Werner Hofmann: Die Karikatur – Von Leonardo bis Picasso

Von der Sitten-Zeichnung bis zum Comic

von Wal­ter Eigenmann

Des Wie­ner Kunst­his­to­ri­kers Wer­ner Hof­manns be­rühm­ter Klas­si­ker „Die Ka­ri­ka­tur“ er­schien erst­mals vor 50 Jah­ren. Nun legt die Eu­ro­päi­sche Ver­lags­an­stalt sei­ne un­be­strit­te­ne Re­fe­renz in Sa­chen Ka­ri­ka­tur-His­to­rie („Von Leo­nar­do bis Pi­cas­so“) in ei­ner er­wei­ter­ten Fas­sung neu auf.

Die Karikatur - Werner Hofmann - Cover - Glarean MagazinHof­mann brei­tet da­bei das ge­sam­te Spek­trum des ge­sell­schaft­li­chen, po­li­ti­schen und pri­va­ten Ka­ri­kie­rens und des­sen sti­lis­ti­schen bzw. zeich­nungs­tech­ni­schen De­ri­va­te aus: Der Band do­ku­men­tiert und ana­ly­siert das über­zeich­nen­de Por­trät eben­so wie die (klei­ne) Bild­ge­schich­te, das gra­phi­sche Or­na­ment wie die Phan­ta­sie-Ge­stalt, die sa­ti­ri­sche Sit­ten-Zeich­nung wie den mo­der­nen Co­mic – so­fern nur all die­se sti­lis­ti­schen oder in­halt­li­chen Aus­prä­gun­gen Hof­manns Dik­tum zu un­ter­strei­chen ver­mö­gen, dass Ka­ri­ka­tur zu­al­lerst sub­ver­siv, re­bel­lisch und an­ar­chisch sei.

Karikatur bedeutet Skepis

Denn, so Hof­mann: „Ka­ri­ka­tur be­deu­tet Skep­sis: Zwei­fel dar­an, dass Lo­gik und Ver­nunft im­stan­de sei­en, den Din­gen der Welt eine er­schöp­fen­de Sinn­ge­bung zu lei­hen. Der Ka­ri­ka­tu­rist er­blickt un­ter der Ober­flä­che der Welt und hin­ter den Ku­lis­sen ih­res Schau­spiels die ver­wir­ren­de Sze­ne­rie ei­ner ‚ver­kehr­ten Welt‘. Er hüllt sich in das Nar­ren­kleid des Spöt­ters, in des­sen Scher­zen sich der Un­sinn in Tief­sinn verkehrt.“

Sozialpolitische Hintergründe der Karikaturen

Pablo Picasso (1881-1973): "Besuch im Atelier"
Pa­blo Pi­cas­so (1881-1973): „Be­such im Atelier“

Über­zeu­gend ver­mag Hof­mann in Bild und Wort je­nen lan­gen, über wei­te Stre­cken auch von der Kunst­theo­rie irr­tüm­lich mar­gi­na­li­sier­ten Weg der Ka­ri­ka­tur auf­zu­zei­gen, der sie „all­mäh­lich aus ih­rer Rand­la­ge her­aus­hol­te und ihre Sprach-Mit­tel der Ver­zer­rung dem Vo­ka­bu­lar der ‚Hoch­kunst‘ einfügte.“

An­hand von 83 Ta­feln mit Wer­ken von Da Vin­ci bis Pi­cas­so und von Brue­gel bis Paul Klee ent­schlüs­selt der Au­tor – auf ho­hem sprach­li­chem Ni­veau üb­ri­gens – zum ei­nen den kul­tur­his­to­ri­schen Stand­ort der ein­zel­nen Zeich­nun­gen, Ra­die­run­gen, Li­tho­gra­phien oder Sti­che, zum an­de­ren auch die so­zi­al­po­li­ti­schen und -phi­lo­so­phi­schen Hin­ter­grün­de der zahl­lo­sen Su­jets im Lau­fe ei­ner 500-jäh­ri­gen Ge­schich­te des „nor­men­ver­let­zen­den“ Zeichnens.
Eine un­ge­heur kennt­nis- wie auf­schluss­rei­che Tour d’horizont Hof­manns, eine sehr dan­kens­wer­te Edi­ti­on auch, die ein hal­bes Jahr­hun­dert nach ih­rer „Ver­nis­sa­ge“ kei­nes­wegs an Sub­ver­si­vi­tät ver­lo­ren hat, und die ge­ra­de dem mo­der­nen TV-Co­me­dy-ge­schä­dig­ten Pu­bli­kum buch­stäb­lich die Au­gen öffnet. ♦

Wer­ner Hof­mann, Die Ka­ri­ka­tur von Leo­nar­do bis Pi­cas­so, Eu­ro­päi­sche Ver­lags­an­stalt, 282 Sei­ten, ISBN 978-3865726421

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Hu­mor & Kul­tur auch über die Bio­gra­phie von Boehn­ke & Sar­ko­wicz: Grim­mels­hau­sen (Bio­gra­phie)

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