Janko Ferk: Wie man Franz Kafka wird (Essay)

Über die Genesis eines Genies

von Dr. Janko Ferk

Im 18. Juni 1906 wur­de der Dich­ter Franz Kaf­ka in Prag zum Dr. jur. pro­mo­viert. Für die deutsch­spra­chi­ge Li­te­ra­tur un­denk­bar, dass er statt Rechts­wis­sen­schaf­ten Che­mie stu­diert und statt der „Ver­wand­lung“ „Die Um­wand­lung“ ge­schrie­ben hätte.

Als un­ab­ding­ba­rer oder viel­mehr un­ver­meid­li­cher Be­stand­teil der Ret­tung des Abend­lands war und ist, ab­ge­se­hen von sog. Be­rech­ti­gungs-Prü­fun­gen, die Ma­tu­ra als In­itia­ti­ons­ri­tus für die Auf­nah­me un­ter die – be­reits vom Le­ben ge­prüf­ten – Er­wach­se­nen vor­ge­se­hen. Wa­ren um die Wen­de zum vo­ri­gen Jahr­hun­dert leicht über­trie­be­ne Ge­schen­ke wie Ca­bri­os und der­glei­chen noch nicht vor­ge­se­hen, so blieb man doch ge­wis­ser­mas­sen im Be­reich der Mobilität.

Franz Kafka - Denkmal in Prag - Glarean Magazin
Das Franz-Kaf­ka-Denk­mal in Prag

Franz Kaf­ka, bei­spiels­wei­se, wur­de für die am 11. Juli 1901 be­stan­de­ne Ma­tu­ra von den El­tern mit ei­ner aus­ge­dehn­ten Rei­se be­schenkt. Der knapp Acht­zehn­jäh­ri­ge war der jüngs­te von vier­und­zwan­zig Ma­tu­ran­ten sei­nes Jahr­gangs. Die schrift­li­che Rei­fe­prü­fung legt er in den Haupt­fä­chern alte Spra­chen, Deutsch und Ma­the­ma­tik ab, die münd­li­che kon­zen­trier­te sich auf Über­set­zun­gen aus dem La­tei­ni­schen und Grie­chi­schen. Franz K. wäre nicht Franz K., wenn er die Prü­fun­gen nicht wie ei­nen dro­hen­den Ge­richts­tag er­war­tet hät­te, an dem sich sein Schick­sal ent­schei­den soll­te, wie er sich spä­ter in sei­nen Schrif­ten erinnerte.

Kafka als Schüler: Weder Stärken noch Schwächen

Franz Kafka als knapp Achtzehnjähriger
Franz Kaf­ka als knapp Achtzehnjähriger

Zu­vor muss­te er aber noch ei­nen zeit­ty­pisch chau­vi­nis­ti­schen Ma­tu­ra-Auf­satz mit der Über­schrift „Wel­che Vor­tei­le er­wach­sen Ös­ter­reich aus sei­ner Welt­la­ge und aus sei­nen Bo­den­ver­hält­nis­sen?“ ver­fas­sen. Franz Jo­seph I., der in Prag am 12. Juni 1901 als Kai­ser buch­stäb­lich ein­ritt, hät­te bei der Lek­tü­re wohl sei­ne Freu­de ge­habt. Das Ma­tu­ra­zeug­nis zeigt ei­nen leicht über­durch­schnitt­li­chen Schü­ler, der in kei­ner Dis­zi­plin nen­nens­wer­te Stär­ken oder Schwä­chen auf­weist. Sechs „lo­bens­wer­te“ und sechs „be­frie­di­gen­de“ Leis­tun­gen sa­gen in ih­rer nu­me­ri­schen Sprö­dig­keit zwar nicht all­zu viel aus, at­tes­tie­ren aber ei­nen nicht be­son­ders schlech­ten Abiturienten.

Maturand Kafka
Ma­tu­rand Kafka

Die ge­schenk­te Rei­se führt Franz Kaf­ka erst­mals über die Gren­zen des Kö­nig­reichs Böh­men. Zum Be­glei­ter wird On­kel Sieg­fried Löwy, der Land­arzt (!) aus Tri­esch in Mäh­ren. On­kel und Nef­fe rei­sen im Au­gust 1901 nach Nor­der­ney und Hel­go­land. Spä­ter fährt Kaf­ka lie­ber nach Ve­ne­dig, an die Adria, in die Tos­ka­na, nach Süd­ti­rol oder Ber­lin und sonst wohin.

Kaf­ka muss den für Ma­tu­ran­ten vor­ge­se­he­nen Mi­li­tär­dienst als Ein­jäh­rig­frei­wil­li­ger nicht an­tre­ten, weil ihm ein ärzt­li­ches Zeug­nis eine „Schwä­che“ be­schei­nigt, die ihn zum Die­nen un­fä­hig macht. Dem Stu­di­en­be­ginn ste­hen also we­der Drill noch Dril­lich, soll heis­sen Uni­form, entgegen.

Zwänge der jüdischen Hochschul-Karrieren

Bei der Aus­wahl des Stu­di­ums scheint der acht­zehn­jäh­ri­ge Franz Kaf­ka eher un­schlüs­sig ge­we­sen zu sein. In ein Ver­zeich­nis in sei­nem Gym­na­si­um hat er kurz vor der Ma­tu­ra Phi­lo­so­phie als Stu­di­en­wunsch ein­ge­tra­gen. Ein Mei­nungs­wech­sel dürf­te beim Nach­den­ken im Juli 1901 ein­ge­tre­ten sein. Der Staats­dienst war für Ju­den mit we­ni­gen Aus­nah­men un­zu­gäng­lich und ka­men für Aka­de­mi­ker nur freie Be­ru­fe in Fra­ge. Der k.u.k. Son­der­fall wa­ren Fä­cher, die für eine Tä­tig­keit in der Pri­vat­in­dus­trie qua­li­fi­zier­ten. Der spä­te­re Ju­rist und Dich­ter zog of­fen­sicht­lich ei­nen Pos­ten in der Wirt­schaft ins Kal­kül. Che­mie war zu Be­ginn des vo­ri­gen Jahr­hun­derts nichts we­ni­ger als eine be­son­ders un­ge­wöhn­li­che Stu­di­en­wahl. Der Lei­ter des Che­mi­schen In­sti­tuts, Gui­do Gold­schmidt, war ge­tauf­ter Jude und ein ex­em­pla­ri­sches Bei­spiel für die Zwän­ge, de­nen jü­di­sche Hoch­schul­kar­rie­ren un­ter­wor­fen wa­ren. Viel mehr als Pri­vat­do­zent oder höchs­tens Ex­tra­or­di­na­ri­us war nicht zu schaffen.

Karls-Statue vor der K.K.-Deutschen Universität in Prag
Karls-Sta­tue vor der K.K.-Deutschen Uni­ver­si­tät in Prag

Im Ok­to­ber 1901 schreibt sich Franz Kaf­ka ge­mein­sam mit sei­nen Freun­den Os­kar Poll­ak und Hugo Berg­mann für das Che­mie­stu­di­um an der k. k. Deut­schen Karls Fer­di­nands-Uni­ver­si­tät in Prag, wie sie mit vol­lem Ti­tel heisst, ein, und stu­diert die­se Wis­sen­schaft gan­ze zwei Wo­chen, um dann zu den Ju­ris­ten zu wechseln.
Die Uni­ver­si­tät, die im Jahr 1348 ge­grün­det wur­de, teil­te sich im Jahr 1882 in eine deut­sche und eine tsche­chi­sche. Die Lehr­ver­an­stal­tun­gen wur­den im „Ca­ro­li­num“ ab­ge­hal­ten. Die Pra­ger Ju­den ent­schie­den sich in der Mehr­heit für die deut­sche Uni­ver­si­tät, so auch Franz Kaf­ka, wo­bei nicht die Mut­ter­spra­che ent­schei­dend war, son­dern das – der deutsch­spra­chi­gen Hoch­schu­le zu­ge­schrie­be­ne – Bil­dungs­po­ten­ti­al. Die Karls-Uni­ver­si­tät be­ton­te in na­tio­na­ler Hin­sicht das Deut­sche, die Stu­den­ten tru­gen bei öf­fent­li­chen Auf­trit­ten schwarz-rot-gol­de­ne Schul­ter­bän­der mit der ein­ge­näh­ten Jah­res­zahl „1848“.

Nur die Juden glauben noch, das Deutschtum verteidigen zu müssen“

Der Ein­fluss des Deutsch­spra­chi­gen ver­lor in die­sem Zeit­raum zu­se­hends an Be­deu­tung. Leo Her­mann, der Ob­mann des zio­nis­ti­schen Ver­eins „Bar-Koch­ba“ schreibt schon im Jahr 1909 an Mar­tin Bu­ber: „Nur die Ju­den glau­ben noch, das Deutsch­tum ver­tei­di­gen zu müs­sen.“ Der Brief­schrei­ber hat nicht wis­sen kön­nen, dass in sei­ner Nähe ei­ner der gröss­ten deutsch­spra­chi­gen Dich­ter her­an­reift. Man stel­le sich vor, Franz Kaf­ka wäre bei der Che­mie ge­blie­ben, sei­ne Meis­ter­stü­cke hies­sen dann nicht „Der Pro­zess“, „Die Ver­wand­lung“ oder „Das Ur­teil“, son­dern viel­leicht „Die For­mel“, „Die Um­wand­lung“ und „Der Stoff“…

Kafkas Manuskript von "Der Prozess"
Kaf­kas Ma­nu­skript von „Der Prozess“

Die Uni­ver­si­tät, an der Kaf­ka (aus)gebildet wur­de, konn­te rund um sei­ne Zeit mit ei­ni­gen wah­ren Ka­li­bern auf­war­ten. Die Phy­si­ker Ernst Mach und Al­bert Ein­stein lehr­ten, der Phi­lo­soph Franz von Bren­ta­no, der Völ­ker­recht­ler Hein­rich Rauch­berg, der Rechts­ge­schicht­ler Hein­rich Sin­ger und der Ver­wal­tungs­recht­ler Jo­sef Ulb­rich ste­hen für die Qua­li­tät des da­ma­li­gen „Ju­ri­di­cums“. Na­tür­lich könn­te man wei­te­re klin­gen­de Na­men auf­zäh­len. Sie lau­ten Chris­ti­an von Eh­ren­fels, An­ton Mar­ty und Al­fred We­ber, wo­bei letz­te­rer Kaf­kas Pro­mo­tor bei der Pro­mo­ti­ons­fei­er war.

In­ner­halb der Uni­ver­si­tät bil­de­ten die Ju­ris­ten die zah­len­mäs­sig stärks­te Fa­kul­tät. Mehr als die Hälf­te der jü­di­schen Stu­den­ten in­skri­bier­te Rechts­wis­sen­schaf­ten, weil sie nach dem Ab­schluss frei­be­ruf­lich als Rechts­an­wäl­te und No­ta­re tä­tig wer­den konn­ten. Auch Franz Kaf­ka tauch­te bei ih­nen un­ter, um un­ge­stört in sei­ne Ge­dan­ken­wel­ten rei­sen zu kön­nen, sei­ne li­te­ra­ri­schen An­fän­ge fal­len aber be­reits in das Jahr 1896, als er zum ers­ten Mal den Wunsch preis­gibt, Schrift­stel­ler wer­den zu wollen.

Germanist oder Jurist?

Oskar Pollak
Os­kar Pollak

Im Früh­jahr 1902 be­legt er noch Vor­le­sun­gen aus Ger­ma­nis­tik, Kunst­ge­schich­te und Phi­lo­so­phie. Die Un­ent­schlos­sen­heit dürf­te da­mals noch nicht zur Gän­ze aus­ge­räumt ge­we­sen sein. Zu Be­ginn des Win­ter­se­mes­ters 1902/03 über­legt er kurz, nach Mün­chen zu wech­seln. Prag las­se ihn, wie er Ende De­zem­ber 1902 sei­nem Freund  Os­kar Poll­ak schreibt, aber nicht los. Im Herbst 1903 denkt Kaf­ka ver­mut­lich noch ein­mal über ei­nen Wech­sel zur Ger­ma­nis­tik nach. Wahr­schein­lich hin­dert ihn letzt­lich der Wi­der­stand des Vaters.

Die Schwestern Valli, Elli, Ottla (von Nazi-Deutschland in Lodz und Auschwitz ermordet)
Die Schwes­tern Val­li, Elli, Ott­la (von Nazi-Deutsch­land in Lodz und Ausch­witz ermordet)

Das Jus­stu­di­um war für Franz Kaf­ka nicht das reiz­volls­te, ob­wohl er es letzt­lich nach nur sie­ben Se­mes­tern ab­sol­viert. Im nach­hin­ein schreibt er im Jahr 1919 über es: „Ich stu­dier­te also Jus. Das be­deu­te­te, dass ich mich in den paar Mo­na­ten vor den Prü­fun­gen un­ter reich­li­cher Mit­nah­me der Ner­ven geis­tig förm­lich von Holz­mehl nähr­te, das mir über­dies schon von tau­send Mäu­lern vor­ge­kaut war.“

Kaf­ka wohnt wäh­rend der Stu­di­en­zeit zu­hau­se und ist im Ver­gleich zu sei­nen Schwes­tern pri­vi­le­giert. Er hat ein ei­ge­nes Zim­mer, kann Freun­de emp­fan­gen und muss sei­nem Va­ter nicht Ge­sell­schaft leis­ten oder sein Part­ner beim Kar­ten­spiel sein.

Mit der Note „genügend“ zum Doktor promoviert

Kafkas erster Studien-Schreibtisch
Kaf­kas ers­ter Studien-Schreibtisch

Im 18. Juli 1903 be­steht Franz Kaf­ka nach „drei ver­träum­ten Se­mes­tern“, wie der Li­te­ra­tur-Wis­sen­schaft­ler Pe­ter-An­dré Alt kon­sta­tiert, die ers­te Staats­prü­fung aus den rechts­his­to­ri­schen Fä­chern mit „gu­tem Er­folg“. Am 7. No­vem­ber 1905 macht er das so­ge­nann­te Ri­go­ro­sum II aus Zi­vil-, Han­dels- und Wech­sel­recht, Zi­vil­pro­zess und Straf­recht, also den ju­di­zi­el­len Teil des Stu­di­ums, und be­steht es mit „ge­nü­gen­dem“ Er­folg. Das Ri­go­ro­sum III aus All­ge­mei­nem und Ös­ter­rei­chi­schem Staats­recht, Völ­ker­recht und po­li­ti­scher Öko­no­mie leg­te er am 13. März 1906 eben­so mit der Note „Ge­nü­gend“ ab.  Das ab­schlies­sen­de Ri­go­ro­sum I aus Rö­mi­schem, Ka­no­ni­schem und Deut­schem Recht fand am 13. Juni 1906 statt. Auch bei die­sem er­reicht er nicht mehr als sei­ne of­fen­sicht­lich abon­nier­te Be­ur­tei­lung. Am 18. Juni 1906 wird Franz Kaf­ka zum Dok­tor der Rech­te promoviert.

Nicht un­er­wähnt sei, dass der Stu­dent Franz Kaf­ka un­ter Prü­fungs­ängs­ten litt. Ende Juli 1905 fuhr er aus die­sem Grund in das nord­mäh­ri­sche Zuck­man­tel, wo er sich vier Wo­chen lang in ei­nem Sa­na­to­ri­um be­han­deln liess, das aus da­ma­li­ger Sicht mo­dernst ein­ge­rich­tet war. Er macht dort we­gen der um­fas­sen­den Stu­di­en-Ver­pflich­tun­gen eine so­ge­nann­te Hy­dro­kur mit elek­trisch er­hitz­ten Bä­dern ge­gen ner­vö­se Span­nungs­zu­stän­de. Aus heu­ti­ger Sicht eine doch eher son­der­bar an­mu­ten­de Heilbehandlung.

Einflussreicher Lehrer: Strafrechtler Hans Gross

Wichtigster Uni-Lehrer von Kafka: Strafrechtler Hans Gross
Wich­tigs­ter Uni-Leh­rer von Kaf­ka: Straf­recht­ler Hans Gross

Für den Stu­den­ten Franz Kaf­ka wur­de der Straf­recht­ler Hans Gross zu ei­nem sei­ner wich­tigs­ten Leh­rer. Gross hat für sei­ne Zeit ei­nen recht pro­gres­si­ven Grund­satz ent­wi­ckelt: „Nicht das Ver­bre­chen, son­dern der Ver­bre­cher ist der Ge­gen­stand der Stra­fe, und des­we­gen ist nicht das Ge­setz al­lein, son­dern das Le­ben der Ge­gen­stand der Leh­re.“ Kaf­ka hört ihn im fünf­ten, sechs­ten und sie­ben­ten Se­mes­ter in den Ge­bie­ten Straf­recht, Straf­pro­zess­recht und Rechts­phi­lo­so­phie.  Gross war jah­re­lang Un­ter­su­chungs­rich­ter und ist der Be­grün­der der mo­der­nen Kri­mi­no­lo­gie als Wis­sen­schaft. Sein „Hand­buch für Un­ter­su­chungs­rich­ter“, das im Jahr 1893 erst­mals er­schien, wur­de in zahl­rei­che Welt­spra­chen über­setzt und er­reich­te meh­re­re Auf­la­gen. Als Hans Gross im Jahr 1915 starb, war das „Hand­buch“ be­reits in fünf­und­fünf­zig Spra­chen übersetzt.

Hans Gross hat im Som­mer­se­mes­ter 1904 eine vier­stün­di­ge Rechts­phi­lo­so­phie-Vor­le­sung an­ge­bo­ten, die Kaf­ka mit gröss­ter Auf­merk­sam­keit ver­folg­te. Im nächs­ten Se­mes­ter be­such­te er frei­wil­lig noch eine Phi­lo­so­phie­vor­le­sung bei Emil Ar­leth, ei­nem Schü­ler Franz von Brentanos.

Der Rechtsphilosoph Franz Kafka

Originale Zeichnungen von Frank Kafka
Ori­gi­na­le Zeich­nun­gen von Frank Kafka

Aus die­ser Zeit rührt wohl Kaf­kas rechts­phi­lo­so­phi­sches In­ter­es­se. Kaf­kas Ver­hält­nis zur Phi­lo­so­phie war ge­prägt von sei­nem In­ter­es­se für Aspek­te der Wahr­neh­mung, Ur­teils­bil­dung und Sprach­kon­struk­ti­on, aber auch ge­tra­gen von Miss­trau­en ge­gen­über den abs­trak­ten Ord­nungs­sys­te­men ei­ner de­duk­ti­ven Me­tho­dik. Phi­lo­so­phi­sche Ge­dan­ken ent­ste­hen, wenn Men­schen über al­ter­na­ti­ve Rea­li­täts­ver­sio­nen nach­den­ken. In die­sem Sinn ist der Dich­ter Franz Kaf­ka zwei­fel­los ein philosophierender.

Un­strit­tig hat Hans Gross Kaf­ka bei der Be­schrei­bung des Amts des (Untersuchungs-)Richters an­ge­regt. Der Kaf­ko­lo­ge Jo­sef Ma­ria Häuss­ling meint so­gar, dass der Un­ter­su­chungs­rich­ter im „Pro­zess“ der „Ver­fah­rens­dreh- und –an­gel­punkt“ ist. Im Ro­man legt er – vom lei­den­schaft­li­chen Ju­ris­ten Gross ge­schult – be­son­de­res Au­gen­merk auf die Be­grif­fe Recht und Ge­rech­tig­keit be­zie­hungs­wei­se Ge­richt und Ge­richts­bar­keit, per­so­ni­fi­ziert in der Ge­stalt des Richters.

Der Ab­schluss des Prü­fungs­ver­fah­rens am 13. Juni 1906 ist, um es im Jar­gon der be­ruf­li­chen Pro­fes­si­on Kaf­kas zu sa­gen, de iure zu­gleich die Pro­mo­ti­on zum Dok­tor der Rech­te. Nach der aka­de­mi­schen Fei­er am 18. Juni 1906 ver­öf­fent­licht der Ju­rist eine An­non­ce, um sei­nen Sta­tus öf­fent­lich zu ma­chen: „Franz Kaf­ka be­ehrt sich an­zu­zei­gen, dass er am Mon­tag, den 18. Juni d. J. an der k. k. Deut­schen Karl Fer­di­nands-Uni­ver­si­tät in Prag zum Dok­tor der Rech­te pro­mo­viert wurde.“

Da­nach stellt er un­ter Be­weis, dass man mit ei­nem Dok­tor iuris al­les in der Welt wer­den kann: zu­nächst Rechts­an­walts­an­wär­ter, dann Ver­si­che­rungs­ju­rist und schliess­lich Franz Kafka. ♦


Janko FerkDr. Jan­ko Ferk
Geb. 1958 in St. Kanzian/A, Stu­di­um der Ju­ris­pru­denz in Wien, zahl­rei­che Pro­sa-, Ly­rik- und es­say­is­ti­sche Pu­bli­ka­tio­nen, Trä­ger ver­schie­de­ner Kul­tur-Prei­se, lebt als Rich­ter, Phi­lo­soph und Schrift­stel­ler in Klagenfurt

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma „Franz Kaf­ka“ auch von Ma­rio An­dreot­ti: Blick hin­ter die Ku­lis­sen des Literaturbetriebes

… so­wie zum The­ma Nazi-Deutsch­land und Ju­den­tum über Jürg Amann: Der Kommandant

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