Bernhard Moosbauer: Vivaldi – Die vier Jahreszeiten

Differenzierte Analyse der „Quattro Stagioni“

von Walter Eigenmann

Klas­sik-Hits“ wie bei­spiels­wei­se Beet­ho­vens „Für Eli­se“, Mo­zarts „Nacht­mu­sik“, Straus­sens „Do­nau-Wal­zer“, Sme­ta­nas „Mol­dau“, Griegs „Mor­gen­stim­mung“ oder eben An­to­nio Vi­val­dis „Vier Jah­res­zei­ten“ zäh­len zu den welt­weit be­lieb­tes­ten Schla­gern der Mu­sik­ge­schich­te über­haupt, und ob­wohl durch den mo­der­nen Star- und Plat­ten­rum­mel der Un­ter­hal­tungs-In­dus­trie kom­mer­zi­ell ein­träg­lich zu pri­mi­ti­ven Gas­sen­hau­ern run­ter­ge­nu­delt, scheint sich ihr me­lo­di­scher Zau­ber und ihre emo­tio­na­le Kraft gleich­wohl über alle Hö­rer­ge­nera­tio­nen hin­weg tra­diert zu ha­ben. Dem­entspre­chend ist auch ihre Se­kun­där­li­te­ra­tur (à la „Kom­pakt­wis­sen“, „Clas­sic-Gui­de“, „Schnell­ein­stieg“ u.ä.) mitt­ler­wei­le ins Un­über­seh­ba­re ge­wach­sen – und auch dies Po­pu­lär­wis­sen­schaft­li­che längst ein ein­träg­li­ches Ge­schäft in der Buch­welt, un­be­se­hen sei­nes je­wei­li­gen ana­ly­ti­schen bzw. mu­sik­his­to­ri­schen Gehalts.

Minutiös am Notentext orientierte Monographie

Bernhard Moosbauer - Antonio Vivaldi - Die vier Jahreszeiten - Bärenreiter Verlag (Werkeinführungen)Mit qua­li­ta­tiv hoch­ste­hen­den, mi­nu­ti­ös am No­ten­text ori­en­tier­ten, da­bei alle re­le­van­ten his­to­ri­schen wie per­so­nal­sti­lis­ti­schen Da­ten in den Fo­kus rü­cken­den und stets mit streng wis­sen­schaft­li­chen Me­tho­den ar­bei­ten­den Mo­no­gra­phien ma­chen dem­ge­gen­über sol­che Buch­rei­hen wie bei­spiels­wei­se „Bä­ren­rei­ters Werk­ein­füh­run­gen“ von sich re­den. Eine neue Edi­ti­on die­ser Se­rie wid­met sich jetzt den vier wohl be­rühm­tes­ten Vio­lin­kon­zer­ten, den „Quat­tro Sta­gio­ni“ opus 8 / Nr. 1-4 aus dem Jah­re 1725 des ve­ne­zia­ni­schen „Pre­te rosso“ und Vio­lin­vir­tuo­sen An­to­nio Vivaldi.

Au­tor der 160-sei­ti­gen Werk­ein­füh­rung ist der deut­sche Mu­sik­wis­sen­schaft­ler und Do­zent, Ba­rock- und Klas­sik-Ex­per­te so­wie Kon­zert­or­ga­ni­sa­tor und Brat­schist Dr. Bern­hard Moos­bau­er. Aus­ge­hend von der ba­rock­his­to­ri­schen Si­tua­ti­on der Vi­val­di-Zeit und ih­res öf­fent­li­chen Mu­sik­le­bens über die Be­rück­sich­ti­gung der vier Jah­res­zei­ten in Kunst und Mu­sik bis hin zu be­griff­li­chen und the­ma­ti­schen Klä­run­gen der kom­po­si­to­ri­schen Vor­ga­ben Vi­val­dis wird je­des ein­zel­ne der vier drei­sät­zi­gen Kon­zer­te auf je­weils ca. 20 Sei­ten aus­gie­big vor­ge­stellt im Hin­blick auf sei­ne kom­po­si­to­ri­schen Ingredienzien.

Satztechnische Detailkenntnis und analytische Sorgfalt

Der auf­grund be­deu­ten­der Her­aus­ga­ben und als Be­treu­er mu­sik­his­to­ri­scher Pro­jek­te be­kannt ge­wor­de­ne Wis­sen­schaft­ler und Vi­val­di-Ken­ner geht da­bei sei­nen Ge­gen­stand mit ei­nem pro­fun­den mu­sik­his­to­ri­schen Wis­sen, mit tie­fer satz­tech­ni­scher De­tail­kennt­nis und mit ei­ner ana­ly­ti­schen Sorg­falt und Brei­te an, die for­ma­le Zu­sam­men­hän­ge dar­zu­stel­len ver­mag von der klein­mo­ti­vi­schen Bin­nen­struk­tur des Ein­zel­the­mas bis hin­auf in die gros­sen satz- und werk­über­grei­fen­den Be­zü­ge von Form und Aus­druck. Am Ende ei­nes je­den Kon­zert-Ka­pi­tels zieht Moos­bau­er je­weils ein über­grei­fen­des „Fa­zit“ sei­ner Betrachtungen.

Antonio Vivaldi - Die vier Jahreszeiten - Frühling - La Primavera - Anfangstakte - Glarean Magazin
An­to­nio Vi­val­di – Die vier Jah­res­zei­ten – Früh­ling – La Pri­ma­ve­ra – Anfangstakte

Au­tor Moos­bau­er ar­bei­tet, um den enorm dif­fe­ren­zier­ten kom­po­si­ti­ons­tech­ni­schen wie af­fek­ti­ven Ge­halt die­ser vier Vi­val­di-Kon­zer­te zu do­ku­men­tie­ren, mit ei­ner kon­se­quen­ten, om­ni­prä­sen­ten Ver­schrän­kung der bei­den Ebe­nen „Emo­tio­na­le In­ten­ti­on“ und „Kom­po­si­to­ri­sche Aus­prä­gung“, zieht hier­zu eine Fül­le von No­ten­bei­spie­len hin­zu, und macht da­mit die rhyth­mi­schen Ge­stalt­ty­pen eben­so wie die har­mo­nisch und mo­ti­visch über­grei­fen­den Ana­lo­gis­men der Sät­ze für den Le­ser plas­tisch. Be­son­de­re Be­deu­tung misst da­bei der Au­tor Vi­val­dis Um­gang mit Ton­art­fra­gen und -dis­po­si­tio­nen als ei­nem der zen­tra­len Kri­te­ri­en der ana­ly­ti­schen Be­trach­tung bei. Da­mit ge­lingt es Moos­bau­er, die durch­struk­tu­rier­te Ar­chi­tek­tur der Stü­cke zu mo­del­lie­ren, ihr kom­ple­xes Be­zie­hungs­ge­flecht dar­zu­le­gen, um so schliess­lich ein ge­schlos­se­nes Bild des gan­zen „Stagioni“-Zyklus her­stel­len zu können.

Nicht an den typischen „Klassik“-Hit-Hörer gerichtet

Bernhard Moosbauers Werkeinführung richtet sich nicht an den typischen
Bern­hard Moos­bau­ers Werk­ein­füh­rung rich­tet sich nicht an den ty­pi­schen „Klassik-Hit“-Hörer, der mit ei­nem CD-Book­let und ein paar Ve­ne­dig-Bild­chen zu­frie­den ist, son­dern an die Mu­sik­stu­den­ten­schaft, an die Mu­sik­lehr­kräf­te der gym­na­sia­len Ober­stu­fe und ans pro­fes­sio­nel­le Mu­sik-Feuil­le­ton; die­sen Le­ser­schich­ten wird eine der fun­dier­tes­ten „Stagioni“-Abhandlungen der letz­ten Zeit vorgelegt.

Bern­hard Moos­bau­ers Werk­ein­füh­rung „An­to­nio Vi­val­di: Die Vier Jah­res­zei­ten“ rich­tet sich nicht an den ty­pi­schen „Klassik-Hit“-Hörer, der mit ei­nem CD-Book­let und ein paar Ve­ne­dig-Bild­chen zu­frie­den ist, und auch nicht an den eif­rig di­let­tie­ren­den Klas­sik-Freund, dem in der Re­gel der ad­äqua­te mu­si­ka­li­sche Be­griffs­ap­pa­rat fehlt, son­dern an die Mu­sik­stu­den­ten­schaft, an die Mu­sik­lehr­kräf­te der gym­na­sia­len Ober­stu­fe und ans pro­fes­sio­nel­le Mu­sik-Feuil­le­ton; die­sen Le­ser­schich­ten prä­sen­tiert der Bä­ren­rei­ter-Ver­lag mit sei­ner neu­en Mo­no­gra­phie eine der fun­dier­tes­ten „Stagioni“-Abhandlungen der letz­ten Zeit. ♦

Bern­hard Moos­bau­er: An­to­nio Vi­val­di – Die Vier Jah­res­zei­ten, Werk­ein­füh­rung, 158 Sei­ten, Bä­ren­rei­ter Ver­lag, ISBN 978-3761815830

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Ba­rock­mu­sik auch über Mon­te­ver­di Choir: Eter­nal Fire (Bach-Kan­ta­ten)
… so­wie zum The­ma Mu­si­ker-Bio­gra­phie über die DVD-Bio­gra­phie von Glenn Gould: Ge­nie und Leidenschaft
Aus­ser­dem im Glarean Ma­ga­zin: Die Mu­sik-CD von Hol­ger Falk u.a: Il Gon­do­lie­re Veneziano

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