Franz Trachsel: Wienerli in Schräglage (Humoreske)

Wienerli in kultureller Schräglage

von Franz Trachsel

Jim hat­te im Schul­auf­satz ein Mit­tag­essen zu be­schrei­ben. Es hat­te Wie­ner­li*) ge­ge­ben. Weil an sich eine fa­mi­liä­re An­ge­le­gen­heit, woll­te auch Papa wis­sen, was dazu schliess­lich im Auf­satz stand.
„Aber Jim­my“, hat­te er ein­zu­wen­den, „wie kann man nur aus Wie­ner­li ‚Wie­ner­lein‘ machen?!“
„Wenn schon schrift­deutsch, dann auch das längst fäl­li­ge Wie­ner­lein, nichts an­de­res als ein Zu­ge­ständ­nis an die Sprach­kul­tur, Papa“ gab sein Sohn fast schnip­pisch zu bedenken.
„Aber“, fand Papa, „eine – soll­te dem kul­tu­rell wirk­lich so sein – mei­nes Er­ach­tens am to­tal fal­schen Ob­jekt in Schräg­la­ge ge­ra­te­ne Kul­tur. Dass Du dann nicht etwa gleich noch Wie­ner­chen draus machst! Vor al­lem aber ist Dein Auf­satz, wo doch Dein Ver­hal­ten noch kei­nes­wegs vor­bild­lich ist, nicht etwa der Ort, Vor­be­hal­te an un­se­rer Tisch-, will sa­gen Ess­kul­tur anzubringen..!“ –
Den Auf­satz zu be­ur­tei­len war letzt­lich aber auch hier dann die Sa­che des Leh­rers. Die­ser trau­te sei­nen Au­gen kaum:
„Wei­ner­chen… Wei­ner­chen… ich buch­sta­bie­re: W……..n für Wie­ner­li – was soll das, Jim?“
„Ja, Va­ter war dann auch der Mei­nung, dar­an dass wir es mit Wei­ner­chen statt mit Wie­ner­li zu tun ha­ben, müs­se der Metz­ger­meis­ter, weil er of­fen­bar ein Pro­blem hat­te sie rich­tig an­zu­schrei­ben, in kul­tu­rel­le Schräg­la­ge ge­ra­ten und schuld sein!“
„Hmm, und dann erst..“ der Leh­rer plötz­lich nach­denk­lich: „…all die Ih­ret­we­gen in kul­tu­rel­le Rü­cken­la­ge ge­ra­te­nen… Schweinerchen!“ ♦
*) Wie­ner­li = Schwei­zer Schweinswürstchen


Franz Trachsel - Glarean MagazinFranz Trach­sel
Geb. 1933, lang­jäh­ri­ger Lo­kal- und Kul­tur­jour­na­list bei ver­schie­de­nen Print­me­di­en, Kurz­pro­sa in Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten, lebt in Emmenbrücke/CH

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