Mauricio Botero: Don Ottos Klassikkabinett (Prosa)

Musikalische Poesie für feinsinnige Gourmets

von Wal­ter Eigenmann

Was ge­schieht, wenn ein fein­sin­ni­ger Dich­ter wie der Ko­lum­bia­ner Mau­ricio Bo­tero der Mu­sik als sei­ner gros­sen Lie­be ein Poe­sie-Bänd­chen wid­met? Es ge­schieht „Don Ot­tos Klas­sik­ka­bi­nett“. Das sind 31 Ge­schich­ten und Ge­schicht­chen, viel­mehr: 31 Al­bum­blät­ter, die je ein be­deut­sa­mes bzw. be­rühm­tes Stück der Mu­sik­ge­schich­te zum An­fangs- und End­punkt von mensch­li­chen und zu­gleich phi­lo­so­phi­schen bis wit­zi­gen Be­geg­nun­gen neh­men. Auf eine wirk­lich so un­nach­ahm­li­che Art, dass man meint, beim Le­sen die Aura selbst des frag­li­chen Wer­kes ins Ohr zu kriegen.

Mauricio Botero - Don Ottos Klassikkabinett - Glarean MagazinEi­gent­lich ist „Don“ Otto Rol­dán nur ein un­schein­ba­rer CD-Ver­käu­fer, der im „Cha­pi­ne­ro“, ei­nem äus­serst be­leb­ten Vier­tel im Nord­os­ten von Ko­lum­bi­ens Haupt­stadt Bo­go­tá, und zwar gleich ge­gen­über der ge­wal­ti­gen „Nues­tra Se­ño­ra de Lour­des“, ge­mein­sam mit sei­ner treu­en Ge­hil­fin Ade­la ei­nen of­fen­bar gut­ge­hen­den Mu­sik­la­den be­treibt. In die­sem sei­nem Hort zur Mu­si­ka­li­schen Ein­kehr, ge­nannt „La Caja de Mú­si­ca“ (Die Mu­sik­schach­tel), emp­fängt Don Otto nun tag­täg­lich Frem­de, Käu­fer, Leu­te, Men­schen: „Schweig­sa­me, har­mo­ni­sche, ato­na­le oder miss­tö­nen­de Men­schen kom­men hier vor­bei. Auf der Su­che nach den gros­sen Wer­ken be­völ­kern sie die Par­ti­tur des Lebens.“

Das kunterbunte Botero-Musik-Kabinett

Und da trifft er sie denn alle, die schril­len Cho­le­ri­ker oder stil­len Me­lan­cho­li­ker, die dis­ku­tier­freu­di­gen In­tel­lek­tu­el­len oder maul­fau­len Bau­ern, die kul­tur­be­flis­se­ne Leh­re­rin oder die ver­snob­te Di­rek­to­ren­frau, den aus­ge­flipp­ten Teen­ager oder den kor­rek­ten Buch­hal­ter – und was der Ste­reo­ty­pen mehr sind.
Denn ums psy­cho­fi­li­gra­ne Zeich­nen von Fi­gu­ren geht’s in die­sem kun­ter­bun­ten Botero-„Kabinett“ der Per­so­nen und Stü­cke nicht so sehr als viel­mehr dar­um, wie alle die­se Ge­bil­de­ten oder Doo­fen, Neu­gie­ri­gen oder Ge­lang­weil­ten, Hoff­nungs­vol­len oder Lei­den­den, Er­folg­rei­chen oder Ge­stran­de­ten mit Mu­sik agie­ren, auf Mu­sik re­agie­ren – und da­mit über sich und die Wer­ke und das un-er­hör­te Da­zwi­schen eine er­staun­li­che Men­ge preisgeben.

Georg F. Händel bei den Punks

Da steht dann plötz­lich eine Hor­de Punks in Don Ot­tos La­den, „mit Haa­ren in Far­ben, wie die Na­tur sie nicht nach­zu­ah­men ver­sucht“, und ver­langt „nach ei­nem klei­nen Ju­wel von Mes­siaen, Das Er­wa­chen der Vö­gel„, wel­ches Don Otto un­gern her­gibt, weil ein­zi­ges Ex­em­plar, aber dann die CD doch an die er­staun­lich wis­sens­durs­ti­gen Punks ver­kauft, weil sie ihn um „ein Vor­ur­teil är­mer“ mach­ten; Dann wä­ren da die zwei mi­ni­berock­ten jun­gen Was­ser­stoff-Blon­di­nen, die just zum „Al­le­gro vi­va­ce“ aus Beet­ho­vens drei­zehn­ter Kla­vier­so­na­te her­ein­ge­stö­ckelt kom­men „wie die Leich­te Ka­val­le­rie von Franz von Sup­pé“ und nach was „schö­nem Klas­si­schem“ ver­lan­gen, wo­nach Vi­val­dis „Vier Jah­res­zei­ten“ ins Ge­spräch kom­men, aber auch Fra­gen nach dem Zö­li­bat des Pre­te rosso und sei­ner WG mit zwei Schwes­tern; Oder dann war da Ele­na, die Schwarz trug, La­tein konn­te, „sich in ir­gend­ei­nem nächt­lich Be­zirk ver­lau­fen hat­te, so dass sie heu­te kei­ne Son­ne mehr fin­den kann“ – und ner­vös nach „ir­gend­ei­nem“ Re­qui­em such­te, bei dem „durch­schim­mernd hel­len Werk“ von Fau­ré fün­dig wur­de, um da­mit schliess­lich „zur Ruhe zu kom­men“, so­dann die Hand­ta­sche zu öff­nen, eine Pis­to­le her­vor­zu­zie­hen und sich in die Schlä­fe zu schies­sen; Oder bei­spiels­wei­se je­ner „we­der alte noch jun­ge“ Mann, der ei­nen kör­per­li­chen Tick nach dem an­de­ren zei­tigt, je län­ger er in Ot­tos La­den der „Schöp­fung“ Haydns zu­hört, und sich zu schlech­ter Letzt, nach ei­nem tie­fen Ge­spräch über Mu­sik und Gott, als „ein ein­zi­ges zu­cken­des Ner­ven­bün­del“ auf­macht „in die durch­schei­nen­de Ein­sam­keit Bo­go­tas, die vol­ler Licht ist, auch wenn die Son­ne sich manch­mal gar nicht zeigt.“

Virtuose des szenischen Kontrasts

Mauricio Botero - Don Ottos Klassikkabinett - Rezension - Glarean Magazin
Ein Vir­tuo­se des hu­mor­vol­len sze­ni­schen Kon­trasts: Mau­ricio Botero

Mau­ricio Bo­tero ist, of­fen­sicht­lich von ei­ner her­vor­ra­gend nach­dich­ten­den Über­set­zung aus dem Spa­ni­schen durch Pe­ter Kult­zen un­ter­stützt, in die­sem „Klas­sik­ka­bi­nett“ ein Vir­tuo­se des sze­ni­schen Kon­trasts und der frap­pan­ten Sku­r­il­li­tät eben­so wie der (musik-)ästhetischen Re­fle­xi­on und des ent­lar­ven­den Dia­logs, ein Meis­ter der buch­stäb­lich lei­sen Töne, doch auch des scho­ckie­ren­den Pau­ken­schla­ges. Kei­nes sei­ner Ka­pi­tel ohne Hu­mor, ja Sprach­witz, aber auch kei­nes ohne fein­ge­wo­ge­nen Hin­ter­sinn – sei’s nun der „be­spro­che­nen“ Mu­sik­stü­cke, sei’s der „be­han­del­ten“ Men­schen. Der klei­ne CD-La­den des Don Otto ge­rät so zum Ab­bild ei­nes wah­ren kul­tur­ge­schicht­li­chen Kos­mos‘, auch wenn es sich bei den vie­len zi­tier­ten Ton­wer­ken von Hän­del bis Bar­tok um aus­nahms­los sehr be­rühm­te Stü­cke han­delt, de­nen die­se „Neu­ent­de­ckung“ durch Don Ot­tos Klas­sik- bzw. Hor­ror­ka­bi­nett höchst gut tut (und wel­che die Lek­tü­re auch für mu­si­ka­li­sche Lai­en sehr zum Ge­winn macht!).

Pointenreiche Reise durch Menschen- und Musik-Welten

Ver­füh­re­risch ist es da­bei, Bo­ter­os 31 Klein­ode des eben­so in­for­ma­ti­ven wie poin­ten­rei­chen Rei­sens durch Mu­sik- und Men­schen- und Ge­dan­ken­wel­ten in ei­nem Auf­guss zu ver­schlin­gen, so be­schei­den, ja un­schein­bar kom­men die­se Ge­schicht­chen da­her. Doch nichts düm­mer als das; viel­mehr sind sie wohl­do­siert zu ge­nies­sen. Um ih­ren je un­ver­wech­sel­ba­ren Gout zu spü­ren, neh­me man un­be­dingt nur ei­nen oder zwei Bis­sen aufs Mal zu sich, sonst ver­liert dies spe­zi­el­le Ge­richt sei­ne ge­schmack­li­chen Ver­knüp­fun­gen. „Don Ot­tos Klas­sik­ka­bi­nett“ be­darf des lang­sa­men Ge­nus­ses ei­nes je­den ein­zel­nen Häpp­chens, da­mit sich das rei­che Ge­samt-Bou­quet ent­fal­ten kann. Ein Gour­met-Mahl für „Ken­ner und Lieb­ha­ber“ und für „stil­le Ge­nies­ser“ – ein in­tel­lek­tu­el­les Ver­gnü­gen. Je­den­falls war es höchs­te Zeit, dass ein eu­ro­päi­scher Ver­lag sich die­ses hier­zu­lan­de völ­lig un­be­kann­ten Schrift­stel­lers an­nahm (Bo­ter­os „Klas­sik­ka­bi­nett“ er­schien im Ori­gnal be­reits 2001 in Ko­lum­bi­en und wur­de dort noch im glei­chen Jahr mit dem Pre­mio Na­cio­nal de Cuen­to aus­ge­zeich­net), zu­mal in die­ser schmu­cken Form ei­nes sorg­fäl­tig ge­stal­te­ten Ge­schenk­bänd­chens. Eine sehr ver­dienst­vol­le Ent­de­ckung des Zür­cher Unionsverlages. ♦

Mau­ricio Bo­tero, Don Ot­tos Klas­sik­ka­bi­nett, Uni­ons­ver­lag, 188 Sei­ten, ISBN 978-3293004092

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma „Hu­mor in der Mu­sik“ auch die Mu­si­ker-An­ek­do­ten „Sie hö­ren mich wohl ger­ne sin­gen!“ (1)

so­wie über Ingo Har­den: Klas­si­sche Musik

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