H.-J. Neumann & H. Eberle: War Hitler krank? (Befund)

Das Urteil: Vollumfänglich schuldfähiger Verbrecher

von Walter Eigenmann

Lan­ge Jah­re stand, an­ge­sichts von Mil­lio­nen Kriegs- und Mord-To­ten wäh­rend des deut­schen „Drit­ten Rei­ches“, für vie­le fest: Nur ein Wahn­sin­ni­ger, nur ein hoff­nungs­los kran­ker Psy­cho­path konn­te sol­che Zer­stö­rung, solch kol­lek­ti­ves Leid, solch ab­grund­tie­fe Un­mensch­lich­keit über die gan­ze Welt aus­brei­ten, und schon lan­ge vor Kriegs­en­de, also vor dem to­ta­len Zu­sam­men­bruch der Deut­schen und ih­rer Hit­le­rei, frag­ten sich die ob solch un­fass­ba­rer Bar­ba­rei Ent­setz­ten öf­fent­lich oder ins­ge­heim: War Adolf Hit­ler krank? Wur­de die welt­weit wü­ten­de Wehr­macht von ei­nem Dro­gen­ab­hän­gi­gen ge­führt? Hat ein kran­kes Hirn die Ab­schlach­tung von Mil­lio­nen Men­schen be­foh­len? War Ausch­witz wo­mög­lich „nur“ die Aus­ge­burt ei­nes per­ver­sen Mor­bi­den, der für sei­nen wahn­haf­ten Zu­stand „ei­gent­lich gar nichts konnte?“

Hans-Joachim Neumann - Henrik Eberle: War Hitler krank? Ein abschliessender Bericht - Lübbe VerlagDie­ser Fra­ge ge­hen nun, nach ei­ni­gen bis­he­ri­gen an­de­ren, the­ma­tisch ähn­lich ge­la­ger­ten Pu­bli­ka­tio­nen, die bei­den deut­schen Au­toren Prof. Dr. Hans-Joa­chim Neu­mann (Me­di­zin­his­to­ri­ker & Pa­tho­graph) und Prof. Dr. Hen­rik Eber­le (His­to­ri­ker) in ei­nem „ab­schlies­sen­den Be­fund“ un­ter dem Ti­tel „War Hit­ler krank?“ nach.
Auf über 300 Sei­ten brei­ten da­bei die zwei Wis­sen­schaft­ler Zeit- und ak­tu­ell re­cher­chier­te Do­ku­men­te aus: Me­di­zi­ni­sche Gut­ach­ten, phar­ma­ko­lo­gi­sche Ana­ly­sen, Zeit­zeu­gen-Ge­sprä­che, Ta­ge­bü­cher, Be­fehls-Un­ter­la­gen, Arzt-Be­rich­te, u.v.a. Und Sei­te um Sei­te de­mon­tie­ren die Au­toren den eben­so lang­le­bi­gen wie al­len be­trof­fe­nen Schul­di­gen zu­pas­se­kom­men­den My­thos von Hit­ler als ei­nem hin­fäl­li­gen Psy­cho­pa­then im Bun­ker der Reichs­kanz­lei, der von sei­nem Leib­arzt Mo­rell „ka­putt­ge­spritzt“ wor­den sei.

Keine schuldmindernden Erkrankungen

Unmittelbar nach Kriegsende exhumierten sowjetische Offiziere Hitlers verbrannte Überreste und stellten die Echtheit anhand seiner Zähne fest.
Un­mit­tel­bar nach Kriegs­en­de ex­hu­mier­ten so­wje­ti­sche Of­fi­zie­re Hit­lers ver­brann­te Über­res­te und stell­ten die Echt­heit an­hand sei­ner Zäh­ne fest.

Denn zwar be­strei­ten Neu­mann und Eber­le na­tür­lich nicht, dass die­ser vom Ras­sis­mus zer­fres­se­ne „Füh­rer“ un­ter ver­schie­de­nen Er­kran­kun­gen litt (u.a. Au­gen- und Hals-/Na­sen-Pro­ble­me, psy­cho­so­ma­ti­sche Ver­dau­ungs-Be­schwer­den, Blut­hoch­druck, Ko­ro­nar­skle­ro­se, spä­ter Par­kin­son,  evtl. Me­di­ka­men­ten-Miss­brauch), aber die weg­wei­sen­den Ent­schei­dun­gen traf Hit­ler schon früh, als ge­sun­der Mensch, und krank­heits­be­dingt war, wie die Buch­au­to­ren nach­wei­sen, kein ein­zi­ger sei­ner zahl­lo­sen de­struk­ti­ven Be­feh­le. Auch für eine schuld­min­dern­de Be­ein­träch­ti­gung in­fol­ge psy­cho­pa­tho­lo­gi­scher Er­kran­kun­gen fehlt je­der wis­sen­schaft­lich halt­ba­re Be­weis, wie Neu­mann und Eber­le dokumentieren.

Die bei­den Pa­tho­gra­phen wört­lich: „Die Kon­stel­la­ti­on sei­ner Fa­mi­li­en­ge­schich­te teil­ten Mil­lio­nen Deut­sche. Ein do­mi­nie­ren­der, mög­li­cher­wei­se ge­wal­tä­ti­ger Va­ter und eine über­für­sorg­li­che, viel­leicht zu sehr lie­ben­de Mut­ter wa­ren der Nor­mal­fall in ei­nem Haus­halt der vor­letz­ten Jahr­hun­der­te. Alle an­de­ren exo­ge­nen, also von aus­sen ver­ur­sach­ten see­li­schen Be­ein­träch­ti­gun­gen ge­hö­ren in das Reich der My­tho­lo­gie und der vor­sätz­li­chen Lüge. […] 

Fast das gesamte deutsche Volk jubelte seinem Führer begeistert zu (Video-Dokument:
Fast das ge­sam­te deut­sche Volk ju­bel­te sei­nem Füh­rer be­geis­tert zu (Vi­deo-Do­ku­ment: „Adolf Hit­ler spricht im Ber­li­ner Sportpalast“)

Hit­ler hass­te zwar, war aber im­mer in der Lage, sei­nen Wunsch nach Ver­nich­tung der Ju­den mit den Vor­stel­lun­gen der Ge­sell­schaft zu syn­chro­ni­sie­ren. Ge­ra­de die zahl­rei­chen tak­ti­schen Wen­dun­gen – etwa der Hit­ler-Sta­lin-Pakt mit der jü­disch-bol­sche­wis­ti­schen So­wjet­uni­on – zei­gen die zy­ni­sche Fle­xi­bi­li­tät sei­nes Handelns.

Ursachen von Hitlers Verbrechen in der deutschen Gesellschaft

Hitler im März 1945 an der Ostfront in einer Lagebesprechung. Er war gezeichnet von seiner Parkinson-Krankheit und konnte nicht mehr länger als eine halbe Stunde stehen; die zitternde linke Hand ist unter dem Kartentisch verborgen. Neumann&Eberle:
Adolf Hit­ler im März 1945 an der Ost­front in ei­ner La­ge­be­spre­chung. Er war ge­zeich­net von sei­ner Par­kin­son-Krank­heit und konn­te nicht mehr län­ger als eine hal­be Stun­de ste­hen; die zit­tern­de lin­ke Hand ist un­ter dem Kar­ten­tisch ver­bor­gen. Neumann&Eberle: „Sei­ne geis­ti­gen Fä­hig­kei­ten wur­den durch die Krank­heit nicht beeinträchtigt.“

So zy­nisch es klingt: Alle Ver­bre­chen, die er an­ord­ne­te und er­mög­lich­te, der Völ­ker­mord an den Ju­den, die Er­mor­dung von Sin­ti und Roma, Mas­sen­tö­tun­gen von Geis­tes­kran­ken, sind durch sein Agie­ren in den ge­sell­schaft­li­chen Hand­lungs-Spiel­räu­men er­klär­bar. […] Die wirk­li­chen Ur­sa­chen für die­se Ver­bre­chen sind in der deut­schen Ge­sell­schaft zu su­chen, in ih­rer Geis­tes­ge­schich­te und den so­zia­len Zusammenhängen.“

Neu­mann und Eber­le kom­men nach ih­rem 320-sei­ti­gen Re­port denn auch zu ei­nem ein­deu­ti­gen Ur­teil, ihr Be­fund ist er­nüch­ternd: „Der Krieg wur­de nicht ge­führt, und die Ju­den wur­den nicht ver­nich­tet, weil Hit­ler krank war, son­dern weil die meis­ten Deut­schen sei­ne Über­zeu­gun­gen teil­ten, ihn zu ih­rem Füh­rer mach­ten und ihm folgten.“ ♦

Hans-Joa­chim Neu­mann & Hen­rik Eber­le, War Hit­ler krank? – Ein ab­schlies­sen­der Be­fund, Lüb­be Ver­lag, 320 Sei­ten, ISBN 978-3-7857-2386-9

Leseprobe

Leseprobe 1: War Hitler krank? (Lübbe Verlag)
Le­se­pro­be: War Hit­ler krank? (Lüb­be Verlag)

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Ras­sis­mus auch von Pe­ter Fahr: Ras­sis­mus in der Schweiz

… so­wie zum The­ma Kul­tur in Nazi-Deutsch­land über die Bio­gra­phie von Tho­mas O. Kai­ser: Klaus Mann – Ein Schrift­stel­ler in den Flu­ten der Zeit

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