Heute vor … Jahren: Aus der Neuen Welt. (A. Dvořák)

Der Geist von Neger- und Indianer-Melodien“

von Wal­ter Eigenmann

Am 16. De­zem­ber 1893 hört die Welt erst­mals eine der be­rühm­tes­ten Sin­fo­nien der Mu­sik-Ge­schich­te: Un­ter der Lei­tung des deut­schen Di­ri­gen­ten An­ton Seidl wird in der New Yor­ker Car­ne­gie Hall vom Or­ches­ter der Phil­har­mo­ni­schen Ge­sell­schaft die 9. Sin­fo­nie in e-moll von An­tonín Dvořák uraufgeführt.

Themen mit Eigenarten des indianischen Melos

Dvorak-Autograph: Titelblatt der 9. Sinfonie
Dvořák-Au­to­graph: Ti­tel­blatt der 9. Sinfonie

Was an der (wäh­rend Dvo­raks drei­jäh­ri­gem Ame­ri­ka-Auf­ent­halt ent­stan­de­nen) Neun­ten wirk­lich „ame­ri­ka­nisch“ ist, hat der Kom­po­nist sel­ber noch vor der Ur­auf­füh­rung klar­ge­stellt: „Es ist der Geist von Ne­ger- und In­dia­ner-Me­lo­dien, den ich in mei­ner neu­en Sym­pho­nie zu re­pro­du­zie­ren be­strebt war. Ich habe kei­ne ein­zi­ge je­ner Me­lo­dien be­nützt. Ich habe ein­fach cha­rak­te­ris­ti­sche The­men ge­schrie­ben, in­dem ich ih­nen Ei­gen­ar­ten der in­dia­ni­schen Mu­sik ein­ge­prägt habe, und in­dem ich die­se The­men als Ge­gen­stand ver­wen­de­te, ent­wi­ckel­te ich sie mit Hil­fe al­ler Er­run­gen­schaf­ten des mo­der­nen Rhyth­mus, der Har­mo­ni­sie­rung, des Kon­tra­punk­tes und der or­ches­tra­len Far­ben.“ („New York He­rald“ vom 12. De­zem­ber 1893).

Böhmisches National-Kolorit neben synkopierten Afro-Amerikanismen

Antonin Dvorak (1841-1904)
An­to­nin Dvo­rak (1841-1904)

Nach New York ge­lockt hat­ten Dvo­rak die 15’000 US-Dol­lar, die ihm die rei­che Kauf­manns-Wit­we und Kunst­mä­ze­nin Jean­nette Thur­ber als Jah­res­ge­halt ver­sprach, wenn er als Di­rek­tor und Kom­po­si­ti­ons­leh­rer an dem von ihr ge­grün­de­ten Na­tio­nal Con­ser­va­to­ry of Mu­sic wir­ke. Dvo­rak trat die Stel­le im Sep­tem­ber 1892 an – in Be­glei­tung sei­ner Fa­mi­lie – und blieb im­mer­hin bis April 1895.
Ne­ben sei­ner Lehr­tä­tig­keit be­fass­te sich Böh­mens be­rühm­tes­ter Mu­sik-Ex­port auch mit der Folk­lo­re der da­ma­li­gen eu­ro­päi­schen Aus­wan­de­rer, mit der synko­pi­schen Rhyth­mik der Afro­ame­ri­ka­ner und der pen­ta­to­ni­schen Me­lo­dik in­dia­ni­schen Ur­sprungs – mu­si­ka­li­sche Ele­men­te, die al­le­samt mass­geb­lich und pro­blem­los hör­bar in die Neun­te ein­flos­sen. Al­ler­dings zi­tiert die for­mal durch­aus tra­di­tio­nell struk­tu­rier­te Sin­fo­nie kei­ne „in­dia­ni­schen Wei­sen“, wie das be­geis­ter­te Zeit­ge­nos­sen her­aus­ge­hört ha­ben woll­ten, und das böh­misch-tsche­chi­sche Volks-Ko­lo­rit aus des Kom­po­nis­ten Hei­mat ist in der Sin­fo­nie min­des­tens eben­so prä­sent wie die ty­pi­schen „Ame­ri­ka­nis­men“. (Hier fin­det sich eine gute Über­sicht des sin­fo­ni­schen Auf­baus der „Neun­ten“).

Der "New York Herald" vom 16.12.1893: "Dr. Dvorak's Great Symphony"
Der „New York He­rald“ vom 16.12.1893: „Dr. Dvorak’s Gre­at Symphony“

Um die New Yor­ker Ur­auf­füh­rung un­ter Seidl wur­de in den dor­ti­gen Me­di­en ein re­gel­rech­ter Hype ent­facht. Die füh­ren­den Ta­ges­zei­tun­gen prä­sen­tier­ten lan­ge vor dem Kon­zert um­fang­rei­che Ar­ti­kel und Ana­ly­sen inkl. No­ten­zi­ta­te. Kri­ti­ker wie Pu­bli­kum fei­er­ten Werk und Kom­po­nist über­schweng­lich, und von Über­see aus trat schliess­lich Dvo­raks sin­fo­ni­sches Glanz­stück sei­ne Rei­se in alle Kon­zert­sä­le der (eu­ro­päi­schen) Welt an. Bis heu­te ist „Aus der Neu­en Welt“ Dvo­raks be­rühm­tes­tes Or­ches­ter-Opus und zählt über­haupt zu den welt­weit häu­figst auf­ge­führ­ten Wer­ken der klas­si­schen Musik. ♦

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Klas­si­sche Or­ches­ter­mu­sik auch über Clau­de De­bus­sy: Pré­lude a l’après-midi d’un faune

… so­wie zum The­ma Sin­fo­nik auch von Jür­gen Kirsch­ner: Zum 50. To­des­jahr von Jan Sibelius

Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)