Otto Taufkirch: Sechs „Brachys“ (Mikro-Texte)

Paare

Sicherheit

Die Bran­dung. Laut. Hoch. Es ist frü­her Nach­mit­tag. Neumondzeit.
Sie stei­gen die Fel­sen hin­un­ter. Das Licht ist grell. Weiss. Es kommt kei­ne Wel­le wirk­lich ans Land. Hans und Ute glau­ben das. Im­mer, wenn sie ans Meer ge­hen. Das ist die letz­te Si­cher­heit. Be­vor sie ertrinken.
Irgendwann.

Sorgen

Sie ste­hen im Schnee. Es ist dun­kel. Ein Zug ist aus­ge­fal­len. Der nächs­te hat Ver­spä­tung. Es schneit stär­ker. Zwei Frau­en la­chen. Dann kommt die Durchsage.
Ver­scho­ben auf un­be­stimm­te Zeit. Wit­te­rungs­be­dingt. Es ist der Jah­res­tag der Bom­ben­nacht. Oder sonst ei­ner Nacht. Sinn­los. Es ist sinn­los, sich Sor­gen zu machen.

Tausend Schirme

Eine Burg. Bernd und Ilse auf dem Weg. Steil. Fel­sig. Kur­ven. Ein  von Bo­den­wei­ler wohn­te da. Eng. Kalt. Oben  ein Turm. Ver­fal­len. Ohne Halt. Ohne Zin­nen. Ohne Ge­län­der. Bernd steigt auf die Brüs­tung. Es ist Sonntag.
Im April. Son­nig. Bernd weiss es. Auch dass es steil ist. Es ist wie beim Lö­wen­zahn. Wenn er stirbt, flie­gen tau­send Schirme.

Otto Taufkirch: Gouache
Otto Tauf­kirch: Gouache

Windstill

Es wird hell. Wind­still.  Wir ge­hen ins Tal. Die Nacht hat kei­ne Stim­me.  Es ist Sams­tag morgen.
Mar­ti­na hat Hals­schmer­zen. Auf dem Weg liegt eine  Rat­te. Tot.
Ein to­ter Baum. Vor­ne schim­mert das Was­ser. Als Flä­che. Hin­ten geht Max. Al­lei­ne. Spä­ter wird man sa­gen, er hat sich ver­lau­fen. Ein Sin­gu­lar ist lan­ge teil­bar. So lan­ge, bis Max ge­fun­den wird.

Hilfe

Die Ar­ka­den. Ein Mann. Eine weis­se Bank. Ein Arm. Der Mann mit ei­nem Arm. Ein Arm mit ei­nem Mann. Ein Stock. Karl und Ute ste­hen davor.
Vor dem Stock. Vor dem Arm. Vor dem Mann. Es ist Mon­tag. Die Kur­pro­me­na­de ist leer. Der Mann glaubt nicht an Gott. Er hat sei­nen Stock. Sei­ne Ar­ka­den. Sei­nen Arm. Karl und Ute flüch­ten. In die Liebfrauenkirche.
Was im­mer das ist. Seit sie ein Licht an­ge­zün­det ha­ben, sind sie ruhiger.
Für je­den gibt es eine Hilfe.

Sei ohne Tun…

Es ist  Ern­te­zeit, sagt Franz, wir müs­sen auf al­les ge­fasst sein.
Er hat es beim Früh­stück ge­sagt, bei­läu­fig, ohne Pathos.
Sie er­in­nert sich dar­an, viel später.
Dann kam al­les auf ein­mal, zu­erst der See­ne­bel, dann stürz­te die Gar­ten­mau­er ein. Der Wind frisch­te auf.
Die Ern­te­zeit nahm Franz mit. Auf die Rei­se. Er hat­te das Mar­cu­mar ab­ge­setzt. Er woll­te es nicht mehr.
Der Fluss wur­de ge­stoppt. Nichts was dann un­ge­tan blie­be, sagt Lao Tse.


Otto TaufkirchOtto Tauf­kirch

Geb. 1942; Ma­ler, Zeich­ner und Ly­ri­ker; zahl­rei­che Aus­stel­lun­gen in Deutsch­land, Ita­li­en, Frank­reich und Por­tu­gal; di­ver­se Ly­rik-Pu­bli­ka­tio­nen; lebt in Lauf/D

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