIT“ vom 28. Juni 97. Eine Spal­te, über die ich sonst schnell hin­weg­le­se; den Na­men des Ver­fas­sers, Sig­frid Gauch, habe ich vor­her noch nie ge­hört. Aber die­ses Ge­dicht rührt mich an, wie nur we­ni­ges sonst. Fast möch­te ich be­haup­ten: es ist „voll­kom­men“. Voll­kom­men wie eine Arie aus der „Mat­thä­us­pas­si­on“ von Bach. Oder wie ein Bild von Manet.

Über Schönheit nachdenken, wenn Hässlichkeit angesagt ist?

Und jetzt höre ich auch schon wie­der das Wet­zen der Mes­ser. Darf man das, über „Schön­heit“ nach­den­ken, wenn doch all­ge­mein eher „Häss­lich­keit“ an­ge­sagt ist? Seit Bau­de­lai­re sei­ne „Fleurs du mal“ schrieb, seit Rim­baud eine „Zeit in der Höl­le“ ver­brach­te, seit dem Be­ginn der „Mo­der­ne“ also in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts, lebt die Kunst – Ma­le­rei, Li­te­ra­tur, Mu­sik – doch eher von der Dis­so­nanz, der Be­schrei­bung des Häss­li­chen und Ab­stos­sen­den. Die Kunst re­agier­te da­mals auf die zu­neh­men­de Häss­lich­keit, her­vor­ge­ru­fen vor al­lem durch die In­dus­tria­li­sie­rung. Dass es seit­her auf­wärts ge­gan­gen wäre mit der Welt, kann man ei­gent­lich nicht behaupten.
Wäre also nicht statt des Nach­den­kens über Ge­dich­te ein flam­men­der Pro­test ge­gen den Af­gha­ni­stan-Krieg oder die ewi­gen Strei­te­rei­en der schwarz­gel­ben Re­gie­rung an­ge­sagt? Das al­les sind si­cher wich­ti­ge The­men. Und doch will ich hier nur eins tun: über Ge­dich­te nach­den­ken. Über das, was mich und si­cher auch an­de­re an ih­nen fasziniert.
Ver­mut­lich sind Ge­dich­te un­nö­tig. Wahr­schein­lich brau­chen wir viel eher Ar­beits­plät­ze als Ge­dich­te. Aber wer Brot hat, möch­te wo­mög­lich ir­gend­wann auch But­ter dazu. Das ist un­ver­schämt; ich weiss. Gut mög­lich, dass ei­nes Ta­ges der Ge­nuss ver­bo­ten wird, weil er un­mo­ra­lisch ist; in Ame­ri­ka sind sie ja schon so weit. So­lan­ge der Ge­nuss je­doch noch nicht ver­bo­ten ist, (so­lang man so­gar noch in der Öf­fent­lich­keit rau­chen darf), so­lan­ge kann man einst­wei­len noch über Ge­dich­te nach­den­ken. Und was es ei­gent­lich ist, das sie (oder je­den­falls man­che von ih­nen) über die Ba­na­li­tät all des­sen er­hebt, was täg­lich ge­re­det und ge­schrie­ben wird.

2.

Die Schön­heit von Ge­dich­ten also. Und zwar nicht von Goe­the- oder Ei­chen­dorff-Ge­dich­ten, son­dern von mo­der­ner Ly­rik. Auch ein Ge­dicht wie Goe­thes „Über al­len Wip­feln ist Ruh“ ist „schön“, aber wer heu­te noch so schrei­ben wür­de, wäre ein hoff­nungs­lo­ser Fall. Bil­der von er­ha­be­nen Gip­feln, von rau­schen­den Bä­chen, das geht nicht mehr; an ihre Stel­le muss an­de­res tre­ten. Auch die For­men sind an­de­re ge­wor­den; He­xa­me­ter und Jam­bus, das war ein­mal, ob­wohl es mitt­ler­wei­le auch wie­der Ge­dich­te mit End­reim gibt. Über­haupt ist es schwie­ri­ger ge­wor­den, von „Form“ zu spre­chen, wo so vie­le For­men sich auf­ge­löst ha­ben und neue For­men zwar ent­stan­den, je­doch nur schwer ab­zu­gren­zen sind. Zwi­schen ei­nem Ril­ke-Ge­dicht und ei­nem Ge­dicht von Erich Fried ste­hen Wel­ten, und wer das nicht glaubt, lege ein­mal Frieds „Mass­nah­men“ ne­ben die „Dui­ne­ser Elegien“.

Spannung in wenigen Zeilen

Und den­noch gibt es et­was, was Ly­rik ab­grenzt von Pro­sa, was sie er­kenn­bar macht. Wo eine Ge­schich­te oder ein Ro­man Zeit braucht, um sich zu ent­wi­ckeln, Span­nung zu er­zeu­gen oder was im­mer auch den Le­ser dar­an hin­dert, zur Fern­be­die­nung zu grei­fen, da muss das Ge­dicht in we­ni­gen Zei­len das Glei­che leis­ten. Und das kann es nur durch sei­ne be­son­de­re Spra­che, die so schwer zu be­nen­nen ist: „leuch­tend“ viel­leicht, oder „ver­dich­tet“. Da­bei spielt der Rhyth­mus im­mer noch eine gros­se Rol­le, und auch die Bil­der, die ein Ge­dicht ver­wen­det, sind wich­tig. Oft sind es un­ge­wohn­te, viel­fach nur an­ge­deu­te­te Bil­der, wie man an Gauchs Ge­dicht se­hen kann. Die­ses Ge­dicht be­sticht mit sei­ner Spra­che. Un­ge­heu­er kon­zen­triert ist sie, fast möch­te ich sa­gen: „sinn­lich“. Ver­kürzt ge­sagt: ein Ro­man kann not­falls auch mit ei­ner schwä­che­ren Form aus­kom­men; für ein Ge­dicht ist das tödlich.

Was ist die Besonderheit der lyrischen Sprache?

Fra­gen wir also ru­hig ein­mal nach der Be­son­der­heit der ly­ri­schen Spra­che. Und neh­men wir – pars pro toto – Gauchs Ge­dicht „Mor­gen­tod“ dazu. Was wahr­schein­lich als ers­tes bei die­sem Ge­dicht ins Auge springt, sind die un­ge­wöhn­li­chen Sub­stan­ti­ve in der zwei­ten Zei­le: „Trau­er­mund“ – doch ja, das könn­te man schon ein­mal ge­le­sen ha­ben; „War­te­au­gen“ – schon schwie­ri­ger; aber „Schritt­klein“ – das sieht nun doch schon sehr nach Neu­schöp­fung der Spra­che aus;. Was ja in der Ly­rik nichts Un­ge­wöhn­li­ches ist, auch wenn das Über­ra­schungs­mo­ment sonst eher in der Zu­sam­men­stel­lung der Bil­der liegt (un­über­treff­lich, auch hier, Paul Ce­lan, z.B. in „Spät und Tief“: „Bos­haft wie gol­de­ne Rede be­ginnt die­se Nacht/ wir es­sen die Äp­fel der Stummen …“)
Nun bringt der Ver­gleich mit Ce­lan nicht all­zu viel ein, denn die­ses Ge­dicht ist ei­gent­lich nicht „dun­kel“, auch wenn es sich ge­wiss nicht dem ers­ten flüch­ti­gen Le­sen er­schliesst. Wenn man ge­nau­er hin­sieht, er­kennt man, dass hier die Ver­ben feh­len. Ein paar Ad­jek­ti­ve und Prä­po­si­tio­nen; an­sons­ten nur Sub­stan­ti­ve. Die Per­son, die hier „han­delt“ ist ab­sicht­lich im Un­kla­ren ge­las­sen. Be­schrie­ben wird ei­gent­lich nur ihr Ge­sicht: „Das klei­ne Ge­sicht im Wintermantel:/ Trau­er­mund, War­te­au­gen, Schritt­klein“; mög­lich dass es sich um ein Kind han­delt, aber viel­leicht ist es auch ein Er­wach­se­ner, der an ei­nen Ort sei­ner Kind­heit zu­rück­kehrt. Die­ser Ort ist ein Bau­ern­hof. Der Brun­nen, der hier (wie­der­um in­di­rekt) er­wähnt wird, lässt Ver­gan­ge­nes er­ah­nen; mög­lich, dass die­ser Hof schon lan­ge nicht mehr be­wirt­schaf­tet wird. Al­len­falls als Woh­nung dient er noch, und doch ist er ein wich­ti­ger Ort für den Spre­cher, das „ly­ri­sche Ich“. Durch das Ge­dicht be­kommt die­ser Ort eine Be­deu­tung, die der rea­le Hof nie ge­habt hat. Die ge­woll­te Un­schär­fe der Be­schrei­bung – al­les wird nur an­ge­deu­tet – setzt die Phan­ta­sie des Le­sers in Gang. Er ist es, der den Zwi­schen­raum zwi­schen den Wor­ten fül­len muss mit ei­ge­nen As­so­zia­tio­nen. Sei­ne Er­in­ne­rung wird ge­braucht. Und das ist es wahr­schein­lich, was den Le­ser schliess­lich in sei­nen Bann zieht.

3.

Die Spra­che ist es also, die ein Ge­dicht aus­macht. Eine Spra­che, die eher an­deu­tet als be­nennt, die Zwi­schen­räu­me schafft, die es nö­tig macht, dass man zwi­schen den Zei­len liest. Sie kann fei­er­lich sein, un­ge­wohnt, sie kann mit un­ge­wöhn­lich zu­sam­men­ge­setz­ten Bil­dern ar­bei­ten, aber sie muss es nicht. Es gibt auch (schein­bar) la­ko­ni­sche Ge­dich­te; da­für ein Bei­spiel aus dem „Jahr­buch der Ly­rik 97/98“, (in dem ich spä­ter auch Gauchs Ge­dicht ge­fun­den habe):

Seit ich hier bin

Seit ich hier bin tra­ge ich Taschen
vol­ler Pa­pie­re, fah­re ich Fahrstuhl
te­le­fo­nie­re, trin­ke Kaf­fee wie ein Mann
mit Ter­mi­nen , lie­ge ich schlaflos,
in­ter­pre­tie­re, hus­te und rei­me, traurige
Tie­re, spen­de dem Gei­ger in der Passage
ei­nen Ge­dan­ken, was ist das Leben,
wenn nicht ein Gei­gen in den Passagen,
was kann er tun und was soll ich sagen:
Pfle­ge Kon­tak­te und streue Asche auf
dei­ne Akte. So ist das hier.

Hans Ul­rich Treischel

Auch hier wer­den, wie in „Mor­gen­tod“, Orte be­nannt. Aber im Ge­gen­satz zu dem ein­gangs be­spro­che­nen Ge­dicht sind es Orte, die nicht viel be­deu­ten: ein Büro, der Fahr­stuhl, eine Pas­sa­ge. Der Ton­fall ist lo­cker, iro­nisch. So ganz ernst scheint das „Ich“ in die­sem Ge­dicht sich nicht zu neh­men. Der, der hier spricht, ein An­ge­stell­ter of­fen­sicht­lich, schaut sich selbst über die Schul­ter. Na­tür­lich muss er so tun, als ob er ar­bei­te, aber er nimmt das al­les nicht so eng; wo­mög­lich schreibt er so­gar Ge­dich­te in sei­ner Arbeitszeit.

Das Leben: Ein Geigen in den Passagen?

Doch wenn man ge­nau­er hin­schaut, ist die La­ko­nie, die ei­nem förm­lich ent­ge­gen­springt, nichts als eine Mas­ke. Eine schwer greif­ba­re Trau­er spricht aus die­sem Ge­dicht, eine Trau­er über das mit Ak­ten und Ter­mi­nen ver­ta­ne Le­ben. Das Le­ben ist ein „Gei­gen in den Pas­sa­gen“; of­fen­sicht­lich wird der Stras­sen­mu­si­kant zu ei­nem Bild für das ge­schäf­ti­ge Le­ben, das den ar­men Stras­sen­mu­si­kan­ten dort ste­hen­lässt, wo er steht. Es gibt wohl kaum ei­nen un­ge­eig­ne­te­ren Ort für ei­nen Mu­si­ker als die Stras­se. Leu­te blei­ben kurz ste­hen und hö­ren zu, aber sie ha­ben kei­ne Zeit, das gan­ze Stück an­zu­hö­ren, also wer­fen sie eine Mark in den Gei­gen­kas­ten und ge­hen wei­ter. Lie­ber als hier zu ste­hen wür­de man an der Met spie­len oder bei den Wie­ner Phil­har­mo­ni­kern, aber was will man ma­chen, es gibt ein­fach zu vie­le Mu­si­ker, Künst­ler, Dich­ter, Menschen…
Es ist die Kunst die­ses Ge­dichts, die­se – doch eher schwe­ren – Ge­dan­ken hin­ter der (schein­ba­ren) Leich­tig­keit des Tons zu ver­ber­gen. Kunst­voll ist auch der Reim, der sich durch­zieht, aber nicht als End­reim, son­dern an den Zei­len­an­fän­gen, wo man ihn nicht beim ers­ten Le­sen be­merkt. Über­haupt muss man auch die­ses Ge­dicht mehr­mals le­sen, bis es sich ei­nem er­schliesst. Aber da­von spra­chen wir schon.

4.

Und da kommt mir nun ein Be­griff in den Sinn, der für mein Ver­ständ­nis von Li­te­ra­tur eine gros­se Rol­le spielt, den man aber auch auf Ly­rik im Be­son­de­ren an­wen­den kann. Es ist der Be­griff des Spiels. Ge­dich­te – so den­ke ich – „spie­len“ mit ih­rem Ge­gen­stand. Wor­aus auch im­mer sie ent­ste­hen – und das ur­sprüng­li­che Ma­te­ri­al kann so ba­nal sein wie es will -, sie ver­wan­deln die­ses Material.
Ge­dich­te spie­len mit Bil­dern, Rhyth­men, Rei­men, mit As­so­zia­tio­nen, Klän­gen, Be­deu­tun­gen, mit al­lem, was ih­nen zwi­schen die Buch­sta­ben ge­rät. Es ist ein Spiel, des­sen Re­geln sich nicht von vorn­her­ein fest­le­gen las­sen; aber na­tür­lich gibt es Re­geln, weil sonst das Spiel auf­hör­te, Spiel zu sein. Ge­dich­te schrei­ben ist ein hoch ar­ti­fi­zi­el­les Spiel; man kann es er­ler­nen, wie man das Jon­glie­ren er­ler­nen kann; man braucht dazu Be­ga­bung und ei­ni­ges an Übung.
Vor vie­len Jah­ren hat der Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Ma­rio An­dreot­ti in der Schwei­zer Li­te­ra­tur­zeit­schrift „Scrip­tum“ die as­so­zia­ti­ve Ver­knüp­fung an­sons­ten dis­pa­ra­ter Wort­grup­pen, das Weg­las­sen von Ver­ben und die Ver­knap­pung als Zei­chen ei­nes gu­ten Ge­dichts ge­nannt.  („Was ist heu­te ein gu­tes Ge­dicht? Über ei­ni­ge Kri­te­ri­en zeit­ge­nös­si­scher Ly­rik“, in: „Scrip­tum“ 21/95) Dies kön­nen Kri­te­ri­en für ein gu­tes Ge­dicht sein; sie ha­ben aber kei­nen Aus­schliess­lich­keits­cha­rak­ter, wie man an dem Ge­dicht von Treischel, aber auch an vie­len Ge­dich­ten von Brecht z.B. deut­lich er­ken­nen kann.

Sind Gedichte Luxus?

Sind Ge­dich­te also Lu­xus? Für die Ver­le­ger ganz be­stimmt; an ei­nem Ge­dicht­band ver­die­nen sie nur in den we­nigs­ten Fäl­len. Für die Le­ser wahr­schein­lich auch: sie in­for­mie­ren we­der über den Bör­sen­kurs noch ge­ben sie Hin­wei­se, wie die po­li­ti­sche Si­tua­ti­on zu ver­än­dern sei. Wo­mög­lich sind sie nicht ein­mal un­ter­halt­sam oder be­leh­rend, wie ein Ro­man das sein kann.
Mag sein, dass sie ein­fach nur spie­len: mit dem Klang, den Wor­ten, den Be­deu­tun­gen, mit der Spra­che. Dem „l’art pour l’art“ ste­hen sie meist nä­her als ein Ro­man oder eine Ge­schich­te. Ro­ma­ne müs­sen, Ge­dich­te kön­nen In­hal­te trans­por­tie­ren. Wo­mög­lich ist so man­ches Ge­dicht mehr dem schö­nen Klang ge­schul­det, als dass es wich­ti­ge Ge­dan­ken zu trans­por­tie­ren ge­habt hät­te, auch wenn ich na­tür­lich nicht ver­ra­te, an wel­che Ge­dich­te oder wel­chen Dich­ter ich den­ke. Auf die Klang­ge­dich­te z.B. ei­nes Franz Mon, die al­len Wert auf „Form“ le­gen, de­nen die Wor­te nur Ma­te­ri­al sind und kei­ne Bot­schaf­ten trans­por­tie­ren, sei hier nur am Ran­de hingewiesen.

Soll ein Gedicht einfach nur „Schönheit“ vermitteln?

Aber war­um soll ein Ge­dicht nicht ein­fach nur „Schön­heit“ ver­mit­teln? Oder das Spiel mit der Spra­che ins Ex­tre­me trei­ben, wie es die schon er­wähn­ten Poe­ten tun? Spra­che ist eben Be­deu­tung und Klang, und ge­nau das ist es, was Ge­dich­te sich zu­nut­ze ma­chen. Oder an­ders­her­um: ohne die­se Tat­sa­che wür­den Ge­dich­te gar nicht ge­schrie­ben wer­den können.
Doch ja, Ge­dich­te sind Lu­xus. Und der For­de­rung nach Häss­lich­keit kom­men sie auch eher in sel­te­nen Fäl­len nach. Man muss Lu­xus nicht mö­gen. Man kann durch­aus auch auf ihn ver­zich­ten. Manch­mal spre­chen Ge­dich­te – wie das ein­gangs zi­tier­te von Gauch – von Din­gen und Or­ten, die es (so) nicht mehr gibt.
Wer will, kann das für „re­ak­tio­när“ hal­ten. Ich für mei­nen Fall wür­de auf man­ches an­de­re lie­ber ver­zich­ten wol­len als auf Gedichte. ♦


Bernd Giehl

Geb. 1951 in Marienberg/D, Stu­di­um der Theo­lo­gie in Mar­burg, ver­schie­de­ne li­te­ra­ri­sche und theo­lo­gi­sche Pu­bli­ka­tio­nen, lebt als evang. Pfar­rer in Nauheim

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch den Li­te­ra­tur-Es­say von Ma­rio An­dreot­ti: Ist Dich­ten lernbar?

Ein Kommentar

  1. Man merkt, Bernd Giehl liebt Ge­dich­te. Und wenn er sie als Lu­xus be­zeich­net, ge­schieht das mit ei­nem gut trai­nier­ten Au­gen­zwin­kern. Für mich sind Ge­dich­te Luft – gute Luft in ei­ner Welt voll von Staub und Ab­ga­sen. Tat­säch­lich gibt es mehr Ge­dich­te Schrei­ben­de als man ahnt. Sol­ches Rin­gen mit der ei­ge­nen Spra­che macht selbst in den vie­len Fäl­len Sinn, die nicht zu all­ge­mein an­er­kann­ten Kunst­wer­ken füh­ren. Lei­der schre­cken noch weit mehr vor dem Ver­dich­ten ih­rer Ge­dan­ken zu­rück. Auch, weil es schwie­rig ist, ein kom­pe­ten­tes Echo zur Güte von Text­ver­su­chen von drit­ter Sei­te zu bekommen.

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