Nesis & Alexejew: Königsindische Verteidigung (Schach)

Interessanter Ausflug zum „Königsinder“

von Mal­te Thodam

Seit lan­ger Zeit schon hat die Kö­nig­s­in­di­sche Ver­tei­di­gung alle Schach­spie­ler fas­zi­niert, die mit Schwarz so­fort eine un­ba­lan­cier­te Stel­lung er­rei­chen wol­len, um so den gan­zen Punkt zu er­kämp­fen. Un­ver­ges­sen blei­ben die Par­tien Fi­schers und Kas­pa­rovs, de­nen die­se Er­öff­nung ei­nen Gross­teil ih­rer Po­pu­la­ri­tät ver­dankt. In heu­ti­ger Zeit ist es haupt­säch­lich Rad­ja­bov, der im­mer wie­der neue Ideen im „Kö­nig­s­in­der“ fin­det, und ihn so­mit im­mer noch auf höchs­tem Ni­veau spiel­bar hält.
Weiss hat seit der Er­fin­dung die­ser Ver­tei­di­gung im 19. Jahr­hun­dert al­les ver­sucht, um sei­nen Raum­vor­teil in et­was Zähl­ba­res um­zu­wan­deln. Dies hat die ak­tu­el­le Theo­rie in ein wah­res Di­ckicht von Va­ri­an­ten ge­führt, in dem man schnell den Über­blick ver­lie­ren kann. Um das Stu­di­um die­ser klas­si­schen Kon­ter­eröff­nung zu er­leich­tern, hat der Fern­schach-Vi­ze­welt­meis­ter Gen­na­di Nesis im Joa­chim-Bey­er-Schach­ver­lag das Werk „Kö­nig­s­in­di­sche Ver­tei­di­gung – rich­tig ge­spielt“ ver­fasst, wo­für er sich den star­ken rus­si­schen Gross­meis­ter Jew­ge­ni Ale­xe­jew als Co-Au­tor ins Boot ge­holt hat.

Kein gängiges Eröffnungsbuch, sondern eine Partien-Sammlung

Auf­ge­baut ist das Buch aus ins­ge­samt fünf Ka­pi­teln, von de­nen je­des ein Haupt­sys­tem (Fi­an­chet­to-Sys­tem, Sä­misch, Klas­si­sches Sys­tem, Vier­bau­ern­va­ri­an­te) be­han­delt. Je­dem Ka­pi­tel wur­de eine kur­ze Ein­füh­rung vor­an­ge­stellt, die ne­ben all­ge­mei­nen In­for­ma­tio­nen auch ei­ni­ge his­to­ri­sche Fak­ten zu den be­han­del­ten Sys­te­men be­reit hält. Das Schluss­ka­pi­tel be­schäf­tigt sich mit den sel­te­ne­ren Ver­su­chen des Weis­sen, etwa dem Awer­bach-Sys­tem (1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.Le2 0-0 6.Lg5).

G. Nessis & J. Alexejew: Königsindische Verteidigung - richtig gespieltIn­ter­es­sant da­bei ist, dass nicht ein­fach die ver­schie­de­nen Va­ri­an­ten nach­ein­an­der „ab­ge­spult“ wer­den, wie es in klas­si­schen Theo­rie­bü­chern oft der Fall ist; das Buch ist eher als eine Par­tie­samm­lung auf­zu­fas­sen, nicht als gän­gi­ges Er­öff­nungs­buch. Da­bei ent­hält „Kö­nig­s­in­di­sche Ver­tei­di­gung – rich­tig ge­spielt“ so­wohl äl­te­re Par­tien als auch ak­tu­el­les Ma­te­ri­al bis 2008. Den Au­toren geht es eher dar­um, die Ideen der Er­öff­nung vor­zu­stel­len, statt eine Mas­se an Theo­rie auf­zu­be­rei­ten. Sie füh­ren den Le­ser mit Kom­men­ta­ren durch die zum gros­sen Teil wirk­lich sehr schö­nen Par­tien, die nicht sel­ten durch hüb­sche tak­ti­schen Poin­ten ent­schie­den werden.
Ein Bei­spiel aus der Par­tie Wang Yue – Ivan Che­pa­ri­now, FIDE-Welt­cup Chan­ty-Man­sisk 2007, sei hier kurz vor­ge­stellt: In die­ser Stel­lung nach dem 40. Zug von Weiss wäre die Um­wand­lung des Bau­ern d2 in eine Dame ein gro­ber Feh­ler, da hier­durch das Dau­er­schach durch die weis­se Dame mög­lich wür­de (40… d1 D?? 41.De7+ Kh6 42. Dg5+ Kg7 43.De7+ usw.). Doch Che­pa­ri­now spiel­te an die­ser Stel­le das star­ke 40… d1 S+! – der Zug ge­winnt ein ent­schei­den­des Tem­po und hält den schwar­zen Ma­te­ri­al­vor­teil fest, ge­gen den Weiss kein aus­rei­chen­des Ge­gen­spiel als Kom­pen­sa­ti­on verfügt.

Taktische Kenntnisse als Voraussetzung für nutzbringende Lektüre

Ab­wei­chun­gen von den Text­zü­gen bzw. Haupt­va­ri­an­ten der Par­tien wer­den eben­falls durch Va­ri­an­ten er­klärt, wo­bei hier (wie be­reits er­wähnt) kei­ne theo­re­ti­sche Voll­stän­dig­keit ge­ge­ben ist. Um das Buch ohne grös­se­re An­stren­gun­gen le­sen zu kön­nen, soll­te man über ge­wis­se tak­ti­sche Kennt­nis­se ver­fü­gen, da nicht im­mer al­les er­klärt wird, wie es z.B. in der „Starting-Out“-Reihe im Ver­lag „Ever­y­man“ der Fall ist. Für den fort­ge­schrit­te­nen Schach­freund, der sein Wis­sen über die Kö­nig­s­in­di­sche Ver­tei­di­gung auf­bes­sern will, fin­det sich al­ler­dings eine rei­che Pa­let­te an in­ter­es­san­ten Kämpfen.

Kö­nig­s­in­di­sche Ver­tei­di­gung – rich­tig ge­spielt“ stellt kein kom­plet­tes Re­per­toire­buch dar, son­dern ist für Schach­spie­ler ge­dacht, die ei­nen in­ter­es­san­ten Über­blick über die we­sent­li­chen Mo­ti­ve die­ser wich­ti­gen Schach-Er­öff­nung su­chen. Wer dem­ge­gen­über ein kom­plet­tes Re­per­toire­buch sucht, soll­te sich viel­leicht doch an­der­wei­tig um­schau­en, da die­ser Band dem ver­sier­ten Tur­nier­spie­ler hier­für ge­wiss nicht mehr aus­rei­chen wird. Die­sen An­spruch er­he­ben die bei­den Au­toren je­doch auch nicht, so dass ihr Werk ei­nen in­ter­es­san­ten Über­blick über die­se theo­re­tisch und prak­tisch glei­cher­mas­sen be­deut­sa­me Er­öff­nung dar­stellt und wich­ti­ge, in ihr stets wie­der­keh­ren­de Mo­ti­ve be­greif­lich macht. ♦

Gen­na­di Nesis / Jew­ge­ni Ale­xe­jew, Kö­nig­s­in­di­sche Ver­tei­di­gung – rich­tig ge­spielt, 204 Sei­ten, Joa­chim-Bey­er-Schach­ver­lag, ISBN 978-3888055003

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch über die
Schach-Zeit­schrift Cais­sa – Aus­ga­be 1-2018

Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)