Heute vor … Jahren: Die Soldaten (B. Zimmermann)

Opfergang der Ungezählten

von Wal­ter Eigenmann

Am 15. Februar 1965 erlebt die Oper “Die Sol­da­ten” von Bernd A. Zim­mer­mann in Köln ihre Urauf­füh­rung. Zim­mer­manns Werk, eines der enga­gier­tes­ten, expe­ri­men­tells­ten und radi­kals­ten Stü­cke des neue­ren Musik-Thea­ters, hat Jakob M. R Lenz’ “Komö­die” über eine von der Sol­da­teska zunächst ver­führte, dann gemoppte, schliess­lich ver­ge­wal­tigte und end­lich in die Gosse getrie­bene Bür­gers­toch­ter zum Gegenstand.

Darmstädter Ferienkurse als Avantgarde-Initiant

Aufführungsplakat von Bernd Zimmermanns "Die Soldaten"
Auf­füh­rungs­pla­kat von Bernd Zim­mer­manns “Die Soldaten”

Der Kom­po­nist ver­öf­fent­licht Ende der 40-er Jahre seine ers­ten Werke. Und schon früh infor­miert sich der sei­nen Lebens­un­ter­halt vor­erst als Arran­geur und als Film- wie Hör­spiel-Kom­po­nist ver­die­nende Zim­mer­mann bei den “Darm­städ­ter Feri­en­kur­sen” über den neu­es­ten Stand der (ato­na­len) Avant­garde-Tech­ni­ken. 1957 wird er schliess­lich als Nach­fol­ger von Frank Mar­tin als Dozent für Kom­po­si­tion an die Musik-Hoch­schule Köln beru­fen. (Zu sei­nen ers­ten Schü­lern gehö­ren Peter Michael Braun, Georg Kröll und Man­fred Nie­haus, spä­ter kom­men Sil­vio Fore­tic, Georg Höl­ler, Heinz Mar­tin Lon­quich, Dimi­tri Ter­za­kis u. a. hinzu).

Mehrschichtige Collage-Technik (2. Akt / Intermezzo aus "Die Soldaten")
Mehr­schich­tige Col­lage-Tech­nik (2. Akt / Inter­mezzo aus “Die Soldaten”)

Seine “Sol­da­ten” (Bild links oben: Auf­füh­rungs­pla­kat) stel­len enorme tech­ni­sche, per­so­nelle und musi­ka­li­sche Anfor­de­run­gen. Zim­mer­mann schich­tet darin mit drei ver­schie­de­nen Orches­ter-Ensem­bles musi­ka­lisch meh­rere Hand­lungs­stränge simul­tan über- und neben­ein­an­der, ver­schränkt Jazz-Ele­mente mit Barock-Cho­rä­len, ent­hebt die alt­her­ge­brachte Thea­ter-Tri­ni­tät von Ort, Hand­lung und Zeit ihrer ein­deu­ti­gen Zuord­nung, arbei­tet mit sti­lis­tisch unter­schied­lichs­ten Musik- und Szene-Col­la­gen, um seine musik­dra­ma­ti­sche Kon­zep­tion von der “Kugel­ge­stalt der Zeit” zu ver­deut­li­chen: “Spä­te­res wird vor­aus- und Frü­he­res hint­an­ge­setzt” (Zim­mer­mann). Dabei rea­li­siert das Werk inhalt­lich wie tech­nisch die Thea­ter-Vision sei­nes Schöp­fers: “Das neue Thea­ter muss ein Gross­raum­ge­füge, viel­fäl­tig modu­liert sein; (…) ins­ge­samt eine Gross­for­ma­tion, die einer gan­zen Stadt­land­schaft ihr Gepräge zu ver­lei­hen ver­mag: Als Doku­men­ta­tion einer geis­ti­gen, kul­tu­rel­len Frei­heit, die Thea­ter als ele­men­tars­ten Ort der Begeg­nung im wei­tes­ten Umfang begreift.”

Keine Sozialkritik in der Oper

Bernd Alois Zimmermann
Bernd Alois Zimmermann

Zim­mer­mann selbst, wie­wohl viel­sei­tig theo­lo­gisch, lite­ra­risch und moral­phi­lo­so­phisch inter­es­siert, ver­neinte, dass die Sozi­al­kri­tik am men­schen­zer­stö­ren­den Sol­da­ten-Milieu eine beson­dere Rolle in die­sem sei­nem Haupt­werk spiele. Doch anfangs 1946 schreibt er mit Blick auf das zurück­lie­gende letzte Kriegs­jahr, und fast alt­tes­ta­men­ta­risch: “O Deutsch­land, was ist aus Dir gewor­den? Wie ist Dein Volk zuschan­den gewor­den, an sich selbst zunichte gegan­gen, wie wütet selbst Dein Volk gegen das eigen Blut…[…] Ist es nicht Angst und Not, Unsi­cher­heit und Schre­cken, die am Hori­zonte unse­rer Zukunft ste­hen wie dunkle Wet­ter und Wol­ken vor der unter­ge­hen­den Sonne?” Die pes­si­mis­ti­sche Grund­hal­tung, eine per­ma­nente Trauer um das “zweck­los geop­ferte und sinn­los dahin­ge­gan­gene… der Opfer­gang der Unge­zähl­ten” durch­zieht das gesamte spä­tere Leben und Lebens­werk des Musi­kers Zim­mer­mann. Am Schluss sei­ner “Sol­da­ten”, wo ver­schie­dene Ton­band-Ein­spie­lun­gen die Szene erwei­tern, ertö­nen bei der letz­ten Szene zwi­schen Marie und ihrem Vater Mili­tär­kom­man­dos in den Spra­chen der sie­ben haupt­säch­lich am Zwei­ten Welt­krieg betei­lig­ten Län­dern, unter Bei­mi­schung von angrei­fen­den Flie­gern, Pan­zern, Rake­ten­ge­schos­sen und Bom­ben-Deto­na­tio­nen. “Das, was mich vor allem zu den ‘Sol­da­ten’ geführt hat, ist der Umstand […], wie in einer exem­pla­ri­schen, alle Betei­lig­ten umfas­sen­den Situa­tion Men­schen […], wie wir ihnen zu allen Zei­ten begeg­nen kön­nen, einem Gesche­hen unter­wor­fen sind, dem sie nicht ent­ge­hen kön­nen: Unschul­dig schul­dig.” bemerkt Zim­mer­mann mal zu sei­ner Oper.

Hochexpressive Bühnenmusik

Bernd Alois Zimmermann - Die Soldaten - Schluss-Szene - Bayerische Staatsoper - Glarean Magazin
Schluss-Szene der “Sol­da­ten” in einer Auf­füh­rung der Baye­ri­schen Staatsoper

Das zwei­ein­halb­stün­dige Werk, hoch­ex­pres­sive Büh­nen­mu­sik und schwer zu rea­li­sie­ren, wurde vom dama­li­gen Köl­ner Opern-Chef Wolf­gang Sawal­lisch als “unspiel­bar” abge­lehnt. Inzwi­schen ist es den­noch erstaun­li­cher­weise zu einem der erfolg­reichs­ten Ver­tre­ter sei­ner Gat­tung in der zwei­ten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts avanciert.
Bernd Alois Zim­mer­mann starb am 10. August 1970 in Fre­chen-Königs­dorf bei Köln; einer unheil­ba­ren Krank­heit wegen wählte er den Freitod. ♦

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Stich­wort “Büh­nen­mu­sik” auch von
Wal­ter Eigen­mann: Der Chor in der Roman­ti­schen Oper

… sowie in der Rubrik “Heute vor … Jah­ren” über “Die Zofen” von
Jean Genet: Unge­heure Träume träu­men­der Ungeheuer

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