Computerschach: Die Programme und Chess960

Das FRC und die Schach-Engines

von Walter Eigenmann

Mehr und mehr sorgt in der Schach-Sze­ne eine neue Spiel-Art für Ge­sprächs­stoff: das sog. Chess960 (auch „Fi­scher-Ran­dom-Ch­ess / FRC“ oder „FullCh­ess“). Und es war nur eine Fra­ge der Zeit, bis in den ein­schlä­gi­gen Com­pu­ter­schach-Fo­ren die An­re­gung auf­tauch­te, die­se „Schach-Va­ri­an­te“ auch in die Ent­wick­lung kom­men­der Soft­ware ein­flies­sen zu las­sen. Ist Chess960 im Zu­sam­men­hang mit Com­pu­ter­schach tat­säch­lich nicht bloss mo­di­sches „Mo­dern Tal­king“, son­dern ein ernst­zu­neh­men­der neu­er Sound?

Die nach­fol­gen­de klei­ne Un­ter­su­chung – ge­schrie­ben im Ja­nu­ar 2003 – re­sul­tier­te aus dem sehr in­ter­es­san­ten An­satz des deut­schen Pro­gram­mie­rers und FullCh­ess-Ex­per­ten Rein­hard Schar­nagl, wel­cher im ehe­ma­li­gen Fach-Fo­rum „Com­pu­ter­schach Ex­tra“ an­reg­te, das Fi­scher-Ran­dom-Ch­ess ins­künf­tig ver­stärkt bei neu­er Schach­soft­ware zu in­te­grie­ren. Da­bei wur­de auch kon­tro­vers die Fra­ge dis­ku­tiert, ob mit ei­ner pro­gramm-spiel­tech­ni­schen Be­rück­sich­ti­gung die­ses Chess960 nicht über­haupt eine spür­ba­re Spiel­stär­ke-Stei­ge­rung her­kömm­li­cher En­gi­nes zu er­rei­chen wäre.

I. Praeludium

Im Lau­fe ei­ner fast 450-jäh­ri­gen, öf­fent­lich zu­gäng­li­chen Spiel-Pra­xis (Rom 1560, R.Lopez-G.Leonardo: 1.e4 e5 2.f4 d6 3.Lc4 c6 4.Sf3 Lg4 5.fxe5 dxe5 6.Lxf7 Kxf7 7.Sxe5 Ke8 8.Dxg4 Sf6 9.De6 De7 10.Dc8 Dd8 11.Dxd8 Kxd8 12.Sf7 1-0) so­wie auf­grund der seit über 500 Jah­ren an­dau­ern­den theo­re­tisch-sys­te­ma­ti­schen For­schung (Spa­ni­en 1497: Luce­na-Lehr­buch) hat die abend­län­di­sche Schach­ge­schich­te so ei­ni­ges zu Tage ge­för­dert über die fol­gen­de, nicht ganz un­be­kann­te Position:

Die Grundstellung einer regulären Schachpartie (Glarean Magazin)

Bei­spiels­wei­se meint die klas­si­sche Er­öff­nungs­leh­re zu die­ser Stel­lung u.a:

1. Die Fi­gu­ren sind bald­mög­lichst in die Schlacht zu wer­fen; Zeit-Nach­tei­le pfle­gen sich in po­si­tio­nel­le Nach­tei­le, die­se wie­der­um sich in ma­te­ri­el­le Nach­tei­le zu verwandeln.

2. Die ent­schei­den­den Kon­fron­ta­tio­nen ge­hen er­fah­rungs­ge­mäss in der Brett-Mit­te von­stat­ten; dies bei der an­fäng­li­chen Fi­gu­ren-Pos­tie­rung zu be­rück­sich­ti­gen ist von gröss­ter Wichtigkeit.

3. Ei­ner schnel­len bwz. voll­stän­di­gen Fi­gu­ren-Ent­wick­lung, aber auch ei­ner Zen­trum-be­set­zen­den und gleich­zei­tig Raum-grei­fen­den Wir­kung des Auf­mar­sches leis­ten die Bau­ern­zü­ge 1.e2-e4 e7-e5 (al­len­falls noch 1.d4-d4 d7-d5) den bes­ten Dienst.

Dass die sog. hy­per­mo­dern­de Schu­le teils ent­ge­gen­ge­setz­te Prin­zi­pi­en ver­trat, blei­be hier un­er­ör­tert. Si­cher ist je­den­falls: nach die­sen drei Er­öff­nungs-For­de­run­gen funk­tio­nier­te (und funk­tio­niert noch) der Par­tie-An­fang auf ho­hem und höchs­tem Ni­veau – seit Gre­co (Greco-N.N., Rom 1619: 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 etc. 1-0) bis in un­se­re Tage hin­ein (Mov­se­si­an-Mo­roze­vich, WCT 2002: 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 etc. 0-1).

Nun liegt es „in Sa­chen Com­pu­ter­schach“ nahe, mal die neu­es­te Schach-Soft­ware im Hin­blick auf ihre Par­tie-An­fän­ge zu be­fra­gen. (In et­was an­de­rem Zu­sam­men­hang hat das der Au­tor be­reits frü­her in ei­nem Ar­ti­kel des Fach­ma­ga­zins „Com­pu­ter-Schach & -Spie­le“ ge­tan; vergl.  Nr.5/2002, oder hier: Stra­te­gie 2.)

Wir las­sen also (mit ei­ner Be­denk­zeit von 60Min/Engine auf ei­nem P3/866Mhz/128Mb-Hash­/PB off) ei­ni­ge der ak­tu­ell stärks­ten Pro­gram­me die ers­ten paar Züge ab Grund­stel­lung (selbst­ver­ständ­lich ohne Ope­ning-Books) spie­len, um her­aus­zu­fin­den, ob die bes­ten Pro­gram­mie­rer das vom Men­schen er­ar­bei­te­te Er­öff­nungs-Know­how tradieren.

Das Er­geb­nis mag den ei­nen oder an­de­ren überraschen…

CM9000/Kleinert – Hiarcs 8
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 Sf6

Ch­ess Ti­ger 14.0 – Ju­ni­or 7
1.e4 e5 2.Lc4 Sf6 3.d3 c6 4.Sf3 d5

Arist­arch 4.4 – Pha­raon 2.62
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 Sf6 4.d4 exd4 5.Sxd4 Lb4

SOS.3 f.A. – Pe­pi­to 1.55
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6

List 5.04 – Ruf­fi­an 1.0.1
1.e4 e6 2.d4 d5 3.exd5 exd5 4.Ld3 Sc6

Co­met B54 – Yace 0.99.56
1.Sf3 d5 2.d4 e6 3.e3 Sf6

Craf­ty 19.01 – Gan­dalf 4.32h
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6

Lamb­Chop 10.88 – Nim­zo 8
1.e4 d6 2.d4 Sf6 3.Sc3 Sbd7 4.Sf3 e5

…aber es be­steht kein Zwei­fel: im Jah­re 2003 ver­mö­gen Ma­schi­nen die „hu­ma­no­id“ ent­wi­ckel­ten Grund­sät­ze des als er­folg­reich be­stä­tig­ten Par­tie-Be­gin­nens selbst­stän­dig zu re­pro­du­zie­ren. (In wie weit dann die Soft­ware auch im Mit­tel­spiel den „Geist“ ei­nes ge­wähl­ten Er­öff­nungs­sys­tems rea­li­sie­ren kann, ist wie­der eine ganz an­de­re Frage…)

Qua­si in Rein­kul­tur wird die Klas­sik „ko­piert“ von zwei erst seit kur­zem auf dem Markt be­find­li­chen (und von vie­len Tes­tern in­zwi­schen als die bei­den stärks­ten En­gi­nes ge­han­del­ten) Programmen:

Fritz 8 – Shred­der 7
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.Sc3 Sf6 5.d3 d6

Ob von Men­schen oder von Ma­schi­nen: Bes­ser lässt sich eine Par­tie Schach nicht er­öff­nen. Wohl ori­gi­nel­ler, si­cher in­no­va­ti­ver, be­stimmt auch at­trak­ti­ver – aber nicht besser!

II. Punctus contra punctum

Sze­nen­wech­sel. Mainz, im Som­mer 2002: Ne­ben zahl­rei­chen Ama­teu­ren tref­fen sich über 50 in­ter­na­tio­na­le Ti­tel­trä­ger, dar­un­ter 14 sog. Su­per-Gross­meis­ter (= >2600 ELO) zu ei­nem ganz be­son­de­ren Ra­pidschach-Spek­ta­kel: dem „Ch­es­s960-Open“. (Sie­ger: GM Pe­ter Svid­ler mit ful­mi­nan­ten 9 aus 11).

Hoch­ka­rä­tig be­setz­te Open gibt’s in­zwi­schen wie Sand am Meer, doch die­ses im Rah­men der „Ch­ess Clas­sic Mainz“ or­ga­ni­sier­te „Chess960“ zeich­ne­te eine ex­qui­si­te Spe­zia­li­tät aus: ge­spielt wur­de nach den Re­geln des sog. „Full Ch­ess“ (auch be­kannt als „Fi­scher Ran­dom Chess“/FRC oder eben „Chess960“).

Robert James Bobby Fischer - Schach-Weltmeister - Glarean Magazin
Schach-Ge­nie und FRC-Er­fin­der: Ro­bert „Bob­by“ Ja­mes Fi­scher (Wikipedia/B.Verhoeff)

Zum Re­gel­werk die­ses „Voll­schachs“ sei hier der Pro­gram­mie­rer und FRC-Spe­zia­list Rein­hard Schar­nagl zi­tiert, der ein eif­ri­ger Ver­fech­ter die­ser „Schach-Va­ri­an­te“ ist und erläutert:

Das FullCh­ess un­ter­schei­det sich nur un­we­sent­lich vom tra­di­tio­nel­len Schach:

a) die An­fangs­stel­lung der Of­fi­zie­re wird nach be­stimm­ten Re­geln aus­ge­lost: der Kö­nig steht im­mer ir­gend­wo zwi­schen zwei Tür­men, es gibt so­wohl ei­nen schwarz­fel­d­ri­gen wie auch ei­nen weiss­fel­d­ri­gen Läufer;

b) man hat spe­zi­el­le Re­geln für eine all­ge­mei­ner ge­fass­te Rochade.“

Je­den­falls hat­ten sich in Mainz die Her­ren Gross­meis­ter (dar­un­ter so il­lus­tre Na­men wie Jus­su­pov, Va­gan­jan, Hort, Port­isch, Lo­bron, Epis­hin oder Gal­lag­her) also mit An­fangs­stel­lun­gen wie z.B. der fol­gen­den herumzuschlagen:

Eine der 960 FRC-Positionen

FRC-Schachstellung - Glarean Magazin

Be­vor wir auf die­se An­fangs­po­si­ti­on im Zu­sam­men­hang mit Com­pu­ter­schach nä­her ein­ge­hen, mö­gen ei­ni­ge Zi­ta­te von Spit­zen­spie­lern die Ver­wir­rung um­schrei­ben, mit der auf die­se (von Bob­by Fi­scher 1996 in Bue­nos Ai­res pro­kla­mier­te) Schach-No­vi­tät quer über alle Leis­tungs­klas­sen hin­weg re­agiert wird:

Alexandra Kosteniuk - Glarean Magazin
Alex­an­dra Kos­teni­uk: „Für mich ist das nichts. Das ist zu kompliziert“

Alex­an­dra Kos­ten­juk: „Für mich ist das nichts. Das ist zu kompliziert“

– Anand Vis­wa­nathan: „Chess960 ist wie eine Stadt ohne Stadt­plan zu durchstreifen“

– Va­dim Mi­l­ov: „Nur Im­pro­vi­sa­ti­on und Phan­ta­sie spie­len eine Rolle“

– Di­mi­t­ri Ko­ma­row: „Zu an­stren­gend. Man muss vom ers­ten Zug an kämpfen“

– Ki­ril Ge­or­giew: „Ich habe Pro­ble­me mit der Eröffnung“

– Mi­cha­el Adams: „Es ist sehr schwie­rig, eine schlech­te Fi­scher-Ran­dom-Stel­lung zu verteidigen“

Pe­ter Svid­ler: „Schwarz soll­te viel­leicht häu­fi­ger sym­me­tri­sche Stel­lun­gen anstreben“

– Krish­n­an Sas­ik­iran: „Manch­mal ma­che ich Züge, die ich im nor­ma­len Schach nie aus­füh­ren würde“

– Ar­thur Jus­su­pow: „Probier’s ein­fach mal!“

Sol­che Äus­se­run­gen tref­fen ge­nau die un­ge­heu­re Her­aus­for­de­rung, wel­che die­se Er­fin­dung des Jahr­hun­dert-Ge­nies Fi­scher an eine his­to­risch ge­wach­se­ne bzw. ge­schul­te Schach-Denk­wei­se stellt: Das prin­zi­pi­el­le Wir­kungs­ge­fü­ge der Fi­gu­ren, auch die grund­le­gen­den Stra­te­ge­me des her­kömm­li­chen Schach (des­sen Grund­stel­lung üb­ri­gens auch eine „Va­ri­an­te“ des FRC ist!) blei­ben er­hal­ten, aber sie sind in to­tal un­kon­ven­tio­nel­len, ja bi­zar­ren Kon­stel­la­tio­nen zu rea­li­sie­ren, und die „klas­si­schen“ Ver­hal­tens­wei­sen al­ler „Rich­tun­gen“ und „Schu­len“ (inkl. die so er­folg­reich-viel­ge­rühm­te Mus­ter­er­ken­nung des tra­di­tio­nel­len Gross­meis­ter-Schachs) wer­den völ­lig aus­ser Kraft ge­setzt. De­fi­ni­tiv aus­ge­he­belt ist jeg­li­ches Me­mo­rie­ren von „Da­ten­bank-Wis­sen“, und sei es noch so en­zy­klo­pä­disch. Die alt­ehr­wür­dig-his­to­ri­sche (und all­zu­oft his­to­ri­sie­ren­de) „Theo­rie“ hat aus­ge­spielt, auf schach­li­che Er­fah­rungs­wer­te kann nur noch sehr ru­di­men­tär zu­rück­ge­grif­fen werden.

III. Fuga

Peter Svidler - Chess960 - Glarean Magazin
Svid­ler: „Schwarz soll­te viel­leicht häu­fi­ger sym­me­tri­sche Stel­lun­gen anstreben“

Keh­ren wir nun wie­der zu un­se­rer obi­gen „VollSchach“-Grundstellung zu­rück, um zu über­le­gen, wel­che An­for­de­run­gen sie an die „Er­öff­nungs­stra­te­gie“ stellt. An­schlies­send wer­de die­ses zu ab­so­lu­tem Anti-Scha­blo­nen-Den­ken zwin­gen­de Fi­gu­ren-Ar­ran­ge­ment sechs der bes­ten ak­tu­el­len En­gi­nes als Tur­nier-Grund­la­ge vorgesetzt.

Zu­vor ist al­ler­dings noch ein klei­ner Ro­cha­de-Ex­kurs von­nö­ten – denn lei­der ist aus­ge­rech­net die­ser in­ter­es­san­te, das Spiel­ge­sche­hen oft blitz­ar­tig ver­än­dern­de Zug des Fi­scher-Ran­dom-Ch­ess in ge­gen­wär­ti­ger Schach-Soft­ware mei­nes Wis­sens noch nir­gends imp­le­n­tiert. Wohl be­gin­nen die ers­ten GUI’s die Op­ti­on „Fi­scher-Schach“ be­reit­zu­stel­len – das dem FullCh­ess vor­aus­ge­gan­ge­ne Shuff­le-Ch­ess ist schon seit län­ge­rem Me­nue-Punkt ver­schie­de­ner Ober­flä­chen -, doch mit dem spe­zi­fi­schen „Fi­scher-Ro­chie­ren“ kön­nen die Pro­gram­me (noch) nicht umgehen.

Die Ch­es­s960-Ro­cha­de funk­tio­niert nach den fol­gen­den Re­geln (ich zi­tie­re noch­mals die oben er­wähn­te Home­page von Rein­hard Scharnagl):

1. Ro­chie­ren ist nur zwi­schen je­weils noch un­be­weg­tem Kö­nig und Turm auf de­ren Grund­rei­he möglich.

2. Nach ei­ner Ro­cha­de mit dem rech­ten Turm steht der Kö­nig auf der g-Li­nie und der ro­chi­er­te Turm auf der f-Li­nie, nach ei­ner Ro­cha­de mit dem lin­ken Turm steht der Kö­nig auf der c-Li­nie und der ro­chi­er­te Turm auf der d-Li­nie (es ist bei ei­ni­gen Va­ri­an­ten so­gar mög­lich, dass nur eine der Fi­gu­ren ihre Po­si­ti­on ändert).

3. Eine Ro­cha­de ist nur statt­haft, falls zwi­schen dem Kö­nig und sei­nem Ziel­feld höchs­tens der be­tei­lig­te Turm steht, und wenn zwi­schen dem Turm und des­sen Ziel­feld höchs­tens der be­tei­lig­te Kö­nig steht (dar­aus folgt ins­be­son­de­re, dass die Fel­der zwi­schen bei­den Fi­gu­ren frei sein müssen).

4. Kei­nes der Fel­der vom Kö­nig bis zu sei­nem Ziel­feld (bei­de in­klu­si­ve) darf von Schach be­droht sein (spe­zi­ell nach Schach­ge­bot bleibt ein Ro­chie­ren also untersagt).

Be­rück­sich­ti­gend, dass für ein her­kömm­li­ches Pro­gramm ab obi­ger FRC-Stel­lung kei­ne Ro­cha­den mehr mög­lich sind, könn­te sich eine ers­te ober­fläch­li­che Stel­lungs­ein­schät­zung fol­gen­der­mas­sen präsentieren:

1. Die Po­si­ti­on ist – für FRC-Ver­hält­nis­se – re­la­tiv „ein­fach“: Die Da­men kön­nen recht schnell ent­wi­ckelt wer­den; die h-Läu­fer sind be­reits ag­gres­siv „fi­an­chet­tiert“; die Sprin­ger wer­den schnell zentralisiert;

2. Ein Pro­blem ist die Ent­wick­lung der a-Tür­me, die nur um­ständ­lich durch die bei­den Ma­nö­ver a4/a5 & Ta3/Ta6 (schnel­ler, aber schwä­chend) oder a3/a6 & Kh2/Kh6 (lang­sa­mer, aber si­cher) in Po­si­ti­on zu brin­gen sind;

3. Gute Bau­ern­zü­ge könn­ten sein: 1.d3/d6 (d4/d5!?), g3/g6, f4/f5;

4. Ein ex­trem kom­bi­na­ti­ves Spiel (wie in zahl­rei­chen an­de­ren FRC-Start­stel­lun­gen) ist nicht zu erwarten;

5. Die Er­öff­nungs­wahl ist ent­schie­den eine Fra­ge des Temperaments…

Um ei­nen klei­nen Ver­gleich Mensch-Ma­schi­ne an­stel­len zu kön­nen, ent­nahm ich die frag­li­che Po­si­ti­on dem Main­zer Tur­nier. Zur Il­lus­tra­ti­on also ei­ni­ge „Gross­meis­ter­li­chen“ Partie-Anfänge:

Tes­ke-Dau­tov:
1.f4 g6 2.g4 d6 3.e4 c5 4.d3 Sc6 5.Lc3 Sd4 etc. ½-½

Svid­ler-Bo­lo­gan:
1.f4 g6 2.e4 c5 3.Lf2 d6 4.d3 Lc6 5.Sde3 f5 6.g3 etc. 1-0

Lo­bron-Mo­ty­lev:
1.g3 c5 2.c4 Sc6 3.d3 g5 4.Lc3 Lxc3 5.Sxc3 d6 etc. 0-1

Mi­l­o­v/V-Bi­sch­off:
1.d4 g6 2.d5 e6 3.e4 exd5 4.exd5 d6 5.Lc3 Lxc3 etc. ½-½

Wie wir oben ge­se­hen ha­ben, sind Schach­pro­gram­me ein­deu­tig im Hin­blick auf das klas­si­sche Schach op­ti­miert. Für die Be­wer­tungs­funk­tio­nen ei­ner En­gi­ne muss das FRC-Spiel also eine eben­so gros­se Des­ori­en­tie­rung sein, wie es Ir­ri­ta­ti­on ist für die Mus­ter­er­ken­nung des Menschen.

Die fol­gen­de Par­tie zeigt das (60Min/Engine, P3/866Mhz, 128Mb Hash, PB off, 3-&4-Nalimov’s):

Fritz 8 – Hiarcs 8
1.d4?! Fritz war ne­ben Shred­der das zwei­te Pro­gramm, wel­ches die­sen zwei­schnei­di­gen, wenn auch raum­grei­fen­den Bau­ern­vor­stoss spiel­te. Denn nach 1…g5 ist der Bau­er prak­tisch nur mit dem ver­pflich­ten­den 2.d5 ver­nünf­tig zu hal­ten: c3 näh­me dem d-Sprin­ger sein bes­tes Ent­wick­lungs­feld, und e3 be­eng­te un­nö­tig die Dame. 2…g4? Völ­li­ge Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit! Der Zug schränkt we­der die geg­ne­ri­sche Ent­wick­lung ein, noch för­dert er die ei­ge­ne; und er ist we­der dro­hend noch ver­tei­di­gend. Ein Rück­fall in die Zei­ten der ers­ten Kauf­haus-Schach­din­ger vor über 20 Jah­ren… 3.Lc3 Lxc3 4.Sxc3 d6 Dass es gut ist, ei­nen un­ent­wi­ckel­ten ge­gen ei­nen be­reits be­droh­lich pos­tier­ten Läu­fer ab­zu­tau­schen, hat ein Fritz zwar in­tus, aber in frü­hes­tem Sta­di­um sei­ne Dame mit 5.Dh6? mo­tiv­los im Trü­ben fi­schen zu las­sen straft die oben er­wähn­te, be­wie­se­ne Fä­hig­keit zum schnel­len Ent­wi­ckeln Lü­gen. 5…f5 6.h3 Sf7 7.Dh4 e5 8.hxg4 Txg4 9.Dh2 Tg6 10.g3 Th6 11.Dg2 FRC-Stel­lun­gen de­mons­trie­ren de­pri­mie­rend, wie „un-mensch­lich“ Schach­pro­gram­me spie­len (kön­nen)… 11…Sg6 12.Sd2 Ld7 13.Df1 a6 14.Lg2 Ta7 Viel­leicht der „in­ter­es­san­tes­te“ Zug der gan­zen Par­tie…  Die „Halt­lo­sig­keit“ der En­gi­nes ist of­fen­sicht­lich. Es scheint, als las­se Bob­by Fi­scher jeg­li­chen Pro­gramm-Code ein­fach ins Lee­re lau­fen. (Eher zu­fäl­lig kam es in der Fol­ge zu ei­nem weis­sen ge­deck­ten f-Frei­bau­ern, der Fritz schliess­lich im 54. Zug ei­nen End­spiel-Sieg „be­scher­te“). 1-0

In obi­ger Par­tie kommt der Be­trach­ter kei­nen Au­gen­blick auf die Idee, dass das Ziel je­der Schach­par­tie das Matt­set­zen des geg­ne­ri­schen Kö­nigs ist. Ganz an­ders im nächs­ten Game: hier sucht der Weis­se schon bald die Kon­fron­ta­ti­on am „Kö­nigs­flü­gel“. Auf­fal­lend ist, welch hohe Prio­ri­tät Shred­der der schnel­len Ent­wick­lung sei­nes ein­ge­sperr­ten Tur­mes einräumt.

Es scheint über­haupt ein nütz­li­ches Stra­te­gem im FRC- bzw. Shuff­le-Ch­ess zu sein, sich grund­sätz­lich so­fort der Ent­fal­tung der pro­ble­ma­tischs­ten Figur/en zu wid­men, da spä­ter, be­dingt durch die un­ver­meid­li­chen kom­bi­na­ti­ven Schar­müt­zel, dazu oft nicht mehr die Zeit bleibt. Denn vie­le Ch­es­s960-Start-Kon­fi­gu­ra­tio­nen nei­gen ent­we­der dazu, tak­tisch sehr schnell zu ex­plo­die­ren, oder dann wird per Ab­tausch-Se­ri­en das Mit­tel­spiel gleich ganz um­gan­gen. In bei­den Fäl­len ist na­tür­lich fa­tal, wenn eine oder meh­re­re Figur/en deut­lich „lah­men“.

Shred­der 7 – CM9000/Kleinert
1.d4 e6 2.g4 g5 3.e3 d6 4.Dd2 Lc6 5.Lxc6 Sxc6 6.a4 f5 7.gxf5 exf5 8.Ta3 Se6 9.Tb3 g4 10.Sg3 Sg5 11.Dd3 Sf3 12.Th1 Tf8 13.Lc3 a6 14.h3 f4 15.Se2 fxe3 16.hxg4 exf2 17.Sxf2 Sg5 18.d5 Se5 19.De3 Tf3 20.Dxg5 Txf2 21.Sd4 De8 22.Tb4 Tf7 23.Te1 Df8 24.Sc6 Sxc6 25.dxc6 Lxc3 26.Txb7 Kc8 27.bxc3 Tf1 28.Txf1 Dxf1 29.Kb2 Df7 30.Tb4 h6 31.De3 1-0

Wie­der völ­lig an­ders prä­sen­tiert sich das „Na­tu­rell“ der Pro­gram­me in dem fol­gen­den Blitz­krieg. Er de­mons­triert das Auf­ein­an­der­tref­fen zwei­er to­tal he­te­ro­ge­ner En­gi­nes: der Ch­ess­mas­ter als ag­gres­si­ver „Bil­der­stür­mer“ (sei­ne Kö­nigs­si­cher­heit ten­diert oft ge­gen Null) zer­trüm­mert den mit tra­di­tio­nel­lem Schach­wis­sen her­vor­ra­gend be­stück­ten Fritz in nur 26 Zügen:

CM9000/Kleinert – Fritz 8
1.g4 g6 2.Sc3 c6 3.e3 Dc7 4.d4 d5 5.f4 Man be­ach­te nun das fol­gen­de, an sich po­si­tio­nell höchst be­mer­kens­wer­te Fritz’sche Sprin­ger-Ma­nö­ver: Über d7, b6 und c8 wird der c-Hüp­fer auf das aus­sichts­rei­che Feld d6 ent­wi­ckelt. Sol­ches Schach kann dazu füh­ren, dass Pro­gram­me wie Fritz in­zwi­schen GM-Tur­nie­re ge­win­nen – im un­er­schlos­se­nen Dschun­gel ei­ner FRC-Stel­lung ist es ein­fach doof. 5…Sd7 6.Sd2 Sb6 7.a4 Sc8 8.Se2 Sd6 9.c4 dxc4 10.Sxc4 Ld7 11.e4 Rohe Ge­walt ge­gen ab­war­ten­des La­vie­ren – und ein Stel­lungs­bild für die Göt­ter… 11…Lc8 12.Se3 f6 13.e5 Se8 14.Ta3 g5 15.Dc2 h6 16.Lg3 fxe5 17.fxe5 Wäh­rend die ak­tu­el­le Num­ber One der Schwe­den-Lis­te ihre Fi­gu­ren auf der Grund­rei­he ver­sam­melt hat, ste­hen fast alle weis­sen Kämp­fer zum fi­na­len Punch be­reit. Die Si­tua­ti­on ver­dient ein Foto:

Der Rest ist Schwei­gen: 17…e6 18.Tc1 Dg7 19.d5 Sc7 20.dxc6 b6 21.a5 b5 22.Sc3 La6 23.Se4 Dg6 24.Sc5 Dxc2 25.Sxc2 Lc8 26.Sb4 1-0

IV. Postludium

Die Ant­wort auf die Fra­ge, wie es mög­lich ist, dass ei­nes der stärks­ten und er­folg­reichs­ten Pro­gram­me der Com­pu­ter­schach-Ge­schich­te – er­in­nert sei nur an das un­längst be­ein­dru­cken­de 4:4 zwi­schen Fritz und BGN-Welt­meis­ter Vla­di­mir Kram­nik in Bah­rein – ei­nen der­art sui­zi­da­len Ma­so­chis­mus an den Tag legt, kann nur lau­ten: Je ge­nau­er bzw. er­folg­rei­cher eine Soft­ware auf die Ge­set­ze des tra­di­tio­nel­len Schach ab­ge­stimmt ist, des­to grös­se­re Schwie­rig­kei­ten hat sie in der­art un­or­tho­do­xen Figurenkonstellationen.

Die­se Fest­stel­lung ist bloss auf den ers­ten Blick tri­vi­al. Denn dem wi­der­spricht die of­fen­sicht­li­che Per­for­mance; die bei­den (wahr­schein­lich) bes­ten Pro­gram­me im „Klassik“-Schach ge­wan­nen auch mein klei­nes Shuff­le-Tur­nier. (Üb­ri­gens blieb die Hier­ar­chie mehr­heit­lich auch im Main­zer „Chess960“ ge­wahrt: die GM vor den IM, die IM vor den FM, Sie­ger wur­de mit Svid­ler der zu­gleich ELO-Stärkste).

Com­pu­ter-Tur­nier „Chess960“

Pro­gramm         1  2  3  4  5  6

1 Shred­der 7     ** ½1 10 1½ 1½ 01 6.5/10
2 Fritz 8        ½0 ** 1½ 00 11 11 6.0/10
3 Ch­ess Ti­ger 14 01 0½ ** 11 ½½ 01 5.5/10
CM9000 Klein.  0½ 11 00 ** ½½ 10 4.5/10 22.75
5 Hiarcs 8       0½ 00 ½½ ½½ ** 11 4.5/10 19.25
6 Ju­ni­or 7       10 00 10 01 00 ** 3.0/10

(60Min/Engine – P3/866Mhz 2003)

Na­tür­lich ist die­ses 30-Par­tien-Ran­king sta­tis­tisch ir­rele­vant und oben­drein mit dem er­wähn­ten Ro­cha­de-Schön­heits­feh­ler be­haf­tet – zu­fäl­lig aber, glau­be ich, ist es nicht; das Er­geb­nis sähe ziem­lich si­cher auch nach 300 Par­tien sehr ähn­lich aus. Denn da jede En­gi­ne hin­sicht­lich des Fi­scher-Schach ver­gleich­ba­re Schwie­rig­kei­ten hat, sind ins­ge­samt (wie im „rich­ti­gen Le­ben“) halt doch wie­der die am we­nigs­ten schlech­ten die besten…

Mein vor­läu­fi­ges Fa­zit: Spie­len Men­schen „Fi­scher“ oder „Shuff­le“, steht v.a. die all­ge­mei­ne Spiel-In­tel­li­genz auf dem Prüf­stand. „In­tel­li­gen­tes Spiel“ in die­sem Fal­le meint zu­vor­derst ein­fach mal, die je bunt zu­sam­men­ge­wür­fel­te Grund­rei­hen-Schar in ein ei­ni­ger­mas­sen ver­nünf­tig ko­or­di­nier­tes Fi­gu­ren­spiel zu zwin­gen. Denn die­ses ist die viel­leicht gröss­te Schwie­rig­keit beim Fi­scher-Ran­dom-Ch­ess: die Or­ga­ni­sa­ti­on ei­nes ziel­ge­rich­te­ten Zu­sam­men­spiels des ei­ge­nen Hee­res, des­sen Kräf­te in je to­tal an­de­rem Kon­text als bis­her agie­ren müssen.

Die­ser letz­ten For­de­rung kann das dy­na­mi­sche Den­ken des Men­schen weit eher ent­spre­chen als das sta­ti­sche Eva­lu­ie­ren der Schach-Soft­ware. Ich kann je­den­falls nicht se­hen, in­wie­fern bei Pro­gram­men das Stu­di­um des FRC-Ver­hal­tens zu ei­ner Ver­bes­se­rung eben die­ser Pro­gram­me füh­ren könn­te. Es sei denn, man schrie­be sie kräf­tig um, was aber wie­der­um min­des­tens eine der 960 mög­li­chen Po­si­tio­nen aus­klam­mer­te – ab­ge­se­hen da­von, dass hier die Gren­ze zwi­schen „än­dern“ und „neu“ sehr flies­send wäre…
An­ders ge­sagt: „Chess960“ ist für die mo­men­ta­nen Schach­pro­gram­me ein­fach 959 Mal ein völ­lig an­de­res Spiel. ♦

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