Prima Carezza: Pourquoi, Madame? (CD)

Neue virtuose Salon-Musik

von Wal­ter Eigenmann

Die at­mo­sphä­ri­sche, die schön-schumm­rig-schmach­ten­de, die per­fekt halb­sei­de­ne, die vir­tu­os tri­via­le, die kal­ku­liert kit­schi­ge Sa­lon­mu­sik hat in der Schweiz seit Jah­ren ei­nen wohl­klin­gen­den Na­men: Pri­ma Ca­rez­za. Die­ses sie­ben­köp­fi­ge En­sem­ble, in den 70er Jah­ren eher zu­fäl­lig als rei­ne Ama­teur-For­ma­ti­on ent­stan­den, in­zwi­schen mehr­heit­lich aus Be­rufs­mu­si­kern zu­sam­men­ge­setzt, er­spiel­te sich in den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten eine nach Mil­lio­nen zäh­len­de Fan-Ge­mein­de. Denn wenn eine Sa­lon-Band so ge­ris­sen ar­ran­giert pen­delt zwi­schen „Welt­schmerz und Le­bens­freu­de, Me­lan­cho­lie und Witz, Ju­bel und tiefs­ter Trau­rig­keit“ (PC über PC), dann hört ihr nicht nur die Halb-, son­dern die gan­ze Welt zu.

Prima Carezza (M.Paetsch-Neftel/K.Neftel/W.Pipczynski): "Pourquoi, Madame?" - Salon-Musik

Pri­ma Ca­rez­za, das sind mo­men­tan die Damen&Herren Mil­ton J. Ka­zin­c­zy (Primas/Violine), Mod­jews­ka Gro­go­wi­lo­di (Vio­li­ne), Cze­rés­nia Zal­le­bor­ski (Vio­lon­cel­lo), Con­stan­tin Cor­nes­cu (Pia­no), Kon­trás Öcsi (Kon­tra­bass), Wies­law Pip­c­zyn­ski (Ak­kor­de­on) und Ist­ván Bo­dóc­zy (Kla­ri­net­te). Man mu­si­ziert da­bei, je nach Kon­zert­pro­gramm bzw. Show-Um­feld, ent­we­der in der Ori­gi­nal­be­set­zung, wie sie da­mals üb­lich war (Kla­vier so­wie der ty­pi­sche Stehgeiger/Primas, dazu wei­te­re Streich­in­stru­men­te und ver­schie­de­ne Blä­ser), oder dann in Trio-, Quar­tett- oder Quintett-Besetzungen.

Stilistische Geschmackssicherheit und spieltechnische Brillanz

Gruppenbild mit Damen: Prima Carezza
Grup­pen­bild mit Da­men: Pri­ma Carezza

Die sti­lis­ti­sche Ge­schmacks­si­cher­heit, aber v.a. auch die spiel­tech­ni­sche Bril­lanz von Pri­ma Ca­rez­za sind es, wel­che die­ser For­ma­ti­on – ne­ben be­rühm­ten En­sem­bles wie „I sa­lo­nis­ti“, dem „Pa­last Or­ches­ter“ oder dem „Sa­lon­or­ches­ter Köln“, aber wo­mög­lich noch eine Spur au­then­ti­scher, kom­mer­zi­ell we­ni­ger ver­wa­schen, we­ni­ger „tech­nisch auf­ge­motzt“ als jene – ei­nen vor­ders­ten Platz auf der Sa­lon-Büh­ne un­se­rer Tage ga­ran­tie­ren. Und dort hän­gen zwar die Him­mel vol­ler sen­ti­men­ta­ler – wenn­gleich vir­tu­os trak­tier­ter – Gei­gen, aber doch auch vol­ler wohl­do­siert ge­setz­ter „Fin de siècle“-Melancholika – ge­schwän­gert mit je­nem mor­bi­den Duft und de­ka­den­ten Flair, wel­che da­mals eine gan­ze Mu­sik- und Li­te­ra­tur-Ge­ne­ra­ti­on bann­ten, und die auch heut­zu­ta­ge als nost­al­gi­sche Bo­ten ei­nes längst ver­sun­ke­nen Mu­sik-At­lan­ta des 19. und frü­hen 20. Jahr­hun­derts zu ver­zau­bern vermögen.

Zigeunergeiger“ Georges Boulanger im Zentrum der Sammlung

Der legendäre rumänische "Zigeuner-Geiger" Georges Boulanger (1893 Tulcea - 1958 Buenos-Aires)
Der le­gen­dä­re ru­mä­ni­sche „Zi­geu­ner-Gei­ger“ Ge­or­ges Bou­lan­ger (1893 Tul­cea – 1958 Buenos-Aires)

Für ihre ak­tu­ells­te Pro­duk­ti­on „Pour­quoi, Ma­dame?“, so­eben beim La­bel Tu­dor er­schie­nen, speck­te das Sep­tett nicht nur zum Trio ab, son­dern grup­pier­te die CD de­zi­diert um ei­nen gros­sen Na­men der ru­mä­ni­schen Zi­geu­ner­mu­sik: Mehr als die Hälf­te der Ti­tel stam­men aus der Fe­der des le­gen­dä­ren Wahl-Ar­gen­ti­ni­ers Ge­or­ges Bou­lan­ger. Ge­blie­ben ist, trotz klei­ner Be­set­zung, ne­ben dem lang­jäh­ri­gen PC-Ak­kor­de­on-So­lis­ten Wies­law Pip­c­zyn­ski – wel­cher flan­kiert bzw. „an­ge­führt“ wird von dem Ehe­par Mi­chae­la Paetsch-Nef­tel und Klaus Nef­tel (Vio­li­nen) – der ty­pi­sche „Sound“ der Pri­ma-Ca­rez­za-Ar­ran­ge­ments, der rhyth­mi­sche Prä­zi­si­on mit fül­li­ger Ak­kor­dik und me­lo­di­schem Sen­ti­ment paart, und der auf ei­ner stets un­mit­tel­bar spür­ba­ren, ur-mu­si­kan­ti­schen Spiel­freu­de ba­siert, wie sie für vie­le Pro­duk­tio­nen von Pri­ma Ca­rez­za zum Mar­ken­zei­chen avan­cier­te. Dass da­bei die­se Bou­lan­ger-Hom­mage den be­rühm­ten, sei­ner­zeit v.a. im Ber­lin der 1930er Jah­re auf­spie­len­den „Zi­geu­ner­gei­ger“ ein­mal mehr ins Zen­trum ei­ner CD rückt, ist nicht zu­fäl­lig: schon seit Jah­ren wid­met sich das En­sem­ble dem Schaf­fen die­ses ru­mä­ni­schen Gei­gers und Sa­lon­mu­si­kers, un­ter­stützt di­rekt von den Er­ben Boulangers.
„Pour­quoi, Ma­dame?“ ent­hält eine ab­wechs­lungs­rei­che Mé­lan­ge von Sti­len und Tech­ni­ken des hoch­ge­pfleg­ten, ori­gi­nä­ren Sa­lon-Mu­si­zie­rens – ein mit- und hin­reis­sen­der Oh­ren­schmaus für Nost­al­gi­ker und Melancholiker. ♦

Pri­ma Ca­rez­za: Pour­quoi, Ma­dame? – Mi­chae­la Paetsch-Nef­tel (Vio­li­ne), Klaus Nef­tel (Vio­li­ne), Wies­law Pip­c­zyn­ski (Ak­kor­de­on), Sa­lon-Mu­sik von Bou­lan­ger u.a., Tu­dor Klassik-CD

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma „Ak­kor­de­on“ auch über
Ni­ko­la Ko­ma­ti­na: In­spi­ra­ti­on – Ac­cor­di­on (CD)

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