Joanna Lisiak: Des Künstlers Seele (Essay)

Des Künstlers Seele

von Joanna Lisiak

An Ver­nis­sa­gen von Gale­rien würde man ihm mit gros­ser Wahr­schein­lich­keit begeg­nen, denn gewis­ser­mas­sen ist es seine Pflicht, an sol­cher­lei Anläs­sen zu erschei­nen. Diese Fei­er­lich­kei­ten – eher von poli­ti­scher und bana­ler denn ästhe­tisch-phi­lo­so­phi­scher Natur. Er ist also zuge­gen, hat seine Ate­lier­um­ge­bung ver­las­sen, hat seine übli­che Arbeits­gar­de­robe gegen eine andere getauscht. Er fühlt sich mög­li­cher­weise unwohl, ist irri­tiert ob der ver­meint­lich inter­es­sier­ten Kreise, die durch selt­sam gespon­nene Netze ihre Wege zu die­sem Abend gefun­den haben. Der Künst­ler inmit­ten derer, die wahr­schein­lich nie hun­gern, und wel­che mehr Fai­ble als auf­rich­ti­ges Kunst­ver­ständ­nis auszeichnet.

Er steht wahr­haf­tig da, und doch ent­fernt. Poten­ti­ell steht er Red und Ant­wort, und wer etwas spä­ter ins leise Glas­klir­ren und Par­füm­ge­wölk kommt, der wird den Prot­ago­nis­ten des Abends mög­li­cher­weise lange suchen. Denn sehr oft ist es der kleine Unschein­bare, der den Spiess umge­dreht hat und sel­ber in eine Beob­ach­ter­rolle geschlüpft ist. Man erkennt ihn weni­ger am stol­zen Gang oder am Posie­ren  als an dem auf den zwei­ten Blick Erkenn­ba­ren; oft erst im Ver­gleich zu den auf­ge­ta­kel­ten und angeb­li­chen Schön­geis­tern fällt sein schlich­tes Schuh­werk auf, das eher schlecht gebü­gelte Hemd, der sub­til ein­ge­stickte Mar­ken­name auf der lin­ken Brust­ta­sche abwe­send. So pedan­tisch Künst­ler, die mir bis­her begeg­net sind, sein kön­nen, die Über­ge­nau­ig­keit bezieht sich auf ihr Werk und Tun, nicht auf ihr aus­se­hen. Im Gesicht ein ver­schla­gen-leuch­ten­des Augen­paar, das etwas Ver­schmitz­tes aus­strahlt und einen kind­li­chen Geist erah­nen lässt.

Die Künstlerseele macht den Künstler aus

Wenn ich von einem Künst­ler spre­che, meine ich aber kei­nes­wegs Äus­ser­lich­kei­ten, die für alle glei­cher­mas­sen da sind, für die Schau­en­den und Sehen­den. Das Visu­elle, wie die Sinne über­haupt, sind in ihrer poten­ti­ell jeder­zeit ent­flamm­ba­ren Art naiv demo­kra­tisch, ste­hen unvor­ein­ge­nom­men zur Ver­fü­gung auch für Igno­ran­ten und Fana­ti­ker. Nur die Erkennt­nis­su­chen­den neh­men die schein­bare Ober­flä­che als Schlös­ser und Türen wahr, die loh­nen und leise for­dern geknackt, geöff­net zu wer­den. Wenn ich vom Künst­ler spre­che, dann spre­che ich auch nicht vom Werk und jenen Spie­ge­lun­gen und Refle­xio­nen, die vom Macher kom­men. Mit Künst­ler meine ich die Künstlerseele.

Die Künst­ler­seele ist es, die einen Künst­ler zu einem Künst­ler macht. Es ist nicht das artis­ti­sche Werk, nicht das Noch­nicht­da­ge­we­sene, weder das Pro­vo­ka­tive noch das his­to­risch, hand­werk­lich gut Umge­setzte. Eine Künst­ler­seele ist auch nicht mess­bar an Qua­li­täts­ba­ro­me­tern. Selbst das Genie sei­nes Gen­res gewähr­leis­tet keine Garan­tie. Am wenigs­ten meine ich mit dem Begriff das Künst­ler­kli­schee des ver­schro­be­nen Men­schen­bil­des. Oder jenen erfolgs­ver­wöhn­ten Mann, der sich geschickt im Netz­werk der Gale­ris­ten, Mäzene und Agen­ten bewegt, sich ihrem Ver­mitt­lungs­spiel­trei­ben opfert und dies mit kei­ner Faser sei­nes Gemüts bezahlt, was ihn für mich ver­däch­tig macht.

Zwei­fels­ohne kann eine Künst­ler­seele auch einen Sieg­ge­krön­ten bele­ben, und sie tut es immer wie­der. Aber die Fak­to­ren, die für Auf­stieg und Durch­bruch ste­hen, las­sen sie jeden­falls unbe­rührt. Ein­zig aus sich her­aus soll sie tun oder unter­las­sen, tri­um­phie­ren oder schei­tern. Eine Künst­ler­seele ist eine Seele, die nicht for­dert und nicht muss. Sie darf sich in ihrem Aus­druck, sei er nun ele­gant und tief­sin­nig oder dahin­ge­schmiert und von will­kür­li­cher Anrüh­rung, aus­to­ben. Poten­ti­ell darf sie immer inak­tiv blei­ben. Es genügt, wenn sich ihr mono­lo­gi­scher Dia­log im Innern abspielt, wenn sie ans Aus­ser­halb anspruchs­los Grösse zei­gen kann. Wenn sie in jenem rich­ti­gen Moment ver­steht, wo es um das Wahre geht, ohne das pro-aktive Zutun. Das Schaf­fende und Erschaffte also aus­ser Acht. Sie begreift ihr Sein mit dem Ver­zicht auf schmü­ckende Attri­bute oder Werte, denn sie ist genü­gende Tatsache.

Es ist also nicht das Tun und nicht das Resul­tat, das ihre Exis­tenz stützt. Eine Künst­ler­seele benö­tigt kein Leid oder eine Zäsur, um ans Ziel zu gelan­gen. Sie kennt das Ziel nicht. Auch muss sie nicht viel erlebt haben an Welt. Eine Künst­ler­seele als sol­che ist roh und bereits aus­ge­wach­sen. Sie ist nicht von unend­li­cher Aus­wu­che­rung. Dazu ist sie zu sehr mit­ti­ger Still­stand. Sie hat kein Geschlecht und kein Alter. Ein­zig ist sie. Das Sein als Matrix.

Das Sein als Matrix…

Die Künst­ler­seele näm­lich ist im Sein bereits ent­fal­tet. Ob sie glück­lich oder betrübt gefärbt ist, hängt vom “Trä­ger” ab oder vom Zufall der Tages­zeit. Dass es von die­sem An-Sich-Sein Aber­va­ri­an­ten und -ver­sio­nen gibt, ist den­noch nicht von der Hand zu wei­sen. Dass man von ihr weni­ger spricht als vom Künst­ler, grün­det viel­leicht in unse­rer Vor­stel­lung, Sachen wie Per­so­nen ding­bar, fass­bar machen zu wol­len. Auf einen Künst­ler kann man mit dem Fin­ger zei­gen. Gegen ein Gemälde ein Wort­reich erbauen. Aber selbst die akku­ra­teste Wahl der Worte und Hin­ter­gründe ist in ihrer Form phy­si­scher als die Vor­stel­lung davon, was die Künst­ler­seele ist: körperlos.

Ohne Seele keine Künst­ler. Aber viele Werke muten see­len­los an. Das Werk also ist es nicht, an wel­chem wir eine sol­che Seele erken­nen. Dem Mann mit dem leicht unbe­küm­mer­ten Gesicht – der in der Gale­rie sei­nen poten­ti­el­len Kun­den, für die er weder lebt, aber viel­leicht von ihnen, gegen­über steht – man wird es ihm nicht anse­hen, ob er sie nun hat oder nicht. Die­ser gelobte Künst­ler, der in der Aus­stel­lung so nah ist, als lebe er just in der­sel­ben an Wider­spruch und Kom­pro­miss rei­chen Welt.

Viel­leicht trös­ten wir uns ein Stück damit, dass er ja da ist und es ihn sicht­lich nicht “bes­ser erwischt” hat als unser­ei­nen, Bes­ser­be­tuch­ten, die uns zynisch Bröt­chen­ver­die­ner nen­nen und uns manch­mal, in einem Anflug von Aus­bruch, aber­wit­zig klei­den wie gerade jetzt, uns in sog. Künst­ler­kreise mischen, das Sekt­glas läs­sig in der Hand, eine ent­rückte Auf­ge­regt­heit im Blick, als wäre man gerade ver­liebt, und die von einer loka­len Zei­tungs­re­por­te­rin ver­se­hent­lich um ein Inter­view gebe­ten wer­den. Zunächst beschämt, erle­ben wir sogleich ein Gefühl von Aner­ken­nung. Und das Para­doxe der Situa­tion und die Phan­ta­sie las­sen es zu, dass wir uns hin­lei­ten zu die­sem roman­ti­schen Bild, auf dem Land, in einer male­ri­schen Scheune, wie wir aus einem Stück roher Mar­mor­masse die für unser erfah­re­nes Auge schon erkenn­bare Form meis­seln. In dem Moment haben wir gegen­über den ande­ren kos­tü­mier­ten Gäs­ten gesiegt und ver­lo­ren in dem Moment, wo sich unser Blick mit dem wah­ren Künst­ler trifft.

Form nach Form unter der Käseglocke…

Aber nicht nur auf Ver­nis­sa­gen trifft man Tritt­brett­fah­rer an. Sie ver­ste­cken sich in durch­ge­styl­ten Büro­ge­bäu­den, sie tau­chen als spruch­reife Aus­re­den auf, wenn der durch Gänge schlur­fende Buch­hal­ter weder einen Satz auf die Reihe kriegt noch über Zah­len­flair ver­fügt, aber mit dem Künst­ler-Stem­pel eine ihn fast fried­lich anmu­tende Aura von Akzep­tanz umgibt. Oder der Chef, der es schlicht­weg nicht im Griff hat, pünkt­lich den Lohn sei­ner Unter­ta­nen zu bezah­len, weil er sich sel­ber für einen unan­tast­ba­ren und uner­reich­ba­ren Künst­ler hält. Und er diese Nach­richt mit einst gelern­tem Mar­ke­ting­flair zur Legende macht, bis er sel­ber wirk­lich daran glaubt und auf die­ser Grund­lage seine Marot­ten züch­tet. Das Kli­schee Künst­ler, das zum Manie­ris­mus verkommt.

Die­ses ehr­fürch­tige Wort “Künst­ler” ist ein Phä­no­men, das sich aus­brei­tet, ist es ein­mal ver­laut­bart, bis hin zu den Krei­sen, in denen tat­säch­lich von Kunst die Rede ist. Dass dem auf dem Begriff als Sprung­brett abge­ho­be­nen Möch­te­gern-Künst­ler keine Beweise abver­langt wer­den, spricht für die Tat­sa­che, dass ein Künst­ler auch der sein kann, der keine Werke schafft. Und auch jener, der aus rei­ner Dis­zi­plin unter einer Art Käse­glo­cke Form nach Form erzeugt. Der Aus­druck als Wie­der­ho­lung eines Glücks­mo­ments, das mit jenem Moment bereits ent­schwand. Kunst indes hat keine Gren­zen. Und nicht weni­ger als im Ange­sicht einer erschaf­fen­den Kon­ti­nui­tät, die im Dia­log mit dem Aus­ser­halb steht, kom­men mir die gröss­ten Zwei­fel, ob es sich nicht ledig­lich um Pro­duk­tion und Kon­takt­punkt, gepaart mit dem fahr­läs­si­gen Umgang mit der Figur Künst­ler, han­delt. Der Wahn, der in einer Künst­ler­seele inne­wohnt, kann manch­mal und oft vor lau­ter Wol­len nicht mehr.

Dem Künst­ler an der Ver­nis­sage sind sol­che Über­le­gun­gen mög­li­cher­weise zu anstren­gend. Zu sehr nimmt ihn seine Künst­ler­seele in ihren Gehor­sam. Sie ver­langt nichts, denn sie ist in ihrem So-Sein gefan­gen. Sie kann nichts dafür und ist somit nicht schul­dig und unschul­dig. Erst, wenn der Macher aus­bricht und sich in Künst­ler-Nicht­see­len mischt, nimmt die ansons­ten leichte Sache einen Weg des Wider­stan­des. Der Künst­ler als See­len­zu­stand – Ruhe in sich gepolt. Zahl­rei­che Künst­ler, die ihre Vehi­kel nicht fin­den, um sich durchs Werk erkenn­bar zu machen. Aus­ser­dem Künst­ler, die durch allzu glatte Umstände im Gesell­schafts­rad eine Funk­tion fan­den und davon nicht los­kom­men, so dass ihre nie alternde Künst­ler­seele einem küm­mer­li­chen Dasein frönt. Ver­kannte Künst­ler und Künst­ler, die nicht wis­sen, dass sie Künst­ler sind…

Des Künstlers neutrale Zufriedenheit

Auf der ande­ren Seite die gel­len­den Künst­ler, cle­ver und pro­duk­tiv – die Nega­tiv­form vom ver­kann­tem Künst­ler? Ein für mein Emp­fin­den wirk­lich wah­rer Künst­ler, der Werk und Schaf­fen nicht aktiv aus­lebt, sagte mir, dass er einen ande­ren, in sei­nen Augen wah­ren Künst­ler bewun­dere dafür, dass jener nichts wei­ter benö­tige als fast nichts zu tun – und die­ses Fast-nichts mit nie­man­dem zu tei­len brau­che und dabei eine neu­trale Zufrie­den­heit lebe. Das impo­niere ihm – und wäh­rend er sich seine Pfeife stopfte, sagte er zu mir: “Ist das nicht wun­der­bar? Ich wäre so glück­lich, wenn ich schon dort wäre”. Viel­leicht lag es an sei­nem zer­brech­li­chen Ton­fall und sei­nem tief sit­zen­den Ver­ständ­nis, die mir in jenem Moment die leise Aner­ken­nung weckte, als wäre mein Bekann­ter da gerade oder über­haupt nicht weni­ger als eben ein Künst­ler-See­len­ver­wand­ter. Jemand, der nie den Anspruch haben würde, das Wort “Künst­ler” für sich zu bean­spru­chen, weil es zum einen seine Beschei­den­heit und Demut nicht zulies­sen und zum ande­ren, weil er das Wort “Künst­ler” zu sehr im ent­wür­dig­ten Sta­tus sieht.

Leicht kom­men einem die Worte “Künst­ler” – ggf. noch mit dem Anhäng­sel “halt”, das vor­flun­kert wirk­lich zu wis­sen, worum es da gehe – über die Lip­pen. Worte und Tugen­den wie “Ehr­furcht”, “Über­mensch­li­ches”, “Sosein” wir­ken auf der Zunge plump und pathe­tisch. Viel­leicht des­we­gen spre­che ich lie­ber von der Künst­ler­seele. Ich wage zu behaup­ten, ich hätte es damals gespürt in jenem bei­nah flüch­ti­gen Moment, als seine eigene über die andere Seele sprach. Als es um das Irgendwo und Irgend­wen ging, um das Fast Nichts im Nicht-Dia­log mit Nie­mand. Da war es. Zwi­schen sei­nen Wor­ten: wahre Grösse spür­bar. Über­wäl­ti­gung schwang mit, die mir die Spra­che ver­schlug und mich augen­blick­lich klein füh­len liess. Es war ein nicht zu bewei­sen­der Beweis, dass auf ein­mal beide zuge­gen waren. Oder etwas. Ein kur­zes Anleuch­ten auf ein Dasein fern phy­si­scher Gren­zen. Künstlerseelen.

Denn es gibt sie wirk­lich. Und viel­leicht ist die Ach­tung vor die­ser nicht in Wor­ten zu fas­sen­den Tat­sa­che ein klei­nes Ver­bin­dungs­glied, das fili­grane Brü­cken schlägt zu die­sen auf wun­der­bar geheim­nis­volle Weise ver­bor­ge­nen Künstlerseelen. ♦


Joanna Lisiak
Geb. 1971 in Polen, Lyrik- und Prosa-Ver­öf­fent­li­chun­gen in Büchern und Zeit­schrif­ten, Doku­men­tar­filme und Hör­spiele, Radio-Mode­ra­tion, Mit­glied des PEN, Jazz-Sän­ge­rin, lebt in Nürensdorf/CH

Lesen Sie im Glarean Maga­zin auch den Essay von
Joanna Lisiak: Reife Männerstimmen

… sowie zum Thema Sprach-Kunst über
Bri­gitte Fuchs: Salto Wortale

aus­ser­dem im GLAREAN zum Sprach­kunst & Bilder:
Medi­ta­tion über das Bild “Grand Arlequinade”

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