Frieder W. Bergner: Das U und das E in der Musik

Das E und das U in der Musik

oder

wie eine frag­wür­di­ge Un­ter­tei­lung, ent­stan­den im deut­schen Bie­der­mei­er, nicht nur für Ver­wir­rung in den Köp­fen heu­ti­ger Mu­sik­lieb­ha­ber sorgt, son­dern auch krea­ti­ve Mu­si­ker dis­kri­mi­niert und ei­ner Viel­zahl von Kom­po­nis­ten die ma­te­ri­el­le Le­bens­grund­la­ge entzieht

von Frieder W. Bergner

Schon als ich vor etwa 30 Jah­ren be­gann, mei­nen Le­bens­un­ter­halt nur mit dem Spie­len und Er­denken von Mu­sik zu ver­die­nen, er­fuhr ich, dass die zeit­ge­nös­si­sche Mu­sik in zwei Ka­te­go­rien ein­ge­teilt wird: In „Erns­te Mu­sik“ und in „Un­ter­hal­tungs-Mu­sik“. Ich kom­po­nier­te da­mals noch eher we­nig, weil ich den Haupt­an­teil mei­nes Ein­kom­mens als Stu­dio-Mu­si­ker in ei­nem Rund­funk-Or­ches­ter so­wie als In­stru­men­tal-So­list (Po­sau­ne) im Jazz und in der Im­pro­vi­sier­ten Mu­sik ver­dien­te. Ei­nes war für mich je­doch völ­lig klar: Wenn in ei­nem Kon­zert Mu­sik auf­ge­führt wur­de, die ich kom­po­niert hat­te, dann woll­te ich, dass das Pu­bli­kum wäh­rend der Auf­füh­rung mei­ner Wer­ke der Mu­sik zu­hör­te. Ich woll­te nicht, dass die Leu­te in die­sen Kon­zer­ten wäh­rend der Mu­sik mit­ein­an­der re­de­ten, also sich unterhielten.

Frieder W. BergnerIch ver­stand mich des­halb auch nicht als Kom­po­nist von Un­ter­hal­tungs­mu­sik, denn die Leu­te soll­ten ja mei­ner Mu­sik erst mal zu­hö­ren, und sich erst nach dem Kon­zert dar­über un­ter­hal­ten. Na­tür­lich woll­te ich den An­spruch an mein Pu­bli­kum auch nicht so weit trei­ben, zu ver­lan­gen, dass alle mit erns­ter Mie­ne mei­ner Mu­sik lausch­ten, das er­schien mir dann doch über­trie­ben. Über ei­nen wit­zi­gen Ein­fall des Kom­po­nis­ten soll­te schon ge­schmun­zelt oder ge­lacht wer­den dür­fen, schliess­lich hat­te er dies ja beim Kom­po­nie­ren beabsichtigt.
Des­halb ver­stand ich mich auch nicht als Kom­po­nist von Erns­ter Mu­sik. Über­haupt konn­te ich mir nicht recht vor­stel­len, dass es Kom­po­nis­ten ge­ben kann, die al­len Erns­tes jeg­li­che hu­mo­ris­ti­sche At­ti­tü­de in ih­ren Wer­ken ver­mei­den wol­len und sich des­halb frei­wil­lig als Kom­po­nis­ten sog. Erns­ter Mu­sik bezeichnen.

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„Es gibt kei­ne leich­te oder erns­te Mu­sik, es gibt nur gute oder schlech­te Mu­sik“ (Leo­nard Bernstein)

Aus die­sen Grün­den war mir da­mals schon die Un­ter­schei­dung von Erns­ter Mu­sik hier und Un­ter­hal­tungs­mu­sik dort völ­lig su­spekt, all das er­schien mir wie ein Kas­perl­thea­ter um ei­gen­ar­ti­ge Be­griffs­kon­struk­te und will­kür­li­che Ein­rich­tung von nutz­lo­sen kul­tur­theo­re­ti­schen Schub­la­den. Und na­tür­lich wuss­te ich auch noch nichts da­von, dass die Tat­sa­che, dass ich bei den Ur­he­ber­rechts­ge­sell­schaf­ten als U-Kom­po­nist ge­führt wur­de, für mich er­heb­li­che fi­nan­zi­el­le Ein­bus­sen brin­gen würde.

Musik – bitte Ruhe!

Festzelt - Biergemeinde - Musik-Stimmung - Glarean Magazin
„Der bock­wurst­kau­en­de, bier­trin­ken­de Pro­let, der vor der Büh­ne beim som­mer­li­chen Open-Air auf den Auf­tritt ir­gend­wel­cher Schla­ger­fuz­zis mit ih­rem epo­cha­len Werk wartet…“

Was ich aber schon da­mals sehr ge­nau ver­stand, war dass die­se bei­den Be­grif­fe im­mer wie­der zu ei­nem be­stimm­ten Zweck be­nutzt wur­den. Men­schen, die ir­gend eine be­stimm­te Art Mu­sik ent­we­der nicht moch­ten oder aber nicht ver­ste­hen woll­ten, be­dien­ten sich wech­sel­sei­tig im­mer wie­der die­ser bei­den Be­grif­fe, um die je­weils an­de­re Art Mu­sik zu dis­kri­mi­nie­ren. Der bock­wurst­kau­en­de, bier­trin­ken­de Pro­let, der vor der Büh­ne beim som­mer­li­chen Open-Air auf den Auf­tritt ir­gend­wel­cher Schla­ger­fuz­zis mit ih­rem epo­cha­len Werk „Das war ein Meis­ter­schuss“ war­te­te, pfiff und kra­keel­te an­ge­ekelt, wenn vor die­sem Hit das Or­ches­ter ein Stück aus Ge­or­ge Gershwins „Por­gy and Bess“ spiel­te. Weil ihm das näm­lich zu erns­te Mu­sik war.
Ähn­lich an­ge­ekelt re­agier­te der hoch­de­ko­rier­te Lan­des­kir­chen-Mu­sik­di­rek­tor Pro­fes­sor P., als mein Freund M., sein Sohn, der eben noch bei den Bach-Wo­chen in dem meck­len­bur­gi­schen Städt­chen G. den 1. Trom­pe­ten-Part im Or­ches­ter mit Bra­vour ge­spielt hat­te, als Stu­dent im fer­nen Dres­den Mit­glied der „Stern Com­bo Meis­sen“ wur­de – ei­ner Rock­band, die da­mals ein­fach nur ver­such­te, in­ter­es­san­te mo­der­ne Mu­sik zu spie­len. Für den Herrn Lan­des­kir­chen-Mu­sik­di­rek­tor war das – ich zi­tie­re wört­lich – „von Ne­ger­mu­sik be­ein­fluss­te Un­ter­hal­tungs­mu­sik“. Und des­halb re­de­te er fort­an mit sei­nem Sohn kein Wort mehr. Und weil er we­nig spä­ter (mit dem Sohn un­ver­söhnt) starb, hin­ter­liess er je­nem ein Trau­ma, das ihn Jah­re spä­ter an der Mu­sik ver­zwei­feln und sich dem Al­ko­hol zu­wen­den liess.
Eine Ge­schich­te wie aus der an­ti­ken Tra­gö­die – und al­les nur we­gen „E und U“…

Soli Deo Gloria

Na­tür­lich ha­ben Men­schen von je­her ver­sucht, Mu­si­ken von­ein­an­der zu un­ter­schei­den. Da­bei wa­ren es we­ni­ger die Mu­si­ker oder Kom­po­nis­ten, die dies ta­ten, son­dern eher jene, die Mu­sik oder auch de­ren Ka­te­go­ri­sie­rung und Ab­gren­zung – für wel­che Zwe­cke auch im­mer – be­nut­zen woll­ten. Der Kle­rus be­stand in al­ter Zeit strengs­tens dar­auf, dass geist­li­che Mu­sik et­was ganz an­de­res sei als pro­fa­ne Mu­sik, die ja, wie z.B. Tanz­mu­sik, „fleisch­li­che Ge­lüs­te“ pro­vo­zie­re. Die Mu­si­ker da­ma­li­ger Zei­ten selbst wa­ren da weit we­ni­ger pin­ge­lig und auf Un­ter­schie­de be­dacht. Un­be­küm­mert re­cy­cel­ten sie The­men aus ei­ge­nen Tanz­mu­sik­kom­po­si­tio­nen zu Ma­te­ri­al für Pas­sio­nen und Mes­sen – und um­ge­kehrt. Tat­säch­lich funk­tio­nier­te dies auch bes­tens: Kein Mann kam beim Hö­ren ei­ner Mes­se auf die Idee, sich sei­ner Nach­bar­frau in der Kir­chen­bank un­sitt­lich zu nä­hern, nur weil das Fu­gen­the­ma des Ky­rie Jah­re zu­vor schon ein­mal The­ma ei­ner sin­nen­freu­di­gen Gigue ge­we­sen war…

"Bei der Uraufführung der Zauberflöte auf der Wieden in Wien herrschte eine Atmosphäre, die einer heutigen Musikkneipe vergleichbar wäre". (Bild: Spektakuläre Première in der Inszenierung von Schikaneder)
„Bei der Ur­auf­füh­rung der Zau­ber­flö­te auf der Wie­den in Wien herrsch­te eine At­mo­sphä­re, die ei­ner heu­ti­gen Mu­sik­knei­pe ver­gleich­bar wäre“. (Bild: Spek­ta­ku­lä­re Pre­miè­re in der In­sze­nie­rung von Schikaneder)

Bei der Ur­auf­füh­rung der Zau­ber­flö­te auf der Wie­den in Wien herrsch­te eine At­mo­sphä­re, die ei­ner heu­ti­gen Mu­sik­knei­pe ver­gleich­bar wäre: Spek­ta­ku­lä­re Blit­ze, Ex­plo­sio­nen und an­de­re thea­tra­li­sche Ef­fek­te wa­ren ge­for­dert, um die Auf­merk­sam­keit ei­nes es­sen­den, trin­ken­den und auf Amü­se­ment fi­xier­ten Pu­bli­kums zu er­rin­gen. Wel­ches Schick­sal wäre die­ser Mut­ter al­ler Opern wohl be­schie­den ge­we­sen, hät­te es im klas­si­schen Wien die E-U-Ka­te­go­ri­sie­rung be­reits ge­ge­ben? Nein, die­se will­kür­li­che Un­ter­schei­dung ent­wi­ckel­te sich, wie wir wis­sen, später.

Im 19. Jahr­hun­dert ent­stand eine neue „Wis­sen­schaft“, die Mu­si­ko­lo­gie. Ers­te An­stös­se dazu ga­ben u.a. Ro­bert Schu­mann und sein Leh­rer Fried­rich Wieck mit der „Neu­en Zeit­schrift für Mu­sik, her­aus­ge­ge­ben durch ei­nen Ver­ein von Künst­lern und Kunst­freun­den“ (Bild). De­ren Ab­sicht war (Zi­tat):

"Erste Anstösse zu einer wissenschaftlichen Musikologie gaben u.a. Robert Schumann und sein Lehrer Friedrich Wieck mit der 'Neuen Zeitschrift für Musik'" (Bild: Deckblatt der Zeitschrift)
„Ers­te An­stös­se zu ei­ner wis­sen­schaft­li­chen Mu­si­ko­lo­gie ga­ben u.a. Ro­bert Schu­mann und sein Leh­rer Fried­rich Wieck mit der ‚Neu­en Zeit­schrift für Mu­sik'“ (Bild: Deck­blatt der Zeitschrift)

An die alte Zeit und ihre Wege mit al­lem Nach­druck zu er­in­nern, dar­auf auf­merk­sam zu ma­chen, wie nur an so rei­nen Quel­len neue Kunst­schön­hei­ten ge­kräf­tigt wer­den kön­nen, so­dann die letz­te (jüngs­te) Ver­gan­gen­heit, die nur auf Stei­ge­rung äus­ser­li­cher Vir­tuo­si­tät aus­ging, als eine un­künst­le­ri­sche zu be­kämp­fen, end­lich eine neue, poe­ti­sche Zeit vor­zu­be­rei­ten, be­schleu­ni­gen zu hel­fen.“ Den „Da­vids­bünd­lern“ um Wieck und Schu­mann ging es also um Ab­gren­zung von der ih­rer­seits ver­ach­te­ten Epi­so­de des Virtuosentums.

Wie wir heu­te wis­sen, war die ro­man­ti­sche Epo­che nicht nur eine Zeit gros­ser Kunst, son­dern auch durch zahl­rei­che, heu­te gro­tesk an­mu­ten­de Gra­ben­kämp­fe, durch Ruf­mor­de und ge­gen­sei­ti­ge Ver­ächt­lich­ma­chung der ver­schie­de­nen äs­the­ti­schen und po­li­ti­schen La­ger ge­kenn­zeich­net. Mög­lich wur­de dies durch das Ent­ste­hen zahl­rei­cher pu­bli­zier­ter Print­me­di­en. Da­mit ent­wi­ckel­te sich das, was wir heu­te mas­sen­me­dia­le Re­zep­ti­on von Kunst und Kul­tur nen­nen.  Es gab nun erst­ma­lig in der Kunst­ge­schich­te Men­schen, die ih­ren Le­bens­un­ter­halt da­mit ver­dien­ten, Kul­tur­er­eig­nis­se für das Pu­bli­kum zu re­flek­tie­ren, meist ohne selbst Künst­ler zu sein.  Es schlu­gen also nicht mehr nur ei­fer­süch­teln­de und er­folgs­nei­di­sche Krea­ti­ve ver­bal auf­ein­an­der ein (z.B. Bör­ne vs Hei­ne), son­dern in­zwi­schen misch­te die neu ent­stan­de­ne Be­rufs­grup­pe der Kunst­kri­ti­ker (z.B. Hans­lick vs Wag­ner) kräf­tig mit.

Ernst – und unterhaltend

"Die neu entstandene Berufsgruppe der Kunstkritiker mischte kräftig mit". (Bild: Hanslick gegen Wagner in einer zeitgenössischen Karikatur)
„Die neu ent­stan­de­ne Be­rufs­grup­pe der Kunst­kri­ti­ker misch­te kräf­tig mit“. (Bild: Hans­lick ge­gen Wag­ner in ei­ner zeit­ge­nös­si­schen Karikatur)

Äs­the­ti­sche wie in­halt­li­che Ab­gren­zung mag sinn­voll sein, oft ge­nug je­doch kann man in der Kunst Zie­le und Ab­sich­ten am ein­fachs­ten fi­xie­ren, in­dem man sagt, was man nicht will. Die Trenn­li­nie aber zwi­schen „ernst“ und „un­ter­hal­tend“ zu zie­hen ist eben­so dumm wie nichts­sa­gend. Wenn man das Über­dau­ern von Zeit­al­tern und das Haf­ten­blei­ben im kol­lek­ti­ven kul­tu­rel­len Be­wusst­sein als viel­leicht ein­zi­ges ei­ni­ger­mas­sen brauch­ba­res, sta­tis­tisch be­grün­de­tes Qua­li­täts­kri­te­ri­um für Kunst über­haupt nimmt, so zeigt sich, dass sich ge­ra­de die mu­si­ka­li­schen Gi­gan­ten der Ge­schich­te da­durch aus­zeich­ne­ten, dass ihre Mu­sik je nach kom­po­si­to­ri­scher Ab­sicht bei­des war, ernst und auch un­ter­hal­tend. Wer wür­de dem Lacri­mo­sa aus Mo­zarts Re­qui­em sei­nen tie­fen Ernst und sei­ne Trau­er ab­erken­nen wol­len, weil es den (tän­ze­ri­schen = un­ter­halt­sam-pro­fa­nen) Drei­er­rhyth­mus be­nutzt? Nein, die­se bei­den At­tri­bu­te sind so un­taug­lich wie nur eben mög­lich, in der Ge­schich­te eben­so wie heute.

"Du sollst die Schönheit lieben, denn sie ist der Schatten Gottes über dem Weltall". (Die chilenische Dichterin und Nobelpreis-Trägerin Gabriela Mistral)
„Du sollst die Schön­heit lie­ben, denn sie ist der Schat­ten Got­tes über dem Welt­all“. (Die chi­le­ni­sche Dich­te­rin und No­bel­preis-Trä­ge­rin Ga­brie­la Mistral)

Die chi­le­ni­sche Dich­te­rin und No­bel-Preis­trä­ge­rin Ga­brie­la Mis­tral hin­ge­gen for­mu­lier­te ihre For­de­run­gen an den Künst­ler eben­so ein­fach wie poe­tisch: „Du sollst die Schön­heit lie­ben, denn sie ist der Schat­ten Got­tes über dem Welt­all. Sie soll aus dei­nem Her­zen auf­stei­gen in dein Lied, und der ers­te, den sie läu­tert, sollst du sel­ber sein. Du sollst die Schön­heit nicht als Kö­der für die Sin­ne dar­bie­ten, son­dern als na­tür­li­che Spei­se der Seele.“

Ob­wohl ich kein re­li­giö­ser Mensch bin, sa­gen die­se we­ni­gen Wor­te mir mehr dar­über, wie Kunst sein soll, als alle klu­gen Auf­sät­ze, die ich von theo­re­ti­sie­ren­den Kri­ti­kern und neun­mal­klu­gen In­ha­bern höchs­ter aka­de­mi­scher Ti­tel und Wei­hen je ge­le­sen habe. Denn die­se Sät­ze spie­geln die Ma­gie der Kunst eben­so, wie sie die Ver­ant­wor­tung des Künst­lers formulieren!

Franz Schuberts
Franz Schu­berts „Fremd bin ich ein­ge­zo­gen, fremd zieh´ ich wie­der aus“

Dar­in fin­de ich auch jene wich­ti­gen Schaf­fens­kri­te­ri­en, die ich für Künst­ler an­er­ken­nen mag. Weit­ab von E, U und all den ge­schwät­zi­gen De­kla­ra­tio­nen der Theo­re­ti­ker gel­ten die­se knap­pen Wor­te für Franz Schu­berts: „Fremd bin ich ein­ge­zo­gen, fremd zieh´ ich wie­der aus“ mit der un­ver­gleich­li­chen ab­stei­gen­den Moll-Me­lo­die­li­nie eben­so wie für das so voll­kom­men wie ein­fach kom­po­nier­te Beat­les-Lied aus dem sog. White-Al­bum: „Black­bird sin­ging in the dead of night. Take the­se bro­ken wings and learn to fly. All your life, you were only wai­ting for this mo­ment to arise“.

Kunst mit Wissenschaft erfassbar?

Das White-Album der Beatles:
Das White-Al­bum der Beat­les: „Black­bird sin­ging in the dead of night. Take the­se bro­ken wings and learn to fly. All your life, you were only wai­ting for this mo­ment to arise“

Nichts ge­gen die Mu­si­ko­lo­gie, aber wenn sie Wis­sen­schaft sein will, soll­te sie sich in ih­ren Ver­su­chen zu ka­te­go­ri­sie­ren end­lich vom dün­nen Eis sol­cher al­les und nichts sa­gen­den At­tri­bu­te wie „ernst“ und „un­ter­hal­tend“ zu­rück­zie­hen und sich, wenn dies über­haupt beim The­ma Kunst mög­lich ist, in De­fi­ni­tio­nen und Fak­ten äus­sern. Sonst be­hal­ten auf Dau­er all jene recht, die rund­weg be­strei­ten, dass Kunst in ih­rer Re­le­vanz über­haupt mit den Me­tho­den der Wis­sen­schaft er­fass­bar ist. Selbst der gros­se Ador­no, wel­cher – wo er sich mit ge­sell­schaft­lich-so­zio­lo­gi­schen Tat­sa­chen und de­ren Wir­kung auf die Kunst be­schäf­tig­te – ein bril­lan­ter Ana­ly­sa­tor war, ver­sag­te bei den meis­ten sei­ner Ver­su­che, den Fra­gen von Wert oder Un­wert der Mu­sik sei­ner Zeit auf den Grund zu ge­hen. Da­bei wird er un­kon­kret-schwur­be­lig bis an­mas­send in sei­nen Ur­tei­len, weil auch er letzt­lich im­mer wie­der bei den un­se­li­gen Buch­sta­ben E und U landet.

Falls für jene un­ter uns, die heu­te Mu­sik kom­po­nie­ren, ir­gend­wel­che Ka­te­go­ri­sie­run­gen und Ein­ord­nun­gen, die mehr zu sa­gen ver­su­chen als „gut oder schlecht“, über­haupt wich­tig sein kön­nen, dann müs­sen ge­ra­de wir uns mit die­sen ge­sell­schaft­li­chen Fak­ten be­schäf­ti­gen, also mit der Art und Wei­se, wie Ge­sell­schaft und Öko­no­mie sich mit un­se­rer Kunst be­fasst, mit de­ren Prak­ti­ken der Ver­öf­fent­li­chung, Ver­viel­fäl­ti­gung und Ver­wer­tung. Denn ge­nau hier gibt es Er­schei­nun­gen, de­ren Ana­ly­se sich lohnt, weil sie durch Zah­len, Men­gen und Fak­ten be­grün­det wer­den kann: Es gibt Mu­sik, die in­dus­tri­ell ver­mark­tet wird, und sol­che, die nicht in­dus­tri­ell ver­mark­tet wird.

Vor der Musikindustrie sind alle gleich

„Skla­ven, die die Peit­sche der Wer­bung im Na­cken ha­ben“ (Udo Lin­den­berg über die deut­schen Radiomacher)

Die­se Un­ter­tei­lung ist für die Kom­po­nis­ten und In­ter­pre­ten, aber auch für das Pu­bli­kum min­des­tens eben­so gra­vie­rend, wie die Un­ter­schei­dung zwi­schen gut und schlecht. Und aus­ser­dem voll­zieht sie sich in vie­len Fäl­len auch noch völ­lig un­ab­hän­gig von je­ner. Es wird ja von der Mu­sik­in­dus­trie in­no­va­ti­ve, äs­the­tisch an­spruchs­vol­le Mu­sik eben­so in­ten­siv ver­mark­tet wie die grot­ten­schlech­te. Letz­te­re lässt sich je­doch im Ge­gen­satz zu ers­te­rer qua­si am Fliess­band pro­du­zie­ren, was zur Fol­ge hat, dass sie von der In­dus­trie na­tür­lich in viel grös­se­rer Men­ge auf den Markt ge­kippt wird als erstere.

Thomas A. Edison diktiert in seinen Phonographen (1877)
Tho­mas A. Edi­son dik­tiert in sei­nen Pho­no­gra­phen (1877)

Mit der me­cha­ni­schen Ab­bil­dung der akus­ti­schen Schwin­gun­gen durch Tho­mas A. Edi­son 1877 be­gann, wie wir wis­sen, eine neue Epo­che für die Mu­sik. Auch die­se Kunst konn­te nun ih­rer Flüch­tig­keit ent­ris­sen wer­den, und das ein­ma­li­ge Er­eig­nis, bei dem Mu­si­ker ei­nen Mo­ment ver­zau­ber­ten, in­dem sie die Luft um sich her­um in Schwin­gun­gen ver­setz­ten, konn­te kon­ser­viert und spä­ter wie­der­ge­ge­ben wer­den. Dies war eine Ent­wick­lung, die, wie vie­le Er­fin­dun­gen der Mensch­heit, Se­gen und Fluch zu­gleich be­deu­te­te. Plötz­lich konn­te sich je­der für we­nig Geld den Ge­sang En­ri­co Ca­ru­sos in sein Heim ho­len und hat­te An­teil an ei­nem Kunst­er­eig­nis, das vor­her nur we­ni­gen, pri­vi­le­gier­ten Rei­chen vor­be­hal­ten war.

Gigantische Überschwemmung mit Musik

An­de­rer­seits wur­de da­durch auch die so kon­ser­vier­te Mu­sik zu ei­nem Ding, ei­ner Schall­plat­te, spä­ter ei­ner CD, das man nach Be­lie­ben pro­du­zie­ren, ver­viel­fäl­ti­gen und ver­kau­fen kann. Es ent­stand die­se In­dus­trie, die Mu­sik (in Form ih­res me­cha­ni­schen oder di­gi­ta­len Ab­bil­des) pro­du­ziert und da­mit Han­del treibt. Und weil In­dus­trien, wie schon Karl Marx her­aus­fand, nur ex­pan­die­ren oder dann un­ter­ge­hen kön­nen, sorg­te die Mu­sik­in­dus­trie fort­an für eine Über­schwem­mung der Welt mit Mu­sik in gi­gan­ti­schem Ausmass.
Und so ent­stand auch der Un­ter­schied zwi­schen Men­schen, die durch Kom­po­si­ti­on von Mu­sik und durch de­ren Pro­duk­ti­on Mil­lio­nä­re wur­den – und sol­chen, die trotz har­ter, qua­li­fi­zier­ter Ar­beit als Mu­si­ker und Kom­po­nis­ten ge­ra­de mal ein Exis­tenz­mi­ni­mum erwirtschaften:

Es ist also kei­nes­falls eine Fra­ge von E oder U, oft nicht ein­mal eine Fra­ge von gut oder schlecht, ob ein neu­es Mu­sik­stück von zahl­rei­chen Men­schen zur Kennt­nis ge­nom­men wird oder nicht, und ob Kom­po­nie­ren oder Mu­si­zie­ren ein lu­kra­ti­ver Job ist oder nicht. Leu­te in den Chef­eta­gen der Pho­no- und Ver­an­stal­tungs-In­dus­trie ent­schei­den dar­über. Sie be­stim­men, wel­ches Pro­dukt – in un­se­rer Spra­che: Wel­che Kom­po­si­ti­on, wel­cher So­list, wel­ches En­sem­ble – der Seg­nun­gen des Mar­ke­ting teil­haf­tig wird und wel­ches nicht. Also dar­über, wo­für der Wer­be­etat der Fir­ma ein­ge­setzt wird.

Kunstszene kontra Industrie, und…

Um Miss­ver­ständ­nis­sen vor­zu­beu­gen: Ich rede nicht vom öf­fent­lich sub­ven­tio­nier­ten Kunst­be­trieb, wo die be­schei­de­nen Tan­tie­mensum­men für die Auf­füh­rung ei­nes sin­fo­ni­schen oder kam­mer­mu­si­ka­li­schen Wer­kes letzt­lich aus Steu­er­mit­teln be­zahlt wer­den, son­dern von der Mu­sik­in­dus­trie, die wirk­lich Ge­win­ne von ge­wal­ti­gen Aus­mass und so­mit auch Tan­tie­men in die­ser Grös­sen­ord­nung erwirtschaftet.

Für uns Kom­po­nis­ten nun, die aus ir­gend­ei­nem (oft nicht nach­voll­zieh­ba­ren) Grund in den Ver­zeich­nis­sen der Tan­tie­men-In­kas­so­ge­sell­schaf­ten in der U-Schub­la­de ge­lan­det sind, ist es höchst fa­tal, dass die­se, wie z.B. die deut­sche GEMA, ein­fach leug­nen, dass es zwei ver­schie­de­ne Pro­duk­ti­ons- und Ver­wer­tungs­ebe­nen in der Mu­sik gibt: In der ei­nen Ebe­ne – ich nen­ne sie die Kunst­sze­ne – wird Mu­sik qua­si in hand­werk­li­cher, ma­nu­fak­tu­ri­el­ler Tä­tig­keit in Ein­zel­stü­cken her­ge­stellt, d.h. kom­po­niert und auf­ge­führt mit dem Ziel, die Welt und das mensch­li­che Le­ben mit Kunst zu be­rei­chern. Die Auf­füh­run­gen er­rei­chen im Er­folgs­fal­le Zah­len im Hun­der­ter­be­reich und der Ver­kauf von Ton­trä­gern er­reicht Zah­len, die in nur sehr sel­te­nen Fäl­len über den ein­fa­chen Tau­sen­der­be­reich hin­aus­ge­hen. Bei­de zu­sam­men er­wirt­schaf­ten Tan­tie­men in Grös­sen­ord­nun­gen, die nicht weit ent­fernt von ei­nem mit­tel­eu­ro­päi­schen Durch­schnitts­ein­kom­men liegen.

Zweifelhafte Unterscheidung in U- und E-Musik durch die deutsche GEMA
Zwei­fel­haf­te Un­ter­schei­dung in U- und E-Mu­sik durch die deut­sche GEMA

Wir schüt­zen und för­dern die Ur­he­ber von Mu­sik, ver­tre­ten die In­ter­es­sen der Kom­po­nis­ten, Text­dich­ter und ih­rer Ver­le­ger welt­weit und be­glei­ten ak­tiv die Musikmärkte.“
„Wir prä­gen die kul­tu­rel­le und wirt­schaft­li­che Iden­ti­tät des Mu­sik­le­bens und bil­den die Brü­cke zwi­schen den Ur­he­bern, der Mu­sik­wirt­schaft und der Öffentlichkeit.“
„Un­se­re Un­ter­neh­mens­kul­tur ist ge­prägt durch re­spekt­vol­len und of­fe­nen Um­gang un­ter­ein­an­der, durch Wis­sen und Er­fah­rung so­wie durch För­de­rung von Ei­gen­ver­ant­wor­tung.“ (Aus dem Leit­bild der GEMA)

Die an­de­re Ebe­ne – der mu­si­ka­lisch-in­dus­tri­el­le Kom­plex – folgt voll­kom­men an­de­ren Ge­set­zen. Mu­sik ist für ihn ein Pro­dukt (wie Au­tos und Wasch­mit­tel), das in rie­si­gen Stück­zah­len in­dus­tri­ell her­ge­stellt und mög­lichst ge­winn­brin­gend ver­mark­tet wird. Die­ser Pro­zess voll­zieht sich nach ge­nau den­sel­ben Me­cha­nis­men, wie bei an­de­ren Pro­duk­ten auch. Es wird am Markt nach Be­darfs­zah­len ge­forscht, mit­tels Wer­bung der Kon­sum an­ge­heizt und es gibt Er­fol­ge mit rie­si­gen Pro­fi­ten, aber auch Flops, die rote Zah­len schrei­ben. Auf­füh­rungs­zah­len im Hun­der­ter­be­reich, bzw. Ton­trä­ger­ver­käu­fe im ein­fa­chen Tau­sen­der­be­reich wie in der Kunst­sze­ne, kom­men in den Rech­nun­gen der In­dus­trie nicht vor, und wenn doch, dann als ex­tre­mer Misserfolg.

…Handwerksbetrieb gegen Konzern

Sechs Jazz-Stücke für Klavier - Walter Eigenmann
An­zei­ge

Bei­de Sze­nen sind öko­no­misch eben­so un­ver­gleich­bar wie ein klei­ner Hand­werks­be­trieb mit ei­nem welt­weit agie­ren­den Kon­zern. Fa­tal an der Sa­che ist eben nur, dass die Pro­duk­te letzt­lich fast kei­ne Un­ter­schie­de auf­wei­sen. Ein Kon­zert ist ein Kon­zert, und eine CD ist eine CD.  Fa­tal ist eben­so, dass bei­de Sze­nen, was das ur­he­ber­recht­li­che In­kas­so be­trifft, oft­mals grund­sätz­lich gleich be­han­delt  wer­den. Alle Ver­tei­lungs­schlüs­sel und Punk­te­sys­te­me, die ja auf der un­taug­li­chen Un­ter­schei­dung zwi­schen U und E be­ru­hen, sor­gen so­mit da­für, dass Kom­po­nis­ten, de­ren Stü­cke (meist in ei­nem völ­lig me­cha­ni­schen Akt) als Wer­ke der U-Mu­sik ein­ge­stuft sind, pro Auf­füh­rung nur ein Bruch­teil der Tan­tie­men-Aus­schüt­tung er­hal­ten, die sie be­kä­men, wenn ihr Werk E wäre, ob­wohl die In­kas­so­ge­sell­schaft vom Ver­an­stal­ter der Auf­füh­rung just die sel­be Sum­me ein­treibt – in dem Fall gibt es zwi­schen E und U kei­ne Unterschiede!

Note für Note…

Man be­grün­det die­ses Un­gleich­ge­wicht heu­te da­mit, dass U-Mu­sik grund­sätz­lich und stets mas­sen­haft auf­ge­führt und ver­brei­tet wird, wäh­rend E-Mu­sik oh­ne­hin nur von ei­ner klei­nen Grup­pe von ge­bil­de­ten Lieb­ha­bern lebt. Des­halb kön­nen Kom­po­nis­ten von E-Mu­sik von ih­ren Tan­tie­men­über­wei­sun­gen oft recht gut le­ben, wäh­rend U-Kom­po­nis­ten bei glei­cher Auf­füh­rungs­zahl nur ge­ring­fü­gi­ge Cent-Be­trä­ge aus­be­zahlt be­kom­men, von de­nen sie nicht ein­mal ihre Brief­mar­ken be­zah­len können!

Erste Partitur-Seite der Kantate
Ers­te Par­ti­tur-Sei­te der Kan­ta­te „Ro­sen, wild wie rote Flam­men“ nach Hei­nes „Harz­rei­se“ von Frie­der W. Bergner

Ein selbst er­leb­tes Bei­spiel soll die­se (völ­lig will­kür­li­che) Un­gleich­be­hand­lung ver­deut­li­chen: Mei­ne Kan­ta­te „Ro­sen, wild wie rote Flam­men“ für Vo­kal­so­li, gr. Or­ches­ter, Jazz­band und Rock­ensem­ble nach ly­ri­schen Tex­ten aus H. Hei­nes „Harz­rei­se“ be­kam von der GEMA statt der von mir be­an­trag­ten E (X, 10) die Ein­stu­fung U (XI, 5). Laut Ver­tei­lungs­plan be­deu­te­te dies ein Ver­hält­nis von 1200 Punk­ten zu 60, das heisst die GEMA sprach mir ein An­recht auf ge­nau 5% der zu ver­tei­len­den Net­to-Tan­tie­men­ein­nah­men zu. Die „rest­li­chen“ 95% der aus­zu­zah­len­den Ein­nah­men ver­teil­te sie ohne mich zu fra­gen an an­de­re Komponisten.
Die­se Kan­ta­te war ein Auf­trags­werk an­läss­lich der fest­li­chen Er­öff­nung ei­ner ost­deut­schen Lan­des­gar­ten­schau. Die Ho­no­rar­sum­me lag bei etwa 70% der vom Dt. Kom­po­nis­ten­ver­band ver­öf­fent­lich­ten Ho­no­rar­richt­li­nie (Mi­ni­mum) für Kom­po­si­ti­ons-Auf­trä­ge für Kon­zert und Mu­sik­thea­ter. Nicht ge­ra­de üp­pig, zu­mal, wenn ich hin­zu­fü­ge, dass ich fast aus­schliess­lich dar­an ca. 6 Wo­chen ge­ar­bei­tet habe, 6 Tage pro Wo­che. Ich den­ke, ich habe straff ge­ar­bei­tet, si­cher gibt es Kol­le­gen, die 30 Min. kon­zer­tan­te Mu­sik für die­se Be­set­zung schnel­ler schrei­ben kön­nen, aber auch wel­che, die da­für län­ger brauchen.
Beim Schrei­ben die­ser Kom­po­si­ti­on bin ich ethisch-äs­the­ti­schen und künst­le­ri­schen Im­pul­sen und Kri­te­ri­en wie auch in­tel­lek­tu­el­len An­sprü­chen ge­folgt, die ich aus­führ­lichst dar­le­gen könn­te, wenn dies nicht zu weit führ­te. Das Stück wird al­ler Vor­aus­sicht nach kei­ne wei­te­re Auf­füh­rung ha­ben, nicht weil es durch­fiel, son­dern weil (hof­fent­lich) zu ei­nem neu­en ent­spre­chen­den An­lass ein neu­er Auf­trag an ei­nen Kom­po­nis­ten er­teilt wer­den wird. Das heisst, dass es für mich ei­nen im­mensen Un­ter­schied macht, ob ich von der GEMA 60 oder 1200 An­teils­punk­te ei­ner Sum­me X aus­be­zahlt bekam!

Weniger Geld für gleiche Arbeit?

Nun soll die­ser mein Ar­ti­kel nicht eine Jam­mer-Arie über Ein­kom­mens­ver­lus­te sein, son­dern ich will da­mit ver­deut­li­chen, dass die­se blöd­sin­ni­ge E-U-Tren­nung nicht nur Un­heil in den Köp­fen von Mu­sik­lieb­ha­bern an­rich­tet, die in der Flut von ver­öf­fent­lich­ter Mu­sik nach ir­gend­ei­ner Ori­en­tie­rung su­chen, son­dern dass die­se für eine gros­se Zahl von Kom­po­nis­ten be­wirkt, dass sie von ih­rer Ar­beit nicht le­ben kön­nen. Näm­lich für all jene, die Idio­ma­tik und In­ter­pre­ta­ti­ons­wei­sen aus Pop und Jazz in ih­ren Wer­ken ver­wen­den und de­ren Wer­ke des­halb zur U-Mu­sik er­klärt wer­den, ob­wohl sie sich we­der in Äs­the­tik, An­spruch, Um­fang noch durch Auf­füh­rungs­zah­len von Wer­ken un­ter­schei­den, die zur E-Mu­sik er­klärt wurden.

Musik und Geld - Vergütungen zwischen E- und U-Musik - Glarean Magazin
Wie viel Geld für wel­che Mu­sik in wel­cher Form an den Kom­po­nis­ten fließt, harrt nach wie vor der Plausibilät…

Die Ein­stu­fung ei­ner Kom­po­si­tio­nen nach E bzw. U wird den be­trof­fe­nen Kom­po­nis­ten von der GEMA be­zeich­nen­der­wei­se nur auf An­fra­ge mit­ge­teilt. Sie er­folgt in ei­nem ers­ten Schritt in Un­kennt­nis der Par­ti­tur (!). Erst wenn der Kom­po­nist Ein­spruch da­ge­gen er­hebt, darf er das Werk beim so­ge­nann­ten Werk­aus­schuss vor­le­gen. Die­ser be­steht zwar aus durch­aus qua­li­fi­zier­ten Kom­po­nis­ten­kol­le­gen, sie ent­schei­den aber nach Kri­te­ri­en, die rein me­cha­nisch sind: „Die­se (Kri­te­ri­en) be­inhal­ten z.B. Ch­an­ges-No­ta­tio­nen, Spiel­an­wei­sun­gen des Jazz, to­na­le Ka­den­zie­run­gen, rhyth­mi­sche Pat­tern­bil­dun­gen etc. Der Werk­aus­schuss darf sich in sei­ner Ein­stu­fungs­ent­schei­dung nur auf die Be­ur­tei­lung der ver­wen­de­ten mu­si­ka­li­schen Pa­ra­me­ter im Ge­samt­zu­sam­men­hang des Wer­kes stüt­zen. Die Ethik und Äs­the­tik beim Kom­po­nie­ren ver­ant­wor­tet al­lein der Kom­po­nist, dar­über darf der Werk­aus­schuss nicht be­fin­den.“ (Zi­tat: Vor­sit­zen­der des GEMA-Werk­aus­schus­ses).  So wird also mit der Be­grün­dung, dass man ja kei­ne will­kür­li­che Ent­schei­dung nach ethisch- äs­the­ti­schen Prin­zi­pi­en tref­fen darf, eine Will­kür­ent­schei­dung nach der No­ta­ti­on von be­stimm­ten Tei­len der Par­ti­tur getroffen…

Wie sähe eine bessere Welt aus ?

"Vergessen wir E und U und überlassen die Genrebezeichnungen den Komponisten selbst oder dem Publikum, so sie Schubladen zum Einordnen der Musik benötigen." (Frieder W. Bergner)
„Ver­ges­sen wir E und U und über­las­sen die Gen­re­bezeich­nun­gen den Kom­po­nis­ten selbst oder dem Pu­bli­kum, so sie Schub­la­den zum Ein­ord­nen der Mu­sik be­nö­ti­gen.“ (Frie­der W. Bergner)

Wahr­schein­lich wäre es ganz ein­fach: Ver­ges­sen wir E und U und über­las­sen die Gen­re­bezeich­nun­gen den Kom­po­nis­ten selbst oder dem Pu­bli­kum, so sie Schub­la­den zum Ein­ord­nen der Mu­sik be­nö­ti­gen. Bei Jazz, Zwölf­ton­mu­sik, Be Bop, Mer­cey-Beat, Mi­ni­mal Mu­sic, New Age und so vie­lem an­de­ren hat dies doch bes­tens funk­tio­niert.  Die Tan­tie­men aber soll­ten nach Ver­wer­tungs­zah­len aus­ge­schüt­tet wer­den, d.h. mit stei­gen­der Zahl der Auf­füh­run­gen oder Ver­kaufs­zah­len der Ton­trä­ger ver­rin­gert sich de­ren Aus­zah­lungs­sum­me, und die Dif­fe­renz wird auf die Aus­zah­lung we­ni­ger ge­spiel­ter Wer­ke auf­ge­schla­gen. Da­mit sind zwar künst­le­ri­sche und äs­the­ti­sche Prin­zi­pi­en gänz­lich aus­sen vor (spä­tes Pech für die Da­vids­bünd­ler…), aber man schafft we­nigs­tens an­satz­wei­se Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit, so wie dies heu­te je­der halb­wegs zi­vi­li­sier­te Staat mit ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ter Steu­er­ge­setz­ge­bung versucht.

Wert oder Un­wert von Mu­sik kann man so­wie­so we­der mit Buch­sta­ben­kür­zeln wie E und U noch in Tan­tie­men­be­trä­gen aus­drü­cken, das Ur­teil wird im Her­zen von Pu­bli­kum und Mu­si­kern ge­fällt und er­här­tet sich in je­nen Jah­ren, Jahr­zehn­ten und Jahr­hun­der­ten, die ein Werk über­dau­ert – oder eben nicht. ♦


Frieder W. BergnerFrie­der W. Bergner

Geb. 1954 in Zwickau/BRD, Stu­di­um an der Dresd­ner Mu­sik­hoch­schu­le, zahl­rei­che kom­po­si­to­ri­sche Ar­bei­ten und Ar­ran­ge­ments in den Gen­res Jazz, Pop, Rock und Kam­mer­mu­sik u.a. für Thea­ter und Rund­funk, lebt als frei­schaf­fen­der Kom­po­nist und In­stru­men­ta­list in Ottstedt/BRD

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch über Frie­der W. Berg­ner: Jazz un­ter Ulb­richt und Honegger

… so­wie das Er­geb­nis ei­ner GLAREAN-Um­fra­ge: Wie viel Ho­no­rar für Klavier-Begleitungen?
Wei­te­re in­ter­es­san­te Bei­trä­ge zum Thema:

Ein Kommentar

  1. Eine not­wen­di­ge Wort­mel­dung zu ei­nem schon lang be­stehen­den Pro­blem. Trotz des erns­ten (E-) The­mas eine sehr un­ter­halt­sa­me (U-) Lektüre!

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