Dichter beschimpfen Dichter – Literatur-Zitate

Von hässlich bis boshaft

Wenn Dichter über Dichter herziehen

von Wal­ter Eigenmann

Der be­deu­ten­de Düs­sel­dor­fer Ro­man­tik-Chro­nist, Ro­man­cier, Di­plo­mat und Bio­graph Karl Varn­ha­gen von Ense schrieb ein­mal: „In der Li­te­ra­tur geht es nicht wie in ei­ner Tee­ge­sell­schaft zu; die Li­te­ra­tur ist ein Schlacht­fest und eine Schand­büh­ne, es gibt Wun­den und Sti­che in Men­ge, ne­ben we­ni­gen Eh­ren­zei­chen, die am Ende auch we­nig gel­ten. Das Ver­gnü­gen an der Sa­che ist das Bes­te dar­an, wie bei der Jagd.“

Das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar - Glarean Magazin
Das Goe­the-Schil­ler-Denk­mal in Weimar

Und in der Tat: Liest man quer durch die Jahr­hun­der­te, was Dich­ter über Dich­ter ge­schrie­ben ha­ben, in teils kaum ver­hoh­le­ner, nei­di­scher Ag­gres­si­vi­tät, teils mit ver­schäm­tem Mur­meln hin­ter vor­ge­hal­te­nen Zei­len, dann wie­der in State­ments des Ekels bis Has­ses oder auch in qua­si-theo­re­ti­schen Le­gie­run­gen von äs­the­ti­scher Ar­gu­men­ta­ti­on und mo­ra­lin­saurem Zei­ge­fin­ger – dann, spä­tes­tens dann klärt sich der ehe­mals un­be­darft-ver­zück­te Blick aufs heh­re Dich­ter­tum plötz­lich zur rea­lis­ti­schen Foto-Lin­se, die un­ge­schönt den Neid­ham­mel hin­term Ro­man, den Miss­güns­ti­gen hin­term Es­say, den Fut­ter­nei­der hin­term Dra­ma, den Fle­gel hin­term Ge­dicht, kurz­um: den Men­schen hin­ter dem Werk ans Licht zerrt.

Das bil­dungs­bür­ger­li­che Ide­al der fried­li­chen Ko­exis­tenz krea­ti­ven Schaf­fens krea­ti­ver Schaf­fen­der, die pro­pa­gier­te Sehn­sucht nach der mul­ti­künst­le­risch-kom­mu­ni­ka­ti­ven Ein­heit in der the­ma­ti­schen und stils­ti­schen Viel­falt: Nur Schall und Rauch und ad ab­sur­dum ge­führ­ter Traum li­te­ra­risch ge­schei­ter­ter Deutsch-Lehrer?

Mit intellektuellem Aufwand gegen den Intellekt des Gegners

Walter Eigenmann - In medias res - 222 Aphorismen - Buch-Cover 2015
An­zei­ge

An­de­rer­seits: Wel­cher Es­prit, welch me­ta­pho­ri­sche Ele­ganz, welch sprach­li­che Elo­quenz oft in die­sen Echauf­fie­run­gen von Dich­tern ge­gen Dich­ter! Frap­pant auch der in­tel­lek­tu­el­le Auf­wand, mit dem die In­tel­lek­tua­li­tät des Kon­tra­hen­ten ne­giert wird; und die­se Lei­den­schaft in der Bos­heit, mit wel­cher das Pu­bli­kum von der Nich­tig­keit des Geg­ners und sei­nes Wer­kes über­zeugt wer­den soll!
Ne­ben viel Gro­bem und ge­wollt Häss­li­chem also auch das Le­se­ver­gnü­gen des fei­nen Sti­chelns, des schel­mi­schen Trit­zens, des au­gen­zwin­kern­den Ne­ckens. Zu­wei­len auch wird der gröbs­te Holz­ham­mer aus der Scheu­ne ge­holt – doch das al­les al­le­mal in­ter­es­san­ter als der De­vo­tis­mus und die trä­nen­er­stick­te Pie­tät, mit der die Pa­ti­na des His­to­ri­sie­rens aus je­dem Zinn­sol­da­ten ein Mo­nu­ment macht. Und dann nicht zu ver­ges­sen all das un­be­wusst Selbst­bild­ne­ri­sche, das ge­spie­gelt aus al­len Zei­len der At­ta­cke zu blin­zeln pflegt, und das ge­samt­haft manch­mal mehr ver­rät über den Schrei­ber als über den Beschriebenen.

Man er­göt­ze sich denn also nach­ste­hend an ein paar der hüb­sches­ten Ge­mein­hei­ten und bru­tals­ten Net­tig­kei­ten aus dem (wohl un­er­schöpf­li­chen) Pan­op­ti­kum der li­te­ra­tur­kri­ti­schen Ir­run­gen und Wir­run­gen – und je­nes Mensch­lich-All­zu­mensch­li­chen, wie es die Bio­gra­phie noch der ge­ni­als­ten Schöp­fer von Welt­dich­tun­gen durch­zieht. Als sei es un­ab­ding­ba­rer Wi­der­part je­ner ge- bzw. über­stei­ger­ten Selbst­wert­schät­zung, die wohl je­des hoch­ste­hen­de künst­le­ri­sche Schaf­fen als psy­cho­lo­gi­sche Grund­dis­po­si­ti­on voraussetzt…

Es sagte…

…Schiller über Voss

Man sieht, dass Voss auch kei­ne ent­fern­te Ahn­dung von dem in­ne­ren Geist des Ge­dichts und folg­lich auch kei­ne von dem Geist der Poe­sie über­haupt ha­ben muss, kurz kei­ne all­ge­mei­ne und freie Fä­hig­keit, son­dern le­dig­lich sei­nen Kunst­trieb, wie der Vo­gel zu sei­nem Nest und der Bi­ber zu sei­nen Häusern.

…Voss über Arnim&Brentanos „Wun­der­horn“

Ein zu­sam­men­ge­schau­fel­ter Wust voll mut­wil­li­ger Ver­fäl­schun­gen, ein heil­lo­ser Misch­masch von al­ler­lei but­zi­gen, trut­zi­gen, schmut­zi­gen und nichts­nut­zi­gen Gas­sen­hau­ern, samt ei­ni­gen ab­ge­stan­de­nen Kirchenhauern.

…Heine über Goethe

Heinrich Heine (Karikatur: Titelseite der
Hein­rich Hei­ne (Ka­ri­ka­tur: Ti­tel­sei­te der „Ju­gend“ 1906 – „Hei­ne mit spit­zer Feder“)

Dass ich dem Aris­to­kra­ten­knecht Goe­the miss­fal­le, ist na­tür­lich. Sein Ta­del ist eh­rend, seit­dem er al­les Schwäch­li­che lobt. Er fürch­tet die an­wach­sen­den Ti­ta­nen. Er ist ein schwa­cher ab­ge­leb­ter Gott, den es ver­driesst, dass er nichts mehr er­schaf­fen kann.

…Goethe über Kotzebue&Co.

Mer­kel, Spa­zier und Kotzebue,
Das gibt doch mit Pas­quil­len kei­ne Ruh!
Doch tue ich gern de­ren li­ter­ä­ri­sches Wesen
Zu Abend auf dem Nacht­stuhl lesen,
Gro­be Wor­te, ge­lind Papier
Nach Wür­dig­keit be­die­nen hier;
Dann leg‘ ich ru­hig, nach wie vor,
In Got­tes Na­men mich aufs Ohr.

…O’Casey über Beckett

Ich war­te nicht auf Go­dot, dass er mir Le­ben bringt; ich bin sel­ber auf Le­ben aus, so­gar in mei­nem Al­ter. Was hat denn ir­gend je­mand von euch mit Go­dot zu schaf­fen? Im Ge­rings­ten von uns steckt mehr Le­ben, als Go­dot ge­ben kann.

…Beckett über Ringelnatz

Ich be­zweif­le nicht, dass Rin­gel­natz als Mensch von ganz aus­ser­or­dent­li­chem In­ter­es­se war. Als Dich­ter aber scheint er Goe­thes Mei­nung ge­we­sen zu sein: Lie­ber NICHTS schrei­ben, als nicht zu schreiben.

…Woolf über Tolstoj

Tolstoj in Leipzig (Karikatur: Tolstoj wird wegen seiner
Tol­s­toj in Leip­zig (Ka­ri­ka­tur: Tol­s­toj wird we­gen sei­ner „Auf­er­ste­hung“ in Leip­zig ver­haf­tet; „Sim­pli­cis­si­mus“ 1902)

Also, I will tell you about Anna Ka­re­ni­na, and the pre­do­mi­nan­ce of se­xu­al love in 19th cen­tu­ry fic­tion, and its gro­wing un­rea­li­ty to us who have no real con­dem­na­ti­on in our he­arts any lon­ger for adul­tery as such. But Tol­s­toj hoists all his book on that sup­port. Take it away, say, no it doesn’t of­fend me that AK. should co­pu­la­te with Vron­sky, and what remains?

…Tolstoj über Shakespeare

Shake­speares „King Lear“ ist un­ter al­ler ernst­ge­mein­ten Kri­tik. Das Stück ist ethisch ab­stos­send und tech­nisch infantil.

…Musil über Grillparzer

Man ver­ges­se doch nicht, wenn man die Be­deu­tung Grill­par­zers be­stimmt, dass zu je­ner Zeit schon Flau­bert, Bal­zac, Dos­to­jew­skij schu­fen, und dass die deut­sche Ent­wick­lungs-Li­nie bei Grill­par­zer um eine Pha­se hin­ter der Welt zu­rück war.

…Grillparzer über Balzac

Ich glau­be, der Kerl ist wahn­sin­nig geworden.

…Hacks über Biermann

Bier­manns Lie­der wa­ren bild­haft und wun­der­lich wie die, wel­che die Schä­fer auf der Hei­de und die Dienst­mäd­chen in den gros­sen Städ­ten sin­gen. Erst als ein feh­ler­haf­ter Ehr­geiz ihn trieb, sich an Hei­nes Phi­lo­so­phie und Vil­lons Welt­ge­fühl zu mes­sen, als er sich von den All­tags­sa­chen weg und den Welt­sa­chen zu­wand­te, ver­stiess er ge­gen die sei­ner Be­ga­bung an­ge­mes­se­ne Gat­tung und sank vom Volks­lied­sän­ger zum Ka­ba­ret­tis­ten. Er wur­de, was er ist: der Edu­ard Bern­stein des Tingeltangel.

…Biermann über Brecht

Bertold Brecht - Glarean Magazin
Ber­told Brecht

Brecht leb­te das kal­te Prin­zip der Zweck­mäs­sig­keit, das bru­ta­le Pri­mat sei­ner Pro­duk­ti­vi­tät über so wack­li­ge Wer­te wie Freund­schaft, Lie­be und Solidarität.

…Benn über Céline

Er ist ein pri­mä­rer Spu­cker und Kot­zer. Er hat ein in­ter­es­san­tes ele­men­ta­res Be­dürf­nis, auf je­der Sei­te, die er ver­fasst, min­des­tens ein­mal je Scheis­se, Pis­se, Hure, Kot­zen zu sa­gen. Wor­über, ist nebensächlich.

… Tucholsky über Kraus

Kom­plett meschugge. ♦

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma „Hu­mor in der Li­te­ra­tur“ auch die An­ek­do­ten aus der Welt der Li­te­ra­tur (1)
… so­wie die Ro­man-Re­zen­si­on über Da­vid Sa­fier: Je­sus liebt mich

2 Kommentare

  1. Fol­gen­des zi­tie­re ich aus dem Ge­dächt­nis (lt. Ga­da­mer darf man das), ohne Quel­len­ver­weis, und bür­ge da­her nicht für die ab­so­lu­te Echtheit:
    Tho­mas Mann über Ber­tolt Brecht: „Das Scheu­sal ist begabt.“
    Ber­tolt Brecht, nach­dem ihm dies hin­ter­bracht wor­den war, über Tho­mas Mann: „Ich mag sei­ne Kurz­ge­schich­ten auch ganz gern.“

  2. Eine schö­ne Sei­te, mit aus­ge­sucht sel­te­nen Zi­ta­ten, al­ler­dings ist die Be­ur­tei­lung der Schrift­stel­ler über die Jahr­hun­der­te hin­weg eine an­de­re als die gleich­zei­ti­ge. Wenn etwa Hei­ne ge­gen Goe­the schreibt, tut er dies, um sei­ne ei­ge­ne Po­si­ti­on ge­gen den über­mäch­ti­gen Rie­sen zu be­haup­ten, was aber Mu­sil an Grill­par­zer aus­zu­set­zen hat, fin­det doch vor dem Hin­ter­grund ei­ner mit den Jah­ren doch schon sehr ein­ge­schränk­ten Grill­par­zer-Wir­kung statt.
    Man könn­te vie­le bos­haf­te Zi­ta­te ge­gen Varn­ha­gens Zeit­ge­nos­sen aus des­sen ge­druck­ten und un­ge­druck­ten Ta­ge­bü­chern nachtragen.
    Aber auch da gilt na­tür­lich, daß es ein an­de­res ist, ob die Äu­ße­rung öf­fent­lich, in ei­ner Re­zen­si­on er­folgt oder ob sie nur den sub­je­ti­ven Ein­druck des Au­gen­blicks wie­der­gibt. Hei­ne hat zu an­de­ren Zei­ten ja höchst ver­eh­rungs­voll von dem al­ten Wei­ma­rer Dich­ter­fürs­ten ge­spro­chen und sein schöns­tes Ein­ge­ständ­nis war, rück­bli­ckend auf sei­ne ju­ve­ni­le Goe­the-Kri­tik, er wis­se nicht, was all die an­de­ren jun­gen Au­toren dazu ver­lei­tet habe, ge­gen Goe­the zu schrei­ben, bei sich selbst wis­se er das Mo­tiv ganz ge­nau: „Es war der Neid.

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