Stefan Hanheide: Pace – Musik zwischen Krieg und Frieden

Pace – Friede auf Erden

von Wal­ter Eigenmann

Die Sehn­sucht nach Frie­den hat die Kom­po­nis­ten al­ler Zei­ten, al­ler Völ­ker be­wegt, und Mu­sik als be­wusst kon­zi­pier­te An­kla­ge oder Mah­nung wi­der die Bar­ba­rei des Krie­ges ist über die Jahr­hun­der­te der abend­län­di­schen Kul­tur­ge­schich­te hin­weg eine hu­ma­nis­ti­sche Kon­stan­te – in dem sel­ben Maße, wie Krieg ganz of­fen­sicht­lich ein Kon­ti­nu­um un­se­rer His­to­rie dar­stellt. Da­bei schlug sich die Prä­senz des Frie­dens­ge­dan­kens hun­dert­fach in be­deu­ten­den Ein­zel-Mu­sik­wer­ken nie­der, vom spät­mit­tel­al­ter­lich-an­ony­men „Da-pacem“-Kanon bis in un­se­re Tage ei­nes Die­ter Schne­bel („La­men­to di guer­ra“, 1991).

Den Friedens-Bezug der Musik in den musiksoziologischen Diskurs gerückt

Stefan Hanheide: "Pace - Musik zwischen Krieg und Frieden" - Vierzig WerkporträtsDem deut­schen Mu­sik­his­to­ri­ker Ste­fan Han­hei­de (geb. 1960) ge­bührt schon seit Jah­ren – nicht zu­letzt auch als In­itia­tor der mitt­ler­wei­le 15-jäh­ri­gen Os­na­brü­cker Kon­zert-Rei­he „Mu­si­ca Pro Pace“ – der Ver­dienst, an so­zu­sa­gen „vor­ders­ter Front“ maß­geb­lich die The­ma­tik „Frie­dens-Be­zug in der Mu­sik“ um­fang­reich auf­ge­ar­bei­tet und ins Be­wusst­sein des mu­sik­so­zio­lo­gi­schen Dis­kur­ses ge­rückt zu haben.
Nun legt Han­hei­de un­ter dem Ti­tel „Pace“ eine um­fang­rei­che Samm­lung von 40 Werk-Por­träts mit dem Un­ter­ti­tel „Mu­sik zwi­schen Krieg und Frie­den“ vor. Die aus­ge­wähl­ten Wer­ke ste­hen je­weils re­prä­sen­ta­tiv für eine Epo­che, ein Land und ei­nen An­lass. Da­bei hat der Au­tor alle wich­ti­gen Mu­sik-Gat­tun­gen be­rück­sich­tigt, von der Oper über die Sym­pho­nik bis zur Kam­mer­mu­sik und zum Solo-Lied. Auch geo­gra­phisch wur­de de­zi­diert ein brei­tes Län­der-Spek­trum ein­be­zo­gen, die be­han­del­ten Kom­po­nis­ten stam­men aus drei Kontinenten.

Der „Pace“-Gedanke von Dufay bis zu Dinescu

Aus Pendercki: "Threnos - Den Opfern von Hiroshima"
Aus Pen­der­cki: „Th­renos – Den Op­fern von Hiroshima“

Ein kur­zer und un­voll­stän­di­ger Blick auf das In­halts­ver­zeich­nis zeigt die gros­se mu­sik­sti­lis­ti­sche, aber auch his­to­risch-po­li­ti­sche Brei­te, die der (ver­ein­zelt mit No­ten-Bei­spie­len und zeit­ge­nös­si­schem Bild­ma­te­ri­al il­lus­trier­te) Band durch­misst. Ver­tre­ten sind (um nur ei­ni­ge der be­kann­tes­ten Kom­po­nis­ten zu nen­nen): Dufay (Su­pre­mum est mor­ta­li­bus bo­num pax, 1433), Ver­de­lot (Da Pa­cem, 1530), Franck (Su­spi­ri­um Ger­ma­niae Pu­bli­cum, 1628), Hän­del (Mu­sick for the Roy­al Fire­works, 1749), Haydn (Mis­sa in tem­po­re bel­li, 1796), Beet­ho­ven (Fi­de­lio, 1805), Mahler (Re­vel­ge, 1899), Schön­berg (Frie­de auf Er­den, 1907), Eis­ler (Ge­gen den Krieg, 1936), Hart­mann (Con­cer­to fu­neb­re, 1939), Schost­a­ko­witsch (Le­nin­gra­der Sin­fo­nie, 1941), Mar­tinu (Mahn­mal für Li­di­ce, 1943), Mar­tin (In ter­ra pax, 1944), Pen­der­cki (Th­renos – Den Op­fern von Hi­ro­shi­ma, 1960), Brit­ten (War Re­qui­em, 1962), Nono (La Vic­toire de Guer­ni­ca, 1954), Xe­na­kis (Nuits, 1967), Hen­ze (We come to the Ri­ver, 1975), Kan­che­li (Trau­er­far­be­nes Land, 1994), Di­nes­cu (Wie Tau auf den Ber­gen Zi­ons, 2003).

Musik-Beispiel - Heinrich Schütz - Verleih uns Frieden gnädiglich - Motette - Glarean Magazin
An­fang der Mo­tet­te „Ver­leih uns Frie­den gnä­dig­lich“ von Hein­rich Schütz

Widerstand der Musik gegen Krieg und Aggression

Was Han­hei­des 40-teil­i­ge Un­ter­su­chung be­son­de­re mu­si­ko­lo­gi­sche Re­le­vanz ver­leiht, sind nicht nur die je­weils sehr viel­schich­tig her­aus­ge­ar­bei­te­ten Kon­tex­te des „in sei­ner po­li­tisch Si­tua­ti­on ein­ge­bet­te­ten“ ein­zel­nen Mu­sik­wer­kes, son­dern ist auch die an­hand die­ser Be­trach­tun­gen de­tail­liert do­ku­men­tier­te Er­kennt­nis, wie sehr sich im Lau­fe der Jahr­hun­der­te kom­po­si­to­ri­sches Selbst­ver­ständ­nis, ja die Rol­le der Kunst über­haupt ge­wan­delt hat. In den frü­hen Jahr­hun­der­ten eu­ro­päi­scher Kunst­mu­sik als ein in Wort und Ton „äs­the­ti­sches Voll­stre­cken“ der je herr­schen­den kle­ri­ka­len oder welt­li­chen No­men­kla­tu­ra fun­gie­rend, eman­zi­piert sich (zu­mal das Text-ba­sier­te) Kom­po­nie­ren all­mäh­lich zur War­nung vor, schliess­lich zum kom­pro­miss­lo­sen Wi­der­stand ge­gen Krieg und Ag­gres­si­on, ge­gen (auch staat­lich le­gi­ti­mier­te) Ge­walt über­haupt. Noch der Ro­man­ti­ker Schu­bert hat­te kei­ner­lei „Ge­wis­sens­bis­se“ bei sei­ner (durch­aus af­fir­ma­tiv ge­mein­ten, näm­lich von den rea­len Macht-Ap­pa­ra­ten als Pro­pa­gan­da-Mit­tel ver­wen­de­ten) Mi­li­tär-Marsch­mu­sik; Mau­ricio Ka­gel hin­ge­gen schreibt 150 Jah­re spä­ter sei­ne „10 Mär­sche um den Sieg zu verfehlen“…

Spagat zwischen absoluter Kunst und ethischem Engagement

Stefan Hanheide - Glarean Magazin
Ste­fan Hanheide

Da­bei ist sich der „Pace“-Autor durch­aus des Span­nungs­fel­des be­wusst, das sich öff­net zwi­schen „ab­so­lu­tem“ künst­le­ri­schem An­spruch ei­ner­seits und dem ethisch un­ver­zicht­ba­ren En­ga­ge­ment an­de­rer­seits, so­bald „die Dar­stel­lung der mu­si­ka­li­schen Ge­stalt ganz auf die frie­dens­re­le­van­te Aus­sa­ge aus­ge­rich­tet ist“. Denn der „Her­ab­set­zung als ‚Ge­le­gen­heits­werk‘, das nicht den Rang ei­nes ‚ab­so­lu­ten Kunst­werks‘ er­reicht, steht die For­de­rung nach ge­sell­schaft­li­chem En­ga­ge­ment des Künst­lers ge­gen­über, der sich nicht in den El­fen­bein­turm zu­rück­zie­hen dür­fe.“ (Han­hei­de im Vorwort).
„Pace“ von Ste­fan Han­hei­de ver­eint ge­glückt die se­man­ti­sche Ana­ly­se de­zi­dier­ter „Frie­dens-Mu­sik“ mit der Ana­ly­se der (hier de­struk­ti­ven) ge­sell­schafts­po­li­ti­schen bzw. bio­gra­phi­schen Be­zugs­rah­men, in die al­les Mu­sik­schaf­fen stets ein­ge­bet­tet ist. Der Band schliesst eine gros­se the­ma­ti­sche Lü­cke im mu­sik­wis­sen­schaft­li­chen Schrift­tum – eine sehr will­kom­me­ne Pro­duk­ti­on des Hau­ses Bärenreiter. ♦

Ste­fan Han­hei­de, Pace – Mu­sik zwi­schen Krieg und Frie­den, 40 Werk­por­träts, Bä­ren­rei­ter Ver­lag, 284 Sei­ten, ISBN 9783761817704

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma „Mu­sik und Po­li­tik“ auch über Ste­ve Reich: WTC 9/11 (CD Kro­nos Quartett)

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