Hélène Cixous: Manhattan (Prosa)

Vom Scheitern einer Besprechung und vom Herantasten an eine Vorgeschichte

von Karin Afshar

Als ich ent­schied, das Buch „Man­hat­tan“ von Hé­lè­ne Cixous zu be­spre­chen, wuss­te ich nichts, aber auch gar nichts über die Au­torin. Das ist nichts Neu­es, denn vie­le Au­toren, de­ren Bü­cher ich bis jetzt be­spro­chen habe, sind ei­ner wei­te­ren Le­ser­schaft eher un­be­kannt. Dass ich die­se Au­torin aber hät­te ken­nen kön­nen, wur­de mir klar, als ich nach­forsch­te – neu­gie­rig ge­wor­den, be­vor ich das Buch in den Hän­den hielt: Cixous ist am 5. Juni 1937 in Oran (Al­ge­ri­en) ge­bo­ren, sie ist Schrift­stel­le­rin, Phi­lo­so­phin, Uni­ver­si­täts­pro­fes­so­rin (An­glis­tik); lebt und ar­bei­tet in Pa­ris und Ar­cachon als Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin und Phi­lo­so­phin, vor al­lem aber als Ro­man- und Thea­ter­au­torin hat Hé­lè­ne Cixous seit 1967 etwa 70 Bü­cher veröffentlicht.

Die Ursache des Schreibens, wo liegt sie?

 Hélène Cixous - Manhattan - Schreiben aus der Vorgeschichte - Passagen Verlag - Cover Glarean MagazinSchrei­ben aus der Vor­ge­schich­te“ heisst der Un­ter­ti­tel – was stel­le ich mir dar­un­ter vor? Das Buch be­ginnt mich zu in­ter­es­sie­ren, denn seit ge­rau­mer Zeit samm­le ich die Ge­schich­te mei­ner Fa­mi­lie müt­ter­li­cher- wie auch vä­ter­li­cher­seits, und da kommt ei­ni­ges zum Vor­schein. Er­zäh­lun­gen aus der Zeit, be­vor wir den­ken lern­ten, sind nicht zu un­ter­schät­zen. Sie kön­nen er­klä­ren, war­um man selbst ist, wie man ist, mit al­len Wun­den und ver­que­ren Mus­tern. Auf der Sei­te des Wie­ner Pas­sa­gen Ver­lags, in dem die Über­set­zung er­schie­nen ist, lese ich dies:
„Die Ur­sa­che des Schrei­bens, wo liegt sie? Im­mer wie­der warnt die Au­torin ihre Le­ser (im An­kün­di­gungs­text des Ver­la­ges): „Ich wer­de die­ses Buch nicht schrei­ben“, und doch bahnt sich das Buch Wege ans Licht der Sei­ten und um­schreibt in be­ben­den Ru­cken und hef­ti­gen Er­schüt­te­run­gen die zer­trüm­mern­de Be­geg­nung mit G.“

Radikal antitotalitär und dekonstruktiv

Hélène Cixous (geb. 1937)
Hé­lè­ne Cixous (geb. 1937)

Das Buch ist noch nicht da, von Wien nach Frank­furt dau­ert es mit der Post et­was län­ger, und ich wer­de jetzt doch sehr neu­gie­rig. Die Qual des Schrei­bens –  oh ja, die ken­ne ich! Ob ich eine See­len­ver­wand­te fin­de? Eine, mit der ich mich, ohne sie zu ken­nen, ver­ste­he und die mir, ohne dass ich sie dar­um ge­be­ten hät­te, Im­pul­se gibt? Wäh­rend­des­sen er­le­se ich über Cixous noch ei­ni­ges mehr:
„Hé­lè­ne Cixous‘ im­mer an der Ma­trix der fran­zö­si­schen Spra­che aus­ge­rich­te­tes li­te­ra­ri­sches Werk bringt ori­gi­nel­le und zu­gleich tra­di­ti­ons­ge­sät­tig­te Sprach­kunst­wer­ke her­vor, de­ren Be­zugs­po­le die ge­sam­te abend­län­di­sche Li­te­ra­tur­tra­di­ti­on in sich auf­neh­men: Ihr ex­pe­ri­men­tel­ler Schreib­stil ist sub­jek­ti­vis­tisch, zu­wei­len chan­giert ihre Pro­sa in ly­ri­sche Pas­sa­gen. Schrei­ben ist für Hé­lè­ne Cixous weib­li­che Selbst­er­kun­dung und Selbst­schaf­fung, die­ser fe­mi­nis­ti­sche An­satz wur­de von ihr ins­be­son­de­re wäh­rend ih­rer aka­de­mi­schen Tä­tig­keit pro­gram­ma­tisch ent­wi­ckelt. Hé­lè­ne Cixous schreibt ra­di­kal an­ti­to­ta­li­tär und prägt als de­kon­struk­ti­ve Sprach­den­ke­rin (zu­sam­men mit ih­rem ver­stor­be­nen Freund Jac­ques Der­ri­da) seit den 70er Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts die post­struk­tu­ra­le Li­te­ra­tur und Phi­lo­so­phie.“ (Er­win Rau­ner über Cixous)

Zusammenfallen von Schreibpraxis mit der Sinnenfreude

Philosoph Jacques Derrida - Dekonstruktivismus - Glarean Magazin
Be­grün­der des De­kon­struk­ti­vis­mus: Phi­lo­soph Jac­ques Derrida

De­kon­struk­ti­vis­mus – was war das noch gleich? Ich re­cher­chie­re auch dies und er­in­ne­re mich wie­der: Es hat et­was mit der Auf­lö­sung der bi­nä­ren Op­po­si­ti­on zu tun – also z.B. mit der Dua­li­tät von Mann und Frau oder dem do­mi­nan­ten Ge­sell­schafts­sys­tem und ei­nem da­ne­ben exis­tie­ren­den, an­ders struk­tu­rier­ten Sys­tem. Eine Frau, soll Cixous ge­sagt ha­ben, schrei­be des­halb nicht wie ein Mann, weil sie mit dem Kör­per spre­che. Weil das Pa­tri­ar­chat im­mer ge­herrscht habe, habe die Frau kei­ne ei­ge­ne Spra­che, und ihr Kör­per wer­de ihr ein­zig nutz­ba­res Mit­tel. Schreib­pra­xis und Sin­nen­freu­de fal­len bei ihr zu­sam­men – die weib­li­che Schreib­pra­xis ist ir­ra­tio­nal, nicht re­gel­haft und vol­ler Zerstörung.

Das Buch ist end­lich an­ge­kom­men. Es hat ei­nen schlich­ten grau­en Ein­band, ist ein Pa­per­back. Auch in­nen Schlicht­heit, ge­druckt auf gelb­li­chem Pa­pier, kei­ne wei­te­ren An­ga­ben z.B. zu be­reits im Ver­lag ver­öf­fent­lich­ten an­de­ren Bü­chern. Es er­scheint völ­lig auf den Text kon­zen­triert. Wor­um es geht?

Die Lie­be zu G. war nicht Lie­be zu G., son­dern in Wahr­heit Lie­be zur Li­te­ra­tur. Ja, dass es G. gar nicht gab, dass er Zi­tat, Ab­schrift, Imi­ta­ti­on und Zu­sam­men­schnitt aus den be­rau­schend be­rü­ckends­ten Wer­ken der Welt­li­te­ra­tur war – hät­te sie das ah­nen kön­nen oder sol­len, sie, die da­mals, 1965 in Ame­ri­ka, glaub­te, ei­nen jun­gen Mann na­mens Gre­gor zu lie­ben? Und wer, wenn nicht die ge­hei­men An­der­mäch­te der von ihr über al­les ge­lieb­ten Li­te­ra­tur hat­te die­sem G. die Schlüs­sel zu ih­rem We­sen in die Hän­de ge­spielt: ei­nen Na­men zum Bei­spiel, der klang­lich ihre ge­lieb­tes­ten Ver­stor­be­nen her­auf­be­schwor, oder ei­nen leich­ten Hus­ten und dann die Ein­ge­bung, ihr eine Lun­gen­krank­heit vor­zu­täu­schen mit ei­nem Schrei­ben aus Kaf­kas Brie­fen an Mi­le­na?“ (Ver­lags­in­fo).

Verworrenheit des Schreibstils

Die Verworrenheit, die die Protagonisten in Hélène Cixous'
Die Ver­wor­ren­heit, die die Prot­ago­nis­ten in Hé­lè­ne Cixous‘ „Man­hat­tan“ durch­le­ben, spie­gelt sich in ei­ner Ver­wor­ren­heit des Schreib­stils, ba­sie­rend auf den vie­len li­te­ra­ri­schen Be­zü­gen, wi­der – das Le­sen ist anstrengend…

Gut, ge­hen wir’s an. Ich set­ze mich mit dem Buch auf den Bal­kon, mit­ten zwi­schen mei­ne Bren­nes­seln, die die schöns­ten im gan­zen In­nen­hof sind, be­gin­ne zu le­sen. Aber ich kom­me nicht weit. Wir – das Buch und ich – be­kom­men kei­ne Ver­bin­dung. Die Sät­ze, die mir ent­ge­gen­fal­len, sind mir zu kon­stru­iert nicht­struk­tu­riert.  Die Art von Spiel mit der Spra­che ist mir fremd, so fremd, dass es kei­nen Grund gibt, mich da­mit aus­ein­an­der­zu­set­zen. Be­vor ich an ei­nen Punkt ge­lan­ge, an dem die Ge­schich­te viel­leicht rich­tig an­fängt, lege ich das Buch aus der Hand.
Der­glei­chen ist mir auch bei an­de­ren Au­toren pas­siert. Ich fand jene mit Ab­stand be­trach­tet al­le­samt zu sub­jek­ti­vis­tisch und zu sehr an De­tails ori­en­tiert, die ei­nen weg­füh­ren von dem, was der Kern ist. Sie ma­chen mich zu ei­ner Voy­eu­ris­tin: ich ste­he stau­nend oder be­frem­det vor den Re­flek­tio­nen der Prot­ago­nis­ten. Die Ver­wor­ren­heit, die die Prot­ago­nis­ten durch­le­ben, spie­gelt sich in ei­ner Ver­wor­ren­heit des Schreib­stils, ba­sie­rend auf den vie­len li­te­ra­ri­schen Be­zü­gen, wi­der – das Le­sen ist an­stren­gend. Na­tür­lich habe ich mir mei­ne Ge­dan­ken zu „Lie­be“ und Eman­zi­pa­ti­on oder Fe­mi­nis­mus ge­macht, und seich­te Li­te­ra­tur ist auch nicht, was ich suche.

Übersetzung als unmögliches Unterfangen

Im De­kon­struk­ti­vis­mus wird of­fen­sicht­lich tat­säch­lich et­was „zer­stört“, was mich wie­der­um ver­stört. Ich bin ja nun auch schon durch ei­ni­ge Wir­run­gen und Ir­run­gen des Le­bens ge­gan­gen und wenn ich ei­nen Prot­ago­nis­ten auf sei­nem Schmer­zens­weg be­glei­te, dann will ich nicht gleich­zei­tig Kal­kül ei­ner Kon­struk­ti­on sein, auf de­ren Rü­cken eine Theo­rie aus­ge­lebt wird. Die­ses Emp­fin­den habe ich bei vie­len Er­zäh­lun­gen der so­ge­nann­ten Moderne…

Er­wäh­nen will ich noch, dass mir eine Über­set­zung vor­liegt. Es ist im­mer eine gros­se Auf­ga­be, ein Ori­gi­nal in eine an­de­re Spra­che zu über­set­zen. Im Fal­le von Cixous wür­de ich sa­gen: es ist ein Un­ter­fan­gen, das na­he­zu un­mög­lich ist. Man muss sie ver­mut­lich im Ori­gi­nal le­sen, dies ganz un­ab­hän­gig vom Vor­ge­sag­ten und mei­nen Schwie­rig­kei­ten mit der „Mo­der­ne“.
Eins al­ler­dings hat das Buch in mir ge­weckt: den Wunsch, nun doch die Ge­schich­te zu schrei­ben, die von den Ab­grün­den in ei­ner Fa­mi­lie han­delt. Mehr noch als Wunsch: ich bin her­aus­ge­for­dert. Aber kei­ne Ban­ge: ich wer­de mein Buch eben­so we­nig schrei­ben, wie ich die­ses vor mir lie­gen­de le­sen werde. ♦

Hé­lè­ne Cixous, Man­hat­tan, Schrei­ben aus der Vor­ge­schich­te, Hg: Pe­ter En­gel­mann, Ü: Clau­dia Sim­ma, 212 Sei­ten, Pas­sa­gen Ver­lag, ISBN 9783851659269

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Mo­der­ne Li­te­ra­tur auch über Ma­rio An­dreot­ti: Die Struk­tur der mo­der­nen Literatur

… so­wie zum The­ma Ro­man-Re­zen­sio­nen auch über die Li­te­ra­tur-No­bel­preis-Trä­ge­rin Her­ta Mül­ler: Niederungen

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