Manuel Friedel: Schach und Politik in der DDR

Zwischen sportlicher Höchstleistung und staatlicher Ideologie

von Thomas Binder

Die Ge­schich­te des Schach­s­ports in der DDR ist na­he­zu kom­plett un­er­forscht“, stellt Ma­nu­el Frie­del in sei­ner un­längst er­schie­ne­nen Un­ter­su­chung „Sport und Po­li­tik in der DDR am Bei­spiel des Schach­s­ports“ ein­lei­tend fest. In sei­ner Ba­che­lor-Ar­beit an der TU Chem­nitz hat der jun­ge His­to­ri­ker – über des­sen per­sön­li­chen Be­zug zum The­ma wir lei­der nichts er­fah­ren –  zu­min­dest für ei­nen wich­ti­gen Teil­be­reich die Grund­stei­ne gelegt.

Manuel Friedel: Sport und Politik in der DDR am Beispiel des Schachsports

Das schma­le Buch (der sub­stan­ti­el­le In­halt be­schränkt sich auf gut 40 Sei­ten) ist Er­geb­nis ei­ner um­fang­rei­chen For­schungs­ar­beit. Frie­del stan­den da­bei un­ver­öf­fent­lich­te Ar­chi­ve so­wie die Er­in­ne­run­gen von Zeit­zeu­gen (dar­un­ter Gross­meis­ter Wolf­gang Uh­l­mann und Rai­ner Knaak) zur Verfügung.
Sein Text ist als wis­sen­schaft­li­che Ar­beit ge­stal­tet. Jede Aus­sa­ge wird akri­bisch mit Quel­len be­legt, al­lein das Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis füllt 10 Sei­ten. Der Le­ser muss sich auf die­sen Stil  ein­las­sen.  Sen­sa­tio­nel­le Ent­hül­lungs­ge­schich­ten oder rüh­ren­de Ein­zel­schick­sa­le wird er nicht finden.
Den­noch ist das Werk an­ge­nehm zu le­sen. Da­für sorgt der Au­tor mit ei­nem flüs­si­gen Schreib­stil und ei­ner lo­gi­schen Glie­de­rung. (Da stört es auch nicht, dass zu­wei­len die Ka­pi­tel­num­me­rie­rung durch­ein­an­der ge­rät; sol­che klei­nen hand­werk­li­chen Feh­ler sind wohl dem Ver­triebs­mo­dell „Print on De­mand“ geschuldet.)

Verfehlungen der DDR-Schachfunktionäre

Zeitzeugen des DDR-Schachs: Die Grossmeister Wolfgang Uhlmann (oben) und Rainer Knaak
Zeit­zeu­gen des DDR-Schachs: Die Gross­meis­ter Wolf­gang Uh­l­mann (oben) und Rai­ner Knaak

Frie­del be­schreibt zu­nächst die frü­hen Jah­re des DDR-Schachs bis zur Grün­dung des Deut­schen Schach­ver­ban­des im Jah­re 1958. Hier geht er ge­nau­er auf Zwis­tig­kei­ten und Ver­feh­lun­gen un­ter den Funk­tio­nä­ren ein – ein Aspekt, der auch man­chem sach­kun­di­gen Le­ser neu sein dürf­te. Dar­aus je­doch eine Ge­ring­schät­zung des Schachs bis in die letz­ten Jah­re der DDR ab­zu­lei­ten (Sei­te 51), er­scheint et­was gewagt.
Es fol­gen Er­ör­te­run­gen zur Rol­le des Sports und be­son­ders des Schachs im po­li­ti­schen Sys­tem der DDR. Die Staats­füh­rung hat­te früh er­kannt, dass sport­li­che Er­fol­ge die An­er­ken­nung des jun­gen Staa­tes för­dern kön­nen. Der Bei­trag der Schach­spie­ler hier­zu war in den frü­hen Jah­ren ge­wiss be­deut­sam, fan­den sie doch als ers­te Sport­or­ga­ni­sa­ti­on  Auf­nah­me in ei­nem in­ter­na­tio­na­len Fachverband.
Als un­um­strit­te­nen Hö­he­punkt in 40 Jah­ren DDR-Schach ar­bei­tet der Au­tor die Schach-Olym­pia­de in Leip­zig 1960 her­aus. Die fol­gen­den Jah­re brach­ten sport­lich die gröss­ten Er­fol­ge, wor­auf das Buch al­ler­dings nur sehr sum­ma­risch eingeht.

Diskriminierung der nichtolympischen Sportarten in der DDR

Der Hö­hen­flug des DDR-Schachs en­de­te nach 1972 mit dem un­se­li­gen „Leis­tungs­sport­be­schluss“. Die  Ak­ti­ven nicht­olym­pi­scher Sport­ar­ten konn­ten fort­an nicht mehr an in­ter­na­tio­na­len Meis­ter­schaf­ten teil­neh­men oder ins west­li­che Aus­land rei­sen. Auch die op­ti­ma­len Trai­nings­mög­lich­kei­ten des DDR-Sports (Stich­wort „Staats­ama­teu­re“) blie­ben ih­nen versagt.

Manfred Ewald - Ex-DDR-Sportminister - Glarean Magazin
Man­fred Ewald, all­mäch­ti­ger Chef des DDR-Sports: Aver­si­on ge­gen Schach? (Wikipedia/Rainer Mit­tel­städt)

Das ge­naue Zu­stan­de­kom­men die­ses Be­schlus­ses kann auch Ma­nu­el Frie­del nicht er­hel­len. An­de­re Quel­len spre­chen hier­zu von ei­nem Be­schluss des SED-Po­lit­bü­ros im April 1969. Der Au­tor be­rich­tet aber in in­ter­es­san­ten De­tails, dass alle Ver­su­che, ihn für das Schach zu um­ge­hen zum Schei­tern ver­ur­teilt wa­ren. Selbst der un­ga­ri­sche Par­tei­chef Ka­dar ge­hör­te zu den Für­spre­chern der ost­deut­schen Schach­spie­ler. Ob man frei­lich eine von Ernst Bönsch or­ga­ni­sier­te wis­sen­schaft­li­che Kon­fe­renz als Mass­nah­me ge­gen die­sen Be­schluss deu­ten kann, sei da­hin­ge­stellt. Man hät­te sich dies­be­züg­lich vom Buch­au­tor ein paar Hin­wei­se dar­auf ge­wünscht, wie die DDR-Schach­spie­ler (so­wohl im Spit­zen- wie im Brei­ten­sport) mit den Be­schrän­kun­gen ih­rer Tur­nier­pra­xis umgingen.

Ideologische Überfrachtung der DDR-Zeitschrift SCHACH

So bleibt im Dun­kel, wie es 1988 zum über­ra­schen­den Start ei­ner DDR-Mann­schaft bei der Schach­olym­pia­de kam. An­de­re Quel­len (Tisch­bie­rek) füh­ren es auf eine Er­kran­kung von DTSB-Chef Man­fred Ewald zu­rück, dem eine per­sön­li­che Ab­nei­gung ge­gen das Schach un­ter­stellt wird. Be­reits mit Be­ginn des Jah­res 1988 gab es ers­te An­zei­chen für ein Auf­wei­chen des Leis­tungs­sport­be­schlus­ses. Hat­ten er­neut die Schach­spie­ler (wie da­mals bei der Auf­nah­me in die FIDE) ei­nen Damm ge­bro­chen? Die­se Fra­ge bleibt lei­der un­be­ant­wor­tet, denn sie wur­de durch die ge­schicht­li­che Ent­wick­lung ab 1989 obsolet.

Sportlicher Höhepunkt des DDR-Schachs: Schacholympiade Leipzig 1960 (DDR-USA - Uhlmann vs Fischer)
Sport­li­cher Hö­he­punkt des DDR-Schachs: Schach­olym­pia­de Leip­zig 1960 (DDR-USA – Uh­l­mann vs Fischer)

Da­mit en­det auch Frie­dels chro­no­lo­gi­scher Rück­blick. Die Ent­wick­lung des Deut­schen Schach­ver­ban­des in der Wen­de­zeit (z.B. die Ab­lö­sung des Prä­si­den­ten Wer­ner Bart­hel 1990) kommt nicht mehr zur Sprache.
Im letz­ten grös­se­ren Ka­pi­tel be­spricht der Au­tor die po­li­tisch-ideo­lo­gi­sche Über­frach­tung der Zeit­schrift „SCHACH“. Sei­ne Ana­ly­se ist auch hier kor­rekt und stich­hal­tig. Den­noch scheint er das The­ma et­was über­zu­be­wer­ten, wa­ren doch po­li­ti­sche Er­ge­ben­heits­er­klä­run­gen und ideo­lo­gi­sche Ver­ein­nah­mung ty­pisch für alle Pu­bli­ka­tio­nen in der DDR.

Wesentliche historische Forschungsergebnisse gesammelt

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In den Gren­zen ei­ner Ba­che­lor-Ar­beit müs­sen na­tür­lich man­che Wün­sche des in­ter­es­sier­ten Pu­bli­kums of­fen blei­ben. Die strik­te Be­schrän­kung auf das The­ma „Sport und Po­li­tik“ blen­det jede Dar­stel­lung sport­li­cher Er­geb­nis­se aus. Auch epi­so­dische Schil­de­run­gen und Er­fah­rungs­be­rich­te sucht der Le­ser ver­geb­lich. Die In­ter­views mit Zeit­zeu­gen wer­den nur in­di­rekt zi­tiert und Ab­bil­dun­gen, Ta­bel­len oder Gra­fi­ken feh­len fast völlig.
Für die noch zu schrei­ben­de Ge­schich­te des DDR-Schachs hat Ma­nu­el Frie­del aber we­sent­li­che For­schungs­er­geb­nis­se zu­sam­men­ge­tra­gen. Der The­men­kom­plex ist da­bei so wich­tig und in­halts­reich, dass er eine wei­te­re Be­ar­bei­tung und re­pä­sen­ta­ti­ve Dar­stel­lung verdient. ♦

Ma­nu­el Frie­del, Sport und Po­li­tik in der DDR am Bei­spiel des Schach­s­ports, BoD Nor­der­stedt, 68 Sei­ten, ISBN 978-3-8391-1709-5


Thomas Binder - Glarean MagazinThomas Binder

Geb. 1961, Di­plom-In­ge­nieur, ak­ti­ver Schach-Spie­ler und -Trai­ner, Co-Au­tor des Wi­ki­pe­dia-Schach-Por­tals, lebt als Pro­gram­mie­rer in Berlin

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma „Schach im Ost­block“ auch über Bo­ris Gul­ko (u.a.): Der KGB setzt matt (So­wjet-Schach)
… so­wie zum The­ma Schach-Ge­schich­te und -Psy­cho­lo­gie über Chris­ti­an Mann: Schach – Die Welt auf den 64 Feldern

2 Kommentare

  1. Als Ver­fas­ser der Re­zen­si­on kann ich das ger­ne kon­kre­ti­sie­ren. Auf­fäl­ligs­te Un­ge­reimt­heit ist das Ka­pi­tel 3, wo alle Über­schrif­ten Num­mern aus dem 1. Ka­pi­tel tra­gen (je­den­falls in mei­nem Ex­em­plar). Das ist ein­fach ein klei­ner hand­werk­li­cher Feh­ler, der ei­nem Lek­tor hät­te auf­fal­len müss­ten. Freund­li­che Grü­ße Tho­mas Binder

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