Heute vor … Jahren: Peer Gynt (Henrik Ibsen)

Metamorphose eines Taugenichts

von Walter Eigenmann

Am 24. Fe­bru­ar 1876 hat im nor­we­gi­schen Oslo ei­nes der be­kann­tes­ten Stü­cke der in­ter­na­tio­na­len Thea­ter-Büh­ne sei­ne Pre­mie­re: Das „Dra­ma­ti­sche Ge­dicht“ Peer Gynt von Hen­rik Ib­sen. Ba­sie­rend auf der zwi­schen 1845 und 1848 er­schie­ne­nen Feen­mär­chen-Samm­lung „Huld­re-Even­tyr og Fol­ke­sagn“ von P. Ch. Asbjørn­sen (und in ge­wis­ser for­ma­ler Nach­fol­ge von By­rons „Man­fred“) schil­dert Ib­sens Vers-Epos die viel­jäh­ri­ge Me­ta­mor­pho­se des lüg­ne­ri­schen, nichts­nut­zi­gen Bau­ern­lüm­mels und nach­ma­li­gen Skla­ven­händ­lers Peer Gynt hin zum mo­ra­lisch ge­läu­ter­ten, durch eine welt­wei­te, skur­ril-phan­tas­tisch-ab­sur­de Aben­teu­er-Ody­see ver­arm­ten, aber see­lisch ge­reif­ten Mann, der sich schliess­lich so­gar der un­ver­brüch­li­chen Lie­be des „ewig Weib­li­chen“, ver­kör­pert in der le­bens­läng­lich war­ten­den und lei­den­den Sol­vejgh, wür­dig erweist.

Der „Faust des Nordens“

Peer Gynt - Ibsen - Thora Neelsen als Solveigh bei der Uraufführung
Tho­ra Neelsen als Solv­eigh bei der Uraufführung

Der „nor­di­sche Faust“, wie man Ib­sens my­thisch aus­la­den­den Peer-Gynt-Mo­no­log um Trol­le, Kö­nigs­töch­ter, afri­ka­ni­sche Ir­ren­häu­ser und me­phis­to­phe­li­sche „Knopf­gies­ser“ schon bald auch nennt, ent­steht 1867 auf Is­chia, ist vor­der­grün­dig eine lang­wie­ri­ge Iden­ti­täts­su­che und -fin­dung des Ti­tel­hel­den, hin­ter­grün­dig aber eben­so eine ful­mi­nan­te li­te­ra­ri­sche Ab­rech­nung des Dich­ters mit der selbst­zu­frie­de­nen Cli­quen-Wirt­schaft und Wil­len­schwä­che sei­ner nor­we­gi­schen Landsleute.

Peer-Gynt-Musik aus Geldnot komponiert

Autograph der "Morgenstimmung* von Edward Grieg
Au­to­graph der „Mor­gen­stim­mung* von Ed­ward Grieg

We­ni­ger die ethi­schen In­ten­tio­nen des Stü­ckes denn sei­ne ver­schie­de­nen na­tio­nal­ro­man­tisch ko­lo­rier­ten, al­ler­dings kri­tisch ge­bro­che­nen In­gre­di­en­zen in­spi­rie­ren schon kurz nach Er­schei­nen die Kom­po­nis­ten – al­len vor­an Ed­vard Grieg, der von Ib­sen ein­ge­la­den wur­de, eine um­fang­rei­che Par­ti­tur zur Thea­ter-Fas­sung des Gynt-Stof­fes bei­zu­steu­ern. Doch die höchst un­ter­schied­li­chen künst­le­ri­schen Na­tu­rel­le der bei­den Ge­nies – der re­ser­viert-kühl-in­tro­ver­tier­te Ib­sen teilt Grieg ex­ak­te Vor­stel­lun­gen von der mu­si­ka­li­schen Ge­stal­tung sei­nes „Peer Gynt“ mit! – führt zu ei­ner sti­lis­tisch nicht ad­äqua­ten Kom­po­si­ti­on Griegs.

Grieg am Klavier, Ibsen als Zuhörer (Postkarte von 1905, Bergen)
Grieg am Kla­vier, Ib­sen als Zu­hö­rer (Post­kar­te von 1905, Bergen)

Denn Griegs Ver­to­nung ak­zen­tu­iert aus­ge­rech­net die nor­we­gi­schen Far­ben des „Peer Gynt“, il­lus­triert Peers Welt-Rei­sen mit man­cher­lei klang­li­chen Exo­tis­men aus Opern des 19. Jahr­hun­derts, lässt gar gan­ze Spring-Tän­ze auf­füh­ren, und schafft vor al­lem an­rüh­ren­de Seuf­zer-Ele­gi­en zu den ver­schie­de­nen, un­ter Peers Igno­ranz lei­den­den Frau­en­ge­stal­ten. (Spä­ter be­kennt Grieg, Ib­sens Auf­trag nicht zu­letzt auch aus Geld­not-Grün­den an­ge­nom­men zu haben…)
In der Gunst des brei­ten Pu­bli­kums ganz oben­auf schwimmt da­bei noch im­mer die den Sui­ten-Zy­klus er­öff­nen­de „Mor­gen­stim­mung“ (Bild: Fak­si­mi­le der ers­ten Par­ti­tur-Sei­te). Be­rühmt, aber kaum je zu­sam­men mit dem Dra­ma auf­ge­führt wer­den aus Griegs zwei­tei­li­gem Sui­ten-Ex­trakt aus­ser­dem „Sol­vejgs Lied“, „Åses Tod“ und „In­grids Klage“. ♦

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin in der Ru­brik „Heu­te vor…“ auch über Fried­rich Schil­ler: Die Räu­ber (Frei­heit für das Individuum)

aus­ser­dem in der Rei­he „Heu­te vor … Jah­ren“: „Show Boat“ – Die Ge­burts­stun­de des Musicals

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